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Gruppe Qualität: Was kann das Tool „Cockpit“? – Skype-Interview

Ostrop im Skype-InterviewEine besondere Einlage genießt gerade die Arbeitsgruppe zu Qualitätsjournalismus: Per Skype unterhält sie sich mit Philipp Ostrop, Leiter der Lokalredaktion der Ruhr-Nachrichten in Dortmund. Die Ruhr-Nachrichten messen ihre Qualität mit einem ganz besonderen Tool namens Cockpit: Es versucht anhand von Stichproben die handwerkliche Qualität von Artikeln zu bestimmen.

In Dortmund nimmt sich die Redaktion mit dem Tool gerade vier Seiten vor und wählt fünf oder sechs Elemente davon aus, wie Aufmacher, Fotos und einzelne Meldungen. Seit einem halben Jahr werden einzelne Lokalredaktionen immer mal wieder „cockpetisiert“. Diese wissen vorher übrigens Bescheid, wann das sein wird und welche Kriterien dabei zur Anwendung kommen. Zum Beispiel, wie viele unterschiedliche Stilformen die Texte abdecken. Für Cockpit wurde ein Kriterienkatalog entwickelt, der in „Codes“ übersetzt auf die Arbeit angewendet wird. Diese Codes sind entweder binär – also mit den Antwortmöglichkeiten Ja/Nein – oder können auch als Punkte verteilt werden. Theoretisch gibt es 100 Punkte, ab 60 Punkte ist man im grünen Bereich. Die volle Punktzahl für eine Ausgabe gilt als unerreichbar, sagt Ostrop.  Auch in kleineren Redaktionen sei das Tool seiner Meinung nach umsetzbar, wobei man auch das Selbstbewusstsein haben müsse, die Ergebnisse kritisch zu diskutieren.

Macht man den Leser denn auch glücklicher damit?, möchte ein Teilnehmer wissen.
„Eine Seite kann handwerklich total gut sein, aber auch langweilig, wenn das Thema für die Leser nicht relevant ist“, antwortet Ostrop. Es verbessere aber auf jeden Fall das Bewusstsein für journalistisches Handwerk und infolgedessen auch die handwerkliche Qualität von Artikeln selbst. Das ist doch schon mal nett. Die Redaktion rede am Ende intensiv darüber, was bei Cockpit rumgekommen ist, sagt Ostrop: Die Einzelauswertung, die in die Redaktionen geht, löse „große Reaktionen aus“. Folgen wie Schulungen oder Neueinstellung habe Cockpit bisher aber noch nicht nach sich gezogen. Stattdessen setze die Redaktion auf Sensibilisierung durch die Prozedur selbst. Da es sich aber immer nur um Stichproben handle, sei das Tool auch weder geeignet noch vorgesehen um einzelne Kollegen zu bewerten. „Es ist immer ein guter Ansatz um die Qualität der Zeitung zu diskutieren. Unsere Punkte, die wir bei Cockpit erzielt haben, sind immer besser geworden.“

Die Gruppenmitglieder haben alle fünf Kriterien für journalistische Qualität definiert. Yvonne Backhaus vom Hanauer Anzeiger, Leiterin der Arbeitsgruppe, möchte wissen, was seine lauten. Ihm fallen vier ein.

  1. Hoher Servicecharakter
  2. Stadtgespräch sein
  3. Gattungsmix
  4. Verschiedene Zielgruppen erreichen/Themenmix

Eine wichtige Frage ist natürlich, ob Cockpit übertragbar ist: Ja, das ist es. Wer Cockpit ausprobieren will, könne bei der Redaktion bzw. mein Medienhaus nachfragen.

Offen bleibt für die Gruppe, ob Sensibilisierung genug der Konsequenz ist. Ob man nicht aufstocken, schulen, was unternehmen müsste. Oder ob solche Evaluationen nicht dazu führen könnten, dass einzelne Redakteure, die eher niedrige Punkte erzielen, unter Druck geraten.

Man sei ja schließlich keine standardisiert arbeitende Maschine, bemerkt ein Teammitglied nach dem Interview.

 

 

 

„Schluss mit dem Freibier!“ – Input: Wissen, was uns weiter bringt

Uwe-Ralf Heer über den Heilbronner Weg„Schluss mit dem Freibier, wir wollen ein handfestes Bezahlmodell“. Das sitzt. Kontroverse Statements wie die von Uwe-Ralf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme, bringen den Diskurs weiter, auch bei uns. Ob knackige Bewertungen von Bezahlmodellen, praktikable Lösungen für mobile Endgeräte, Ideen für crossmediale Arbeitsgruppen, das strategische Vorgehen bei einer groß angelegten Evaluation oder den Umgang mit freien Mitarbeitern: Um feinste Best-Practice geht es im Input „Wissen, was ist weiterbringt – Instrumente für den besseren Lokalteil“. Neben Heer stellen auch Monika Jäger, Ressortleiterin Lokales bei der Mindener Zeitung, Sascha Borowski, Leiter der Online-Redaktion bei der Augsburger Allgemeinen und Sylvia Binner, Cvd beim Bonner General-Anzeiger ihre Konzepte vor.

Direkt zu Beginn schon mal, mit allen Fakten und Beispielen:
Zur Präsentation von Heer: Präsentation_Uwe-Ralf Heer
Zur Präsentation von Jäger: Präsentation_Monika Jäger
Zu den Analysevorlagen von Binner: Vorlage_Ergänzende Analysen, Themenmix, OrtsmixBonn, Vorlage_Konkurrenzauswertung

Das Freibier-Zitat von Heer bezieht sich auf die digitale Offensive der Heilbronner Stimme. Der „Heilbronner Weg“, ein ambitioniertes Konzept für die nächsten fünf Jahre, soll gewährleisten, dass die Zeitung den crossmedialen Spagat zwischen Online, Social Media und Print galant über die Bühne bringt.

Heer: Heilbronner Weg, digitale Offensive und Premium-Modell

Stimme.de liefert „Frischfleisch“ rund um die Uhr im Premium-Modell: Es gibt verschiedene Abo-Pakete, gestaffelt nach Online-, Mobile- und Print-Produkten (siehe Präsentation). Der exklusive Content ist aber immer paid content, nur die kleinen Meldungen sind frei. Und es laufe gut. Vier Woche nach der Einführung habe es 1.000 Digitalabonnenten gegeben. Der Heilbronner Weg bedeute „Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Erfahrung“. Interessant ist, wer die digitale Offensive mitstemmen soll: Das Digital Camp. Nein, das ist keine Fortbildungsveranstaltung im Jugendherbergs-Ambiente, sondern eine Arbeitsgruppe, die als Task Force von 7 bis 23 Uhr im Einsatz ist.  Drei Reporter und vier Onliner, angesiedelt ist das Ganze auch noch beim Chefredakteur. Der erste Schritt von deren Arbeit ist immer digital,  aber grundsätzlich macht jeder Online, Print und TV. Mit TV ist Stimme.tv gemeint – dazu bietet die Heilbronner Stimme auch eine TV-App an. Technisch sei die Gruppe immer auf dem neuesten Stand. Heer stellt aber klar: “Für uns ist Digitales und Print gleichermaßen wichtig“. Das sind große Pläne. Ist das für die kleineren Redaktionen denn auch umsetzbar?

Keine Versprechungen machen, die man nicht halten kann

„Man muss glaubwürdig bleiben und den Leuten keine Versprechungen machen, die man nicht halten kann. Ehrlich sich selbst gegenüber und seinen Kollegen sein; man kann nicht immer mehr Container auf das Redaktionsschiff aufladen und sich am Ende darüber wundern, wenn das Schiff sinkt“, sagt Heer. Die Heilbronner Stimme hätte Benchmark-Untersuchungen durch alle Abteilungen gemacht, das Ergebnis war, dass die Redaktion die Arbeitsbelastung besser ausgleichen müsse. Oder kurz: Keine Luftschlösser bauen, jeder nach seinen eigenen Kapazitäten. Die mitunter aber größer sein können, als die Beteiligten selbst glauben.
Die Umstrukturierung betrifft nicht nur Online. Ein neues Zeitungslayout und neue Zeitungsstrukturen wollte das Blatt langfristig etablieren. „Auch dabei muss man gewichten lernen“, sagt Heer. Die Zeitung solle ein „tägliches Magazin“ werden, entschleunigter. Bei der derzeitigen Meldungs- und Nachrichtenflut könne sie als Nachrichtenmedium nicht weiter bestehen, stattdessen sollte es mehr um exklusive Inhalte gehen. Nicht mehr „jede kleine Agentur-Meldung reinquetschen“, sondern vor allem die regionalen, einzigartigen Artikel im Auge behalten. Ein Ziel der Heilbronner Stimme sei es auch, jeden Tag eine Themenseite zu gestalten – und zwar selbst. Was eine Herausforderung würde, aber „wir wollen noch eine zusätzliche Leseseite schaffen, die sich von dem Terminjournalismus, den ich gänzlich ablehne, unterscheidet“, so Heer. Ähnliches soll auch die „freizeit“, das Stimme-Magazin zum Wochenende realisiert werden.

Der Heilbronner Weg ist ambitioniert. Wie er sich im Alltag umsetzen lässt, und ob er seinen hohen Ansprüchen auf Dauer gerecht wird, wird sich zeigen. Verkaufen und begeistern kann Heer aber schon ziemlich gut.

Jäger: Qualitativer Journalismus mit freien Mitarbeitern

Um ein ganz anderes Themenfeld — freie Mitarbeiter — geht es in dem Beitrag von Monika Jäger. Die Freien „müssen aus ihrer Isolation geholt und vernetzt werden. Freie nehmen auch Termine war, wenn wir es mal nicht können, sie sind wichtig für den Lokaljournalismus “, sagt sie. Die Freien in der Redaktion hatten ein ganz eigenes Profil und eine eigene Motivation. „Das Geld ist es jedenfalls nicht, so viel bezahlen wir nicht“, sagt Jäger schmunzelnd. Das Schreiben nutze kaum einer, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Stattdessen ginge es ihnen eher um Freizeitgestaltung – besonders im Alter, es seien nur noch wenige freie Mitarbeiter jung –, um das Hobby oder den persönlichen Imagegewinn. „Die Redaktion muss jeden freien Mitarbeiter nach seinen Interessen und Fähigkeiten einsetzen, die Allzweckwaffe gibt es nicht mehr“, sagt Jäger. Also: Aufgabenverteilung nach „Komfort-Zone“. Verlässlichkeit und Transparenz sollten die Arbeit mit den Mitarbeitern bestimmen, vor allem auch ein kritisches, aber konstruktives Feedback zum Schreibstil, den Fotos und die Arbeitsabläufe. Rekrutierung funktioniere gut über Seminare und Mund-zu-Mund-Infos, manchmal würden auch aus Praktikanten freie Mitarbeiter. Jens Nähler von HNA-Online bringt aus dem Plenum ein, dass die HNA sehr gute Erfahrungen damit gemacht hätte, Freie über Facebook zu gewinnen.
Jägers Berichte über die intensive Mitarbeit der Freien, und ihre Motivation, ruft auch Kritik hervor. „Für mich spricht das nicht unbedingt für die Redaktion“, meint ein Kollege aus dem Plenum. „Für mich spricht das für gut ausgebildete freie Mitarbeiter“, erwidert Jäger.

Borowski: Eigenständiger Online-Journalismus mit multimedialen Kooperationen

Nach dem Exkurs zu den freien Mitarbeitern spricht Borowski, Leiter der Online-Redaktion bei der Augsburger Allgemeinen, über die neuen Instrumente, die seinen Bereich weiterbringen.
Borowskis Redaktion hat eine Metered-Paywall. „Wir setzen auf Reichweite und paid content – und Reichweite schafft man durch einen Themenmix“. Auch Suchmaschinenoptimierung  sei ein wichtiges Instrument um Reichweite zu gewinnen und gleichzeitig ein alltäglicher Bestandteil der Arbeit. Die Arbeit der Online-Redaktion geht dabei weit über technische Betreuung hinaus: „Wir schaffen in der Online-Redaktion selbst Inhalte“. Auch im Lokalen. Wobei die Onliner sich diesen Posten erst erstreiten mussten. „Wir sitzen jetzt seit vier Jahren am Konferenztisch mit bei Print und stellen auch die Themen zuerst vor. Aber bis dahin war das ein langer Weg.“ Wie kontrolliert man bei Online Qualität? Automatisierung, das Vier-Augen-Prinzip, und die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem Lokalen gehörten zu den Standard-Mitteln der Qualitätskontrolle, so Borowski. Das kann auch deswegen so gut funktionieren, weil die Redaktion personell ziemlich gut ausgestattet ist: Von 6:30 bis 23 Uhr arbeiten sichern sechs Redakteure den Online-Dienst, dazu kommen Bereitschaftsdienste. Sehr gut ist eine multimediale Reportage zur Augsburger Bombennacht gelaufen, die die Online-Redaktion zusammen mit einem technischen Dienstleister auf die Beine gestellt hat: www.augsburger-bombennacht.de.

Binner: Probleme analysieren und handeln

Sylvia Binner berichtet, wie man Qualitätsmanagement im Lokalen beim Bonner General-Anzeiger ganz konkret umsetzte: Durch eine detaillierte, systematische und langwierige Analyse des eigenen Produkts. „Wir haben uns hingesetzt und über einen Zeitraum von vier Wochen die eigene Zeitung von den Redakteuren selbst auswerten lassen“. In einem neutralen Zeitraum, ohne Großereignisse wie Karneval oder Urlaubsphasen sollte die Evaluation fallen; es wurde November 2012. Die Kollegen haben dabei nie die eigenen Artikel und Bereiche ausgewertet, sondern die der anderen. Wichtig sei die Arbeit mit Marktdaten gewesen, so holte man auch das Marketing ins Boot. Woher kommen die Lesen, und lese sie genug aus ihrer Region? Ein weiteres Kriterium war der Gattungsmix. Wie viele Kommentare, Interviews, Reportagen, Meldungen sind im Blatt? Ins inhaltliche Detail ging es bei der Recherchetiefe – wie viele Quellen werden genannt—, Genderaufteilung in der Zeitung, und bei den Themen (Bauthemen, etc.). Die Ergebnisse seien sehr authentisch gewesen. „Die Kollegen waren teilweise geschockt. Wir hatten sogar Aufmacher ohne Quelle, auch das gab es. Auch der Gattungsmix war nicht besonders gut, in bestimmten Lokalteilen lief an manchen Tagen kaum eine Reportage.“ Der positive Effekt: Direkt nach der Bekanntgabe der Ergebnisse hat sich etwas verändert. Massiv. Das wichtigste Ergebnis war, dass gegenüber Geschäftsführung mit dieser Datenlage Lokalredaktionen verstärkt werden konnten. Der Gattungsmix wurde ausgebaut. Es lief, denn: Die Probleme waren nach der Erhebung greifbar, man hatte mit den Daten eine Basis, von der aus die Redaktion mit der Chefetage weitere Schritte entwickeln konnte. Es war zwar eine „sehr zähe Angelegenheit“, aber der Blick auf die journalistische Qualität sei geschärft worden. Aus manchen Gebieten kam positives Feedback: vor dem neuen Kurs sank die Auflage, weil es kaum originäre Inhalte gab, danach hatte sie sich stabilisiert und es kamen positive Rückmeldungen von den Lesern.  Problem: Diese Perspektive schläft schnell wieder ein, wenn man sie nicht wiederbelebt. „Wir müssen noch mal neu auszählen, ständig neu dahinter her sein. Eine Atempause ist wichtig, aber danach muss es weitergehen“.

Dass man sich ständig neu darum bemühen muss, am Ball des Qualitätsjournalismus zu bleiben, die Routine zu überkommen, gilt wohl überall.

Input: Was bringt der Regiodesk?

Input zum Thema RegiodeskEffizienz, mehr Zeit, mehr Qualität, entlastetes Personal: Das alles soll der Regiodesk schaffen. Doch hält er das Versprechen, guten Journalismus zu fördern auch ein, oder ist er nur ein Vorwand, um Geld einzusparen – und Personal? Jörg Manhold erzählt im Input „Regiodesk – hohe Schule des Newsrooms oder doch nur ein Sparmodell?“, wie das Modell beim Bonner General-Anzeiger umgesetzt wird. Und ob es seinen Ansprüchen gerecht wird. Der General-Anzeiger hat einen riesigen Newsroom mit einem Regiodesk, einem Service-Desk, einem Super-Desk, einem weiteren Lokal- und einem Manteldesk. Ein Desk-System, das sogar Besucher aus anderen Redaktionen anlockte. Im Idealfall sitzen acht der insgesamt zehn Editoren am Regiodesk, je ein fester Editor für eine der sechs Ausgaben, die restlichen Editoren versehen Sonderdienste, z.B. als Springer oder Spätdienst. „Vorher waren wir dezentral, wir hatten unsere Lokalzeitungen in den Außenredaktionen, und was die produziert haben, haben die anderen teilweise erst am nächsten Morgen gesehen.“ Einheitlicher sollte es werden, und dafür war es nötig, die Arbeitsprozesse, die Kommunikation zu synchronisieren. „Wir haben dann in einer Arbeitsgruppe alles selber entwickelt, Inhalt der Zeitung, Aussehen, Kommunikationsabläufe, aber auch die Ausstattung des Newsrooms“, sagt Manhold. Auch Schulungsinstrumente seien dabei gewesen, ein gemeinsames Verständnis von Qualität – ein Gesamtpaket für Inhalt und Form.

Besserer Informationsfluss

„Erzählen Sie mal: Wie läuft es mit dem Regiodesk im Alltag?“ , möchte Moderatorin Dr. Kerstin Loehr, Wolfsburger Nachrichten, wissen. „Es ist ein Erfolgsmodell – und auch alternativlos“, antwortet Manhold. Alternativlos deswegen, weil man schnell und zentral kommunzieren muss, der Informationsfluss zügiger, besser und transparenter sein muss, um ein gutes Produkt zu liefern. Die Entscheidungsprozesse liefen viel flüssiger als früher, und die Entfernung zwischen den Redaktionen hätte man mit dem Desk gut überbrückt. „Die Qualität der Absprachen ist wesentlich besser. Wir haben uns diszipliniert.“ Heute gebe es beim General-Anzeiger mittelfristige Planungsrunden, früher sei mehr von der Hand in den Mund gelebt worden.

Das Plenum will es genauer wissen: Wird der Outlookkalender von den Außenredaktionen mit eingepflegt? Dem Bonner General-Anzeiger war es wichtig, dass alle mitwirken, sagt Manhold. „Wenn Editoren oder Reporter denken, dass sie die Handlanger des anderen sind, kann das nicht funktionieren“. Dass alle mit Mails und Kalender arbeiten, Termine sehen und verteilen können, sei ein wichtiger Moment der gemeinsamen Identität im Arbeitsalltag. Die Editoren sortieren die Termine vor, entscheiden, was als Termin gelten könnte, und versehen ihn mit einem blauen Button. Manhold betont, dass Editoren auch schreiben könnten, und es ebenfalls wichtig sei, dass die Reporter – auch die Chefreporter – an der Gestaltung beteiligt werden, damit diese es nicht „verlernen“. „Insofern ist es ganz gut, dass die beim Sonntagsdienst mitmachen müssen“, sagt Manhold und lacht.

Die Größe setzt Grenzen

Das System habe aber auch Grenzen. Manhold meint, dass bei einem sehr großen Verbreitungsgebiet mehrere Regiodesks sinnvoll seien. Eine Gruppe von zehn Personen pro Desk findet er genau richtig. „Aber man muss sich natürlich erst einarbeiten“. Und jetzt kommt die Diskussion zum Kern: War der Bonner General-Anzeiger auch aus Spargründen auf den Regiodesk angewiesen? Ging der Umbau auf Kosten von Stellen? „Ich kann nicht sagen, dass wir personell gespart haben. Aber neue Leute haben wir auch nicht eingestellt“, sagt Manhold. Also hat man mit den Leuten gearbeitet, die da waren. „Am Anfang wollten alle Reporter werden. Heute merken die Kollegen, dass die Editoren auch gelegentlich zum Schreiben kommen – und sehr strukturierte Arbeitszeiten haben. Das finden manche gar nicht schlecht“, erzählt Manhold.

Aber würde man den Desk deshalb als Chance für den journalistischen Nachwuchs sehen? Laut Manhold sei seit dem Desk eine unglaubliche Dynamik in die Redaktion gekommen. Gleichzeitig habe sich die Möglichkeit verbessert, sich auf einen Bereich zu spezialisieren. Aus Editoren seien Lokalchefs geworden, aus Reportern Editoren.

Ob die Arbeitsgruppe in den nächsten Tagen zu ähnlichen Ergebnissen kommen wird? Mal sehen.

 

Qualitäts-Podium: Wissen, für wen man schreibt – und handeln

Podiumsgespräch: Ist das Qualitätsjournalismus oder kann das weg?

„Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“ hat Medienwissenschaftler Russ-Mohl mal gesagt. In der Podiumsdiskussion „Ist das Qualität oder kann das weg?“ versuchen wir es trotzdem. Die Diskussion wird heiß laufen. Auf dem Podium sitzen Isabell Funk, Chefredakteurin Trierischer Volksfreund, Karsten Lohmeyer, Journalist und Blogger, sowie Ralf Freitag, Leiter Medien und Kommunikation bei der Lippischen Landeszeitung. Die freie Journalistin und Seminarleiterin Anke Vehmeier moderiert und steigt hart ein. Ist das Konzept Newsdesk gescheitert? Laut Funk eine Fehlmeldung. Alles eine Sache der Organisation und Verteilung von Kompetenzen. Sie hätten die Zuständigkeiten erweitert – die früheren Reporterchefs sind heue Lokalchefs, sagt Funk. Zu Umstrukturierungen des Newsdesks im Namen der Qualität hat vor allem Freitag etwas zu erzählen, und berichtet vom „Cockpit“-Modell: „Wir haben Layouter, Editoren, wir haben Reporter – das wollen wir so verändern, dass wir am Newsdesk diejenigen platzieren, die Zeitung strategisch weiterdenken, gemeinsam im Team.“ Gegenseitige Vertretung sei das Credo, die Produktionslinien würden mehr ins Lokale verschoben und die Verantwortung des Einzelnen gestärkt. Ein Cockpit, in dem Steuerung und eine klare Zielsetzung eine Rolle spielen – mit Leuten, die das Steuer aber auch tatsächlich in den Händen halten dürfen. Entwicklungen wie eine Dialogstruktur auf der Homepage würden bis an den Newsdesk rückwirken. Die Führung soll daher erstmal ins Cockpit, damit eine gemeinsame Idee entwickelt werden kann, wie man die Qualität verbessern will. Lohmeyer tritt mit einer ganz anderen Perspektive an journalistische Qualität heran. Er meint, dass Corporate Publishing – welches er betreibt – und Journalismus ganz hervorragend zueinander passen. Der Unterschied sei aber vor allem der gesellschaftliche Auftrag des Journalismus, und die Ausbildung der Redakteure. Dies schlage sich auch im Qualitätsbegriff wieder, da im Corporate Publishing Fehlerfreiheit beispielsweise eine große Rolle spiele.

Fehlerfreiheit vs. klassische Tugenden

Wir alle wissen, dass jeden Tag Zeitungen erscheinen, wo selbst auf der Titelseite Fehler zu finden sind – müssen wir nicht erst an den Basics arbeiten, bevor wir über große Strategien sprechen? fragt Vehmeier provokant. Freitag wisse, so sagt er, „die Dynamik“ der Zeitungen durchaus zu schätzen, und meint damit wohl, dass es keine Fehlerfreiheit geben kann, wenn es darum geht, auf die Schnelle ein gutes Produkt zu liefern. Zudem seien die Versuche, Sicherungsebenen gegen Fehler einzubauen, im eigenen Haus eher gescheitert, weil sich die Korrekturinstanzen jeweils zu sehr aufeinander verlassen hätten und der Aufwand das Ergebnis nicht gerechtfertigt hätte. Letztlich gehöre fehlerfreies Arbeiten zur journalistischen Grundausbildung. Tenor: Bei den Wurzeln bleiben, und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dazu passt, was Lohmeyer von seinen Unterhaltungen mit den „jungen wilden Bloggern“ erzählt, die viele Traditionsblättern kritisieren, aber selbst auch nicht unbedingt bessere Inhalte liefern. Es sei für alle eine Herausforderung – die größte Herausforderung überhaupt– die vielfältigen Bedürfnisse der Leser zu erkennen.

Auf die Leser kommt es an, und die sind regional verankert

Und so langsam wird klar, was Russ-Mohl mit dem Pudding meinte. Die unterschiedlichen Qualitätsverständnisse sind schwer zu fassen, verändern sich ständig. Aber, und hier ist der Pudding festgenagelt, auf die Leserbedürfnisse kommt es an. Und die sind nicht überall gleich.  Für Funk ist ein wichtiges Kennzeichen von Qualitätsjournalismus die Überraschung. Und die Regionalisierung. Eine Zeitung, die man in Cottbus macht, könne man in Trier nicht verkaufen; für Funk hat Zeitung eine individuelle „Seele“, und auch Qualitätsbegriffe müssen sich an Regionen ausrichten. Und mit Regionen sind auch die Leser gemeint, die in ihnen leben: Freitag sagt, dass man Qualität sehr wohl definieren könne: Man muss wissen, was für die Leser am wichtigsten ist, und das sei schon lange kein Bauchgefühl mehr, sondern basiere auf harten Zahlen. Für Frau Funk sei der Online-Dialog da ein wichtiges Feedback. Wer ist unser Leser überhaupt, und was bedeutet für ihn Qualität? Die Diskussion umkreist diese Frage, kommt immer wieder darauf zurück. „Nur wer den Leser fragt, mit ihm in den Dialog tritt, kann wirklich wissen, was er will; und es ist möglich, das zu tun “, sagt Funk am Ende. Alles andere seien Ausreden. Nicht jeder ist dieser Meinung.

Wie mit heterogener Leserschaft umgehen?

Einig scheint sich die Gruppe aber darüber zu sein, dass es „den“ Leser nicht gibt, sondern viele verschiedene Typen. Was Konsequenzen haben muss. „Wir können nicht mehr jeden Leser bedienen und müssen uns entscheiden. Das Modell des Gemischtwarenwarens stelle ich in Frage, zudem der Kauf einer Zeitung immer mehr zu einer bewussten Entscheidung wird“, sagt Freitag. Eine Zeitung zu beziehen gehöre heute einfach nicht mehr zur Sozialisation, sei nicht mehr selbstverständlich. Man müsse den Leser mit guten Gründen überzeugen. Und das können verschiedene sein. „Man muss dafür in die Debatte rein – nicht nur in der Redaktion, sondern auch mit dem Verlag.“ Um Qualität zu sichern muss eine Redaktion wissen, wer die Leser sind, was sie genau wollen, wo ihre Spezialinteressen liegen. Wissen für wen die Journalisten schreiben wollen – und handeln. Alle ins Boot holen. Einen Punkt finden, wo das Qualitätsmanagement ansetzt. Eine dieser Interessen kann die Vereinsberichterstattung sein. Sollte man sie im Blatt abdecken? Oder auslagern und mehr auf eigene Themen setzen? Während das Auslagern nach Freitags Einschätzung nicht überall funktioneren würde, meldete sich Frank Schmälze vom Nordbayerischen Kurier und sagt, dass das Modell überall gut umsetzbar sei – der Kurier selbst hätte nur wenige Abbestellungen deswegen gehabt, und dabei sehr viel Personalkapazität gewonnen.

Online bringt Chancen, aber Fingerspitzengefühl bleibt wichtig

Aber wohin führt dieser Schritt, Berichte über Spezialinteressen einen eigenen Raum zu verschaffen? Wenn der universell interessierte Zeitungsleser ein Auslaufmodell ist, müssen die Verlage dann viele verschiedene Zeitungen anbieten? Kanäle unterschiedlich bespielen? „Wir müssen den Anteil an selbstgesetzten Themen erhöhen, angepasst an die Leser der Region“, sagt Freitag. „Ich glaube, dass wir in Zukunft ganz konsequent unterschiedliche Printmedien bespielen müssen.“ Eine riesige Chance besteht laut Jens Nähler von der HNA-Online-Redaktion darin, dass im Netz die Titelseite ohnehin ihre Bedeutung verliert. Sie funktioniert nicht mehr als Filter, sondern der User findet über soziale Medien direkt in den gewünschten Artikel. Eine Erkenntnis des Innovation Report der New York Times, der vor wenigen Tagen veröffentlich wurde, besagt, dass die Leser oft aufgrund sehr spezieller Interessen Inhalte finden; eine wichtige Frage ist, wie man es technisch möglich macht, sie zum passenden Angebot zu führen und dann auch zum Bleiben zu bewegen. Auch Funk bestätigt, dass oft die Artikel beliebt seien, die in Sozialen Medien eine hohe Resonanz haben. Lohmeyer betont, dass man seine Inhalte auf allen Kanälen verkaufen müsse – und dafür bräuchte man auch ein gewisses journalistisches Fingerspitzengefühl. „Das eine sind Daten, die wir haben, wir wissen heute mehr über den User; aber den Ausschlag gibt letztendlich auch das journalistische Gefühl, die Daten richtig einzuschätzen und die Artikel richtig zu platzieren.“ Sylvia Binner, Cvd beim Bonner General-Anzeiger, berichtet, dass es manchmal auch einfach eine Rolle spiele, den Zeitgeist zu treffen. Ihre Redaktion habe kürzlich online gute Erfahrungen mit einer Geschichte gemacht, in der es um ein verlassenes Haus ging. Diese habe die gesellschaftliche Relevanz und die Angst vor Einsamkeit und Verlassenwerden gut zum Ausdruck gebracht.

Es geht nur im Team

Liegt die Zukunft beim klassischen Online oder Mobile Journalism, möchte Vehmeier wissen. „Wie wäre es mit gutem Journalismus?“, sagt Funk und lacht. Sie betont die traditionellen Werte, Recherche, gute Nachrichten: „Lassen Sie uns doch endlich wieder über Journalismus reden“. Jens Nähler widerspricht ihr später: Der Bericht der New York Times habe auch deutlich gemacht: Angebote wie Buzzfeed würden zulegen, Online wird Qualitätsjournalismus sichtbar. Doch was ist mit der Machbarkeit? Die wird in der Diskussion immer mehr zum Thema: Viele fragen, immer wieder, wie all die neuen Strategien mit wenig Personal überhaupt umgesetzt werden können. Die Arbeit in der Redaktion wird von vielen als Nullsummenspiel wahrgenommen. Oft müsste ein Kollege ohnehin die Arbeitet mehrerer anderer schultern. Was macht man mit diesen strukturellen Defiziten? „Weglassen, differenziertes Hinsehen, und mit den Kollegen besprechen, wohin man geht“, ist das Rezept einer Redakteurin aus dem Plenum. Andere sehen die Verantwortung bei den Verlegern und Chefs, die ihnen den Rücken stärken müssen, um den neuen Strategien gewachsen zu sein. „Daran können wir nichts ändern“, erwidert Funk. „Das Stöhnen über diese Zustände“ kenne sie auch, aber auch in den oberen Etagen sei man gezwungen, mit seinen Personalkapazitäten zu haushalten.

Das und noch viel mehr wird diskutiert. Am Ende kommt Anke Vehmeier noch mal auf den „Qualitätspudding“ zurück. Welche Zutaten braucht er nun, der Qualitätsjournalismus?

„Überraschung“, sagt Funk.

„Fesseln, möglichst viele Perspektiven anbieten“, sagt Freitag.

„Klassische Journalistische Tugenden in die heutige Zeit übertragen“, sagt Lohmeyer. „Sich neuen Technologien öffnen, ohne sich ihnen zu unterwerfen.“

Na dann. Mal sehen, was die Arbeitsgruppe zu Qualität und Qualitätssicherung noch in den nächsten Tagen zu dem Thema zusammenträgt. Auf Nägel, um den Pudding an die Wand zu bringen, hat das Podium zumindest schon mal hingewiesen.

Es geht los: Die neue DNA des Lokaljournalismus

Die Vorstellungsrunde beginntDraußen strahlender Sonnenschein und grüne Wiesen, drinnen an die 40 motivierte Journalisten in barockem Ambiente: Das Seminar „Die neue DNA des Lokaljournalismus“ im Kloster Irsee bei Kaufbeuren hat vor kurzem begonnen, und es verspricht, spannend zu werden. Ob CvD oder Lokalredakteur, ob nach 800km Fahrt aus Kiel oder von nebenan aus Bayern, viele unterschiedliche Lokaljournalisten treffen hier zusammen, erarbeiten in vier Arbeitsgruppen neue Konzepte zum Thema Recherche, Qualität, Newsdesk/Regiodesk und Online-Öffentlichkeiten und denken die Best-Practice-Inputs für ihre Redaktionen weiter. Die Vorstellungsrunde gerade, in der sich die zufällig nach berühmten Paaren (Stichwort: Ernie und Bert) zusammengewürfelten Redakteure interviewten und einander vorstellen, zeigt, wie vielfältig die Gruppe ist – doch es gibt einige Wünsche, die sie einen, ob es darum geht „die Betriebsblindheit hinter sich zu lassen“, oder ihre Leidenschaft für das Lokale, wo die großen Themen im Kleinen „durchdekliniert werden“, auf allen Kanälen an die Menschen zu bringen. Wir warten gespannt auch auf die abendliche Podiumsdiskussion, wo wir mit Isabell Funk, Chefredakteurin Trierischer Volksfreund, Blogger und Journalist Karsten Lohmeyer und Ralf Freitag, Leiter Medien und Kommunikation Lippische Landeszeitung hoffentlich so richtig kontrovers und bereichernd diskutieren über „Ist das Qualitätsjournalismus oder kann das weg?“
Hier schon ein paar Impressionen von der Örtlichkeit und dem ersten Kennenlernen:

 

Hier durften sich die Teilnehmer mit ihrem Foto auf einer Deutschlandkarte verorten Außenansicht auf das Tagungshaus Über diese barockigen Stufen schreiten wir zum Plenumssaal Blick in das Plenum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Interviews zum Kennenlernen

 

Zwei Reporter auf crossmedialer Expedition in 15 EU-Ländern

Joris_Tom_eu_text_62c447Korrespondentenberichte für Web, Radio und Print liefern der freier Journalist Tom Sundermann und der Hörfunker Joris Gräßlin gut zwei Wochen lang täglich aus insgesamt 15 EU-Ländern. Empfänger sind die Radiohörer von sieben Lokalsendern in Ostwestfalen-Lippe, die Leser der Zeitung Neue Westfälische (NW) sowie die Websitenutzer beider Medien. Wie das genau funktioniert, erzählten uns die Koordinatoren. Weiterlesen