Whistleblower

Whistleblowing im Spannungsfeld von Legalität und Legitimität

Spätestens seit Snowden sind sie und ihre Rolle für Demokratie in aller Munde: Whistleblower. Menschen also, die Informationen und Hinweise über Probleme, Missstände oder Gefahren an die Öffentlichkeit kommunizieren. Für viele ist deshalb klar: Whistleblower sind Hinweisgeber, Informanten und eben deshalb vor allem Aufklärer. Doch handeln sie oft rechtswidrig. Deshalb sind sie auch: Verräter. Oder?

Diese Frage steht im Mittelpunkt der Tagung „Die Rolle von Whistleblowern für Demokratie und Medien“ mit dem Untertitel „Verrat oder Aufklärung?“, die heute in der Akademie für politische Bildung in Tutzing begonnen hat. Bereits in der Vorstellungsrunde merkt man, wie viele unterschiedliche Meinungen es unter den anwesenden Journalisten, Menschenrechtlern und sonstigen Akteuren es zum Thema gibt. Whistleblower können „Gerechtigkeitsfanatiker“ sein, sagt Lothar Hausmann vom Medienhaus Dortmund gleich zu Beginn der Tagung – und ergänzt: Ja, Whistleblower könnten auch „nerventötende Penetranten“ sein. Andere warnen davor, dass zu viel Transparenz auch gefährlich sein könne.

„Whistleblower handeln unrechtmäßig – zunächst“, lautet auch eine der zentralen Thesen von Prof. Dr. Johannes Ludwig von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg, der den ersten Impulsvortrag zur Tagung liefert. Sein Thema am Montag in Tutzing: „Whistleblowing im Spannungsfeld zwischen Legalität und Legitimität“.

„Flucht in die Öffentlichkeit“

Ludwig beginnt mit ein paar Beispielen. Die WM-Affäre etwa. Oder der ADAC-Skandal vor zwei Jahren (eine „publizistische Meisterleistung“, so Ludwig). Ludwig erzählt von einem USB-Stick, der in einer Klobürste versteckt wurde, berichtet von geheimen Treffen. Diese klandestinen Verhaltensweisen seien wichtig, weil Stationen auf einer „Flucht in die Öffentlichkeit“ der Whistleblower. Aber sie sind meist eben auch: illegal. Denn in den meisten Arbeitsverträgen ist geregelt, dass vertrauliche Informationen nicht nach außen gegeben werden dürfen. Nur wenn die Informationen an die Medien gehen, kann an sich illegales Handeln für legitim erklärt werden. Dann kann der Informantenschutz greifen. Wer sich nicht an die Medien wendet, ist ungeschützt. Und wer viel weiß aber gar nichts tut, provoziert im schlimmsten Fall eine Katastrophe, mahnt Ludwig. Als Beispiel nennt er die  vor zehn Jahren eingestürzte Sporthalle in Bad Reichenhall: „So etwas müsste nicht passieren“.

Wege des Alarmschlagens

Dann dröselt Ludwig die „Wege des Alarmschlagens“ im Detail auf. Denn man könnte ja auch – statt direkt an die Medien zu gehen – ein Problem intern kommunizieren. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Zur-Sprache-Bringen zum Erfolg führt, liegt im einstelligen Prozentbereich“, schätzt jedoch Ludwig und bezieht sich dabei auf seine langjährige Arbeit beim „Whistleblower-Netzwerk„. Und extrem ungeschützt seien die, die sich – zum Beispiel mit einer eigenen Pressekonferenz – direkt und mit Klarnamen an die Öffentlichkeit wenden. Doch an die Massenmedien könne man sich nicht immer wenden, denn „Medien interessieren sich nicht für alle Themen“. Jedes Medium habe „seine eigenen Selektionskreiterien“. Trotzdem hat Ludwig eine grundlegende Empfehlung mit an den Starnberger See gebracht: Im Zweifel an die Medien gehen.

Die Zuhörerinnen und Zuhörer merken es schnell: Ludwig macht einen Rundumschlag zum Thema Whistleblower. So erläutert er auch die Motive von Whistleblowern. Dann die (eigentlich offensichtlichen) Unterschiede zwischen Denunzianten und Whisleblowern. Und die Schwierigkeit, eine größere Öffentlichkeit – trotz massenhaft aufgedeckter Skandale in den letzten Jahren – für die Probleme von Whistleblowern zu sensibilisieren. Gerade in Deutschland sei „Ignoranz (…) ein großes Problem, um dem Thema den Stellenwert zu geben, den es eigentlich bräuchte“, sagt Ludwig. Dabei sei das, was Whistleblower tun, in der Regel ja „gesellschaftlich erwünscht“.

Und was müsste passieren, damit es keine Whistleblower mehr bräuchte? Ludwig fordert eine umfassende „Kritik- und Fehlerkultur“. Er sei sich aber bewusst, dass das eine „Utopie“ sei. Deshalb brauche unsere Gesellschaft auch weiter Whistleblower.

„Da die Gesellschaft (…) ein Interesse an Aufklärung und Beseitigung der Missstände hat, haben in Deutschland Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht eine (Hilfs)Konstruktion (Güterabwägung) geschaffen: Die (rechtswidrige) Weitergabe von Informationen kann legitim sein, z.B. wenn sie im öffentlichen Interesse erfolgt. Deshalb unterliegen diese Whistleblower dem sog. Informantenschutz.“ (J. Ludwig)

Weitere Infos zur Person: Ludwigs Schwerpunkt ist der Investigative Journalismus sowie die Folgenforschung journalistischer Berichterstattung, er ist Mitbegründer des Dokumentationszentrums www.ansTageslicht.de.