Redaktionskonferenz Inklusion 2015

Ohne System

Regelschule oder Sonderschule, das ist eine Frage, vielleicht sogar die Frage der Inklusionsdebatte. Das liegt nicht nur daran, dass Schule – idealerweise – in der Biografie eines jeden Menschens verankert ist, sondern das leitet sich vor allem aus ihrer Funktion ab: Schule soll für gesellschaftliches Leben fit machen. Erfolg oder Misserfolg tragen entscheidend zu persönlichen Chancen bei. Hier haben die Bundesländer also einen bedeutungsvollen öffentlichen Auftrag. Kein Wunder also, dass Prof. Dr. Clemens Knobloch, Sprachwissenschaftler von der Uni Siegen, und Norbert Zeller, ehemaliger Stabsstellenleiter der Gemeindschaftsschulen im Kulturministerium Baden Württemberg, unter der Frage  „Führt Inklusion zu sozialer Gerechtigkeit?“ über Schule und Inklusion zu sprechen begannen.

Um Inklusion an Schulen umzusetzen, ist unser Schulsystem laut Knobloch einfach nicht geeignet; zu schnell würde es die Schwachen aussieben, die Eliten fördern, und Chancen, zwischen den Schulformen zu wechseln, dadurch klein halten. Seiner Meinung nach bräuchte man dafür mehr Gesamtschulen. „Inklusion in einem System das so tickt wie unseres ist letztendlich ein Programm zur Förderung von Privatschulen.“ Damit meint er, dass viele Menschen befürchten, dass ihre Kinder in Inklusionsklassen unterfordert werden. Als Konsequenz würden sie sich „still von unserem Schulsystem verabschieden und die, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder auf Privatschulen“. Still deshallb, weil Inklusion so eine hohe moralische Wertschätzung genieße, dass niemand öffentlich wage, sie dafür verantwortlich machen. „Keiner wird sagen, ich schicke mein Kind auf eine Privatschule weil in der alten Klasse nun zu viele behinderte Mitschüler sind, aber letztendlich ist das Realität“. Hier können Lokaljournalisten vor Ort nachhaken: Wie ist das Stimmungsbild unter den Elten – und zwar für alle Schulformen?

Diese moralische Komponente würde sich umgekehrt politisch gut machen – nämlich als Deckmantel, um unliebsame Vorhaben als Inklusionsmoment zu tarnen. „Wenn jemand sagt, wir schaffen alle Sonderschulen gab, würde er damit einen Aufruhr auslösen, doch wer widerspricht wenn jemand fordert, alle in Regelschulen zu inkludieren?“, fragt Knobloch. Für ihn ist es daher ein großer Unterschied, ob die Forderung nach Inklusion aus dem Mund eines Vertreters von Menschen mit Behinderungen kommt, oder ob sie von einem nicht-behinderten Politiker kommt.

Zeller ist ein solcher Politiker. „Man lässt Kinder in Klassen Probleme austragen, die in der Politik nicht zu lösen sind“, sagt er. Für ihn steht fest, dass viele I-Kinder sich nicht in das verbreitete System der Leistungserfassung einordnen lassen. Die meisten Kinder im Sonderschulbereich hätten einen Schwerpunkt beim Thema Lernen. Das schulische Konkurrenzsystem – und die Konkurrenzmentalität – müsse sich daher ändern. Vor allem müsse sich in der Ausbildung der Lehrkräfte noch viel bewegen. Niemand könne von „Lehrern verlangen, Inklusion zu machen, wenn sie nicht willens und geschult sind, mit Kindern mit Behinderungen umzugehen.“

Im Plenum schnellen die Hände hoch. „In der Lehrerbildung ist in den letzten Jahren nicht viel passiert. Die Lehramstsstudierenden wissen nicht, was später auf sie zukommt, vielen ist nicht klar, dass sie inklusiv unterrichten werden“, berichtet eine Teilnehmerin aus einem Studiengang. Eine konsequente Inklusion fordert eben auch, das Personal dafür bereitzustellen. „Die Parallelität von Sonderschulen und I-Klassen ist teuer, aber Eltern sollten sich entscheiden können“, meint Zeller. Obwohl dies wiederum neue Fragen danach aufwerfe, ob Eltern dies moralisch betrachtet überhauot könnten. Dennoch: „Dass sich die Dichte des Sonderschulnetzes aber verändert, dürfte klar sein“.

Sonderschule oder Regelschule – die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Was Lokaljournalisten für sich aus der Debatte mitnehmen können, ist, zwischen den verschiedenen Akteuren und Regulationsebenen zu unterscheiden – Lehrer, Schüler, Eltern, Bundesländer, Kommune, Art und Grad der Behinderung, Zusammenspiel in den Klassen -, aber auch zwischen den Schulformen. Denn, so ergab die Diskussion mit dem Plenum auch: Inklusion in kleinen Klassen an Gymnasien gestaltet sich oft nochmal anders als in großen Klassen, in denen schon viele Kinder aus bildungsfernen Familien sitzen, die besonders gefördert werden wollen.

1 Kommentare

  1. Gerd Backenköhler sagt

    Sehr schönes Seminar, oder? Leider nicht immer im Blickfeld der Redakteure, oder? Und der Staat ist mit der Umsetzung auch eiln wenig überfordert, es soll alles so schnell gehen, kann es aber nicht…

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