„Leser hautnah – im Netz und im Festzelt: Wege einer Annäherung“ präsentierten am Mittwoch Sabine Hergemöller (Lippische Landeszeitung), Johann Stoll (Mindelheimer Zeitung) und Daniel Fiene (Rheinische Post). Wie erreiche ich meine Leser? Diese Frage stellt sich jede Lokalzeitung. Eine Antwort lautet: Indem ich meine Leser erstmal kennenlerne.
„Lippe hautnah“ heißt das Projekt der Lippischen Landeszeitung unter der Leitung von Sabine Hergemöller. Das Konzept: Ein Journalisten-Team bestehend aus freien Mitarbeitern schließt sich zusammen und berichtet crossmedial (online, im Radio und im Blatt) aus der Region und spricht dabei direkt mit den Lesern. Und das nicht nur für ein paar Minuten, sondern mit viel Zeit im Gepäck. Das Team fährt auch in kleine Gemeinden, berichtet aus Scheunen und von Dorfplätzen.
„Wir möchten vor Ort Themen sammeln, die es ohne das Projekt nie in die Redaktion schaffen würden. Dafür teilen wir rote, gelbe und grüne Karten aus. Darauf kann jeder schreiben, was ihn stört, interessiert und was die Bewohner in ihrem jeweiligen Dorf bemerkenswert finden. Diese Möglichkeit, sich zu äußern, nehmen sehr viele wahr“, berichtet Hergemöller.
In einigen Dörfern sei man ihr aber auch mit Ablehnung begegnet: „Wir wurden gefragt: Was will die Zeitung hier bei uns? Wir kommen doch in eurem Blatt gar nicht vor!“ Dieser Vorwurf sei auch berechtigt, räumt die Journalistin ein.
Mit der Resonanz auf das Projekt „Lippe hautnah“ ist das Team jedoch zufrieden. „Erst unser Zuhören und Ernstnehmen dieser Menschen und ihrer Themen durch sorgfältige Aufarbeitung führt in diesen Dörfern wieder zu mehr Vertrauen unserer Zeitung gegenüber, das wir uns in der Vergangenheit häufig durch Nichtbeachtung verscherzt hatten.“
Auch Johann Stoll, Chefredakteur der Mindelheimer Zeitung, hat sich auf den Weg zu seinen Lesern gemacht. Was zunächst unkonventionell klingt, löste letztlich ein positives Feedback aus: Mit Kuchen und Gebäck in der Tasche spazierte der Redaktionsleiter durch das „Kaffeegäßchen“, eine kleine Straße in Pfaffenhausen. Dabei klingelte er ohne Vorankündigung an den Haustüren und lud sich kurzerhand selbst zum Kaffee ein. „Man muss sich bewusst machen, dass wir Journalisten oft einfach zum Establishment dazugehören, ein Großteil der Leser aber nicht. Es ist ein großer Unterschied, ob die Menschen in meiner Stadt nur lesen, was ich über sie schreibe, oder ob ich persönlich vor ihrer Haustür stehe“, berichtet Stoll. Wie offen seine Gastgeber letztlich waren, habe ihn selbst überrascht. Nicht nur im Kaffeegäßchen, auch in der Glücksstraße suchte der Redaktionsleiter das persönliche Gespräch: „Ich hab mich vorgestellt und gesagt: Wir suchen hier das Glück!“ Offenheit und Mut wurden auch hier belohnt. Die Menschen erzählten teils sehr persönliche Geschichten und zeigten damit, dass sie es wertschätzen, wenn Journalisten Interesse zeigen. Am Ende hat Johann Stoll das Glück sogar gefunden: „’Da sind Sie bei mir richtig‘, sagte einer, ‚ich hab grad meinen Rentenbescheid bekommen!’“ Vielleicht gibt es ja auch in Ihrem Ort eine Glücksstraße, in der Sie selbst auf die Suche gehen können?
Zuletzt berichtete Daniel Fiene, Leiter des Audience Engagement Teams der Rheinischen Post in Düsseldorf, von einer ganz anderen Art des „Zuhörens“. Seit 2017 hat die Rheinische Post ein sogenanntes „Listening Center“ – ein Suchsystem, das im Netz Themen entdeckt, über die viel diskutiert wird. „Das Computerprogramm durchsucht in Echtzeit 400.000.000 Quellen im Netz. Darunter sind Facebook, Instagram, Twitter, Pressemitteilungen, aber auch Foren und Blogs – also Seiten, auf die wir vielleicht nicht kommen würden“, erklärt Fiene. Wenn ein Thema viral geht, erfahren die Journalisten es sofort. Das System wird nun mit immer mehr Lokalredaktionen verknüpft, für jeden kleinen Ort durchsucht das Listening Center Suchanfragen.
Vier Devisen hat der Social Media Manager der Rheinischen Post den Teilnehmern mitgebracht – natürlich auf Rheinisch:
- Direk hüre, wat der Leser sät (Direkt hören, was der Leser sagt)
- Üvver alle Kanäl Leser anspreche (Über alle Kanäle den Leser ansprechen)
- Üvverall met Leser schwade (Überall mit Lesern sprechen)
- Et Ergebnis messe un optimiere (Das Ergebnis messen und optimieren)
„Ja, wir brauchen dieses System“, fasst Fiene zusammen, „denn wir leben heutzutage in unseren Filterblasen, digital und analog. Um dagegen etwas zu tun, müssen wir relevant bleiben. Und relevant sind wir dann, wenn wir über das berichten, was die Menschen in diesem Moment beschäftigt.“