Redaktionskonferenz "Wir lieben Lokaljournalismus" 2017

Thema Integration – das gespaltene Plenum

Lokalredaktionen im Spannungsfeld zwischen Willkommenskultur, Fundamental-Kritik, Nähe, Distanz und Vorurteilen – darum ging es auf dem abschließende Podium des ersten Tages der Redaktionskonferenz. „Herausforderung Integration – Sternstunde der Demokratie“, so lautete der Titel. Eine Art „Sternstunde unterschiedlicher Meinungen“ wurde es tatsächlich.

Auf der Bühne vertreten waren Jana Klameth, stellvertretende Chefredakteurin der Freien Presse (Chemnitz), der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, Wolfgang Kaschuba, Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung Berlin, Sarah Brasack, stellvertretende Leiterin der Lokalredaktion Köln des Kölner Stadt-Anzeigers und Erol Kamisli, Leseranwalt der Lippischen Landes-Zeitung (Detmold). Die Moderation übernahm Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers.

Palmers Bedenken

Das erste Wort erteilte Matthiesen, wie konnte es anders sein, Boris Palmer. Matthiesen wollte von ihm wissen, wie sich seiner Meinung nach lokale Medien in der ersten Zeit der Ankunft der Flüchtlinge verhalten hätten.

„Die Lokalmedien haben anfangs keine Chance gehabt, es richtig zu machen, denn die großen Medien haben es falsch gemacht“, erwiderte Palmer. Sie hätten eine positive Stimmung verbreitet, und das sei falsch gewesen. Auch in der Tübinger Lokalzeitung seien etwa die Vorbildgeschichten gezeigt worden, die Familien, die angekommen seien, die ehrenamtlichen Helfer, und das sei eben nur ein Teil der Wirklichkeit gewesen, andere, negative, seien ausgeblendet worden.

Kamisli bestätigte zwar, dass die Zeitungen am Anfang überfordert gewesen seien. Er widersprach aber der Behauptung, dass man sich gemein gemacht habe mit dem Thema und nur Positives berichtet habe. Bei ihm hätten Leser angerufen und von Gerüchten berichtet, etwa dass Flüchtlinge Kinder klauen würden. Die Redaktion habe daraufhin Faktenchecks gemacht, um die Gerüchte zu überprüfen. Daraufhin habe sich die Anrufswelle seitens der Leser beruhigt.

Andere Situation im Osten

Im Osten sei es etwas anders gewesen, berichtete Klameth. „Die Pegida-Demos gab es ja schon vorher“, sagte sie. „Außerdem ging es gleich um Lügenpresse, Lügenpresse, Lügenpresse. Es war sehr unsachlich, es gab Aufrufe, die Zeitung abzubestellen etc. Es war auch schwierig, wieder in normales Fahrwasser zu kommen“, betonte sie. Man habe sich anschließend auf die handwerklichen Grundtugenden besonnen, Faktenchecks gemacht, ohne Scheuklappen alle Seiten beleuchtet. Dennoch seien in einer Lokalredaktion der Zeitung Ziegelsteine ins Fenster geworfen worden.

Silvester in Köln

Noch einmal anders war die Lage in Köln. Brasack erzählte von den Ereignissen der Silvesternacht 2015 und den Folgen für ihre Zeitung. Die Zeitung habe an Vertrauen zurückgewonnen, weil sie intensiv berichtet habe und den Behörden nachweisen konnte, was sie unterlassen hätten. Die Zeitung nenne nun öfter als früher die Nationalität von Tätern.

Für Migrationsforscher Kaschuba war die Diskussion über Silvester in Köln grotesk, da Vergewaltiger plötzlich als Fremde identifiziert worden seien. Die Gesellschaft drifte nicht wegen der Flüchtlinge auseinander, sondern wegen anderer Dinge, wie der hohen Individualität. Er betonte, dass in den großen Medien in jener Zeit viele alte – rassistische – Bilder eine große Rolle gespielt hätten. Erkenntnis sei für ihn gewesen: „Nichts ist wichtiger als lokale Medien und lokale Politik.“ Sie würden sich die Sache anschauen und versuchen, die Probleme zu lösen. Er betonte auch, dass es nicht um eine Flüchtlingskrise, sondern um eine Kriegskrise gehe.

Palmer erwiderte, dass er keine rassistischen Bilder gesehen habe, sondern eher Bilder von ankommenden Familien. Gerade die Kölner Silvesterereignisse seien zum Beispiel im Fernsehen lange ausgeblendet worden.

Brasack warf Palmer Pauschalisierungen vor, wenn er in Bezug auf Köln von 1000 Tätern spreche, es sei schließlich nur eine Handvoll verurteilt worden. „Das ist ein Skandal“, warf Palmer daraufhin ein. Auf Kaschuba erwiderte er: „In ihrer Argumentation bin ich Rassist.“ Selbstverständlich habe es bei den Kölner Ereignissen eindeutige Hinweise gegeben, dass die Täter mit Zuwanderung zu tun gehabt hätten. „Es war ganz eindeutig, dass in Köln nicht der deutsche Familienvater der Täter war.“ Und das müsse man aussprechen. Das mache für ihn einen Unterschied, und er wolle, dass der Staat da eingreife. „Dafür lasse ich mich nicht Rassist schimpfen.“ Für Kaschuba indes waren die Täter von Köln „junge Männer“. Palmer äußere Generalverdächtigungen. Der widersprach erneut: „Nein! Das sind keine Generalverdächtigungen.“

Spätestens von da an war klar, dass auf dem Podium eine große Kluft bestand, personifiziert in Kaschuba, Kamisli und Brasack einerseits, Palmer andererseits.

Palmer sagte, er könne nur immer wieder auf die Probleme hinweisen. Er berichtet von einem Übergriff von schwarzen jungen Männern auf junge Frauen in einem Jugendclub. Die Lokalzeitung habe dies so berichtet, darauf hin habe sie sich entschuldigen müssen. „Immer wenn man die Herkunft nennt, ist man Rassist. Dann kann man nicht mehr offen drüber reden. Das führt dazu, dass sich die Opfer schon Gedanken machen, ob sie die Täter noch benennen dürfen.“

Die Publikumsrunde

Anschließend wurde die Runde für Fragen des Publikums eröffnet. Mehrere Lokaljournalisten erzählten, wie sie mit dem Thema umgegangen seien. So fragte unter anderem etwa Michael Seidel, Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung, wie die Situation 2015 denn anders zu beschreiben gewesen wäre als mit dem Begriff „Flüchtlingswelle“, ein Begriff, den Kaschuba zuvor kritisiert hatte. Andererseits sei es nach Seidels Meinung richtig gewesen, auch die Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer zu beschreiben. Stefan Aschauer-Hundt vom Süderländer Tageblatt etwa entgegnete auf Kaschubas Kritik an dem Begriff „Flüchtlingskrise“, dass dieser nach dem Zweiten Weltkrieg schon mehrfach verwendet worden sei, etwa als es um die Vertriebenen gegangen sei.

Weitere Fragen drehten sich etwa um die Nennung der Herkunft von Straftätern. Matthias Oberth von den Nürnberger Nachrichten wies daraufhin, dass dies zum Beispiel schwierig sei bei Einwanderern späterer Generationen. Klameth erzählte von der Praxis der Freien Presse, die in gewissen Fällen durchaus die Herkunft nenne, etwa wenn es um eine Diebesbande gehe, die eindeutig aus Osteuropa stamme. „Du kannst das Phänomen sonst nicht erklären“, betonte sie.

Zuletzt ging es noch um die Frage, ob eine Zeitung zum Akteur werden dürfe, wie es etwas der Kölner Stadt-Anzeiger mit der „Kölner Botschaft“ getan habe, einem Aufruf von lokalen Prominenten nach den Silvesterereignissen.

Kurzes Fazit

Letztlich konnten Meinungsunterschiede auf dem Podium und unter den Zuhörern nicht aufgelöst werden, was auch nicht zu erwarten war. Aber die Diskussion lieferte sicherlich für jeden Anwesenden Anregungen, neu über die Frage nachzudenken, wie man über Zuwanderung und Integration berichten sollte.

Unser Interview mit Boris Palmer finden Sie hier:

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