So funktioniert’s – wie gute Geschichten entstehen, darüber berichteten heute Anna Sprockhoff, Redakteurin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide, und Benjamin Piel, Redaktionsleiter der Elbe-Jeetzel-Zeitung aus Lüchow. Moderiert wurden die Vorträge von Maike Scholz, Redakteurin bei der Schwäbischen Zeitung in Laichingen und Leiterin der Arbeitsgruppe 4.
Was ist eigentlich eine Geschichte? Mit dieser Frage eröffnet der Journalist Benjamin Piel seinen Vortrag und richtet sie gleich an die Teilnehmer. Einen Punkt treffen, der die Interessen vieler bindet, lautete eine Antwort, eine Dramaturgie müsse so eine gute Geschichte haben, sagte ein anderer. „Wir reden eigentlich ständig über Geschichten: Hier müssen wir noch eine Geschichte drüber machen und wer macht die Geschichte zu XY – wirklich erzählen tun wir sie aber viel zu selten“, konstatiert Piel.
Für Benjamin Piel besteht eine Geschichte stets aus mehreren Ebenen: Handlung, Dramaturgie, das heißt: die Einteilung in einen Anfang, eine Entwicklung und ein Ende, sowie den Zeitraum, in dem sie sich abspielt. Die Handlung sei dabei der Kernaspekt. „Ich persönlich stelle fest, dass gute Geschichten meist außerhalb der Redaktion stattfinden. Ich muss als Journalist also ‚raus‘ zum Schauplatz meiner Story.“
Der Bericht ist gut, die Geschichte ist stärker
Um die Geschichte letztlich auch an den Leser zu bringen, ist der Zugang von großer Bedeutung: „Wenn ich einen Zugang finde, braucht es nicht unbedingt einen Anlass“, erklärt Piel anhand eines Beispiels, das die Teilnehmer zuvor gemeinsam gelesen haben. In dem Artikel begleitet Piel eine Gruppe befreundeter Rentner, die sich bereits zu Lebzeiten entschieden haben, dass ihre Asche einmal unter einem Baum vergraben werden soll. Diesen Baum suchen sie nun. „Hier ist das Thema Altersvorsorge. Langweilig, unangenehm, das schiebt man gerne vor sich her. Aber diese Geschichte verschafft dem Leser einen persönlichen Zugang.“ Geschichten, erklärt Piel, seien die Antwort auf die Herausforderung, nicht zu langweilen.
„Eine gute Geschichte entsteht nicht durch Zufall“, hält er fest, „in den meisten Fällen bedarf es genauer Vorbereitung und Planung“. Ebenso wie der gewählte Zugang sei auch der Fokus wichtig: „Der Fokus sagt eben nicht: Die Geschichte ist schon vorher geschrieben, sondern er hilft, das im Auge zu behalten, was wichtig für das Thema und das Verständnis ist.“ Schließlich sei natürlich auch die Wahl des Protagonisten essentiell, nickt Piel auf eine Frage aus dem Publikum. „Natürlich gehe ich nicht davon aus, dass die Protagonisten zu mir kommen. Die muss ich suchen und zwar wiederum außerhalb der Redaktion.“ Den Protagonisten und sein Thema nahbar zu machen, das könne kein Bericht so gut wie eine Geschichte.
Leser wollen nahbare Geschichten, die sie berühren. Damit solche gelingen, hat Piel drei Leitsätze formuliert:
- Geschichten sind kein Zufall, sondern eine Entscheidung des Redakteurs.
- Der Fokus, den der Redakteur setzt, entscheidet über Wohl und Weh der Geschichte.
- Wenn Journalisten konsequent Geschichten erzählen, bleibt das nicht ohne Feedback und Konsequenz – diese Reaktionen sind das Ziel, denn dann bewegt Journalismus etwas.
G’schichten vom Land
Anna Sprockhoff mag Landluft. Denn da ist sie aufgewachsen, zwischen Pferdestall und Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland. Für eine Multimedia-Reportage über Flüchtlingskinder in Deutschland wurde sie mit dem Deutschen Journalistenpreis ausgezeichnet. Nicht nur Landluft, auch Geschichten „nah am Menschen“ mag sie besonders.
Die Geschichte hinter der Geschichte reizt sie immer wieder. Den Teilnehmern rät sie, „bewusst hinter die Fakten zu blicken, sich fragen: In welcher Form kann ich die Inhalte am besten vermitteln? Und scheuen Sie sich nicht, Zeit und Mühe in eine Geschichte zu investieren“.
Viel Zeit verbrachte Sprockhoff beispielsweise auf dem Hof von Bauer Blecken. Ein ganzes Jahr lang begleitete sie in einer monatlichen Serie die Familie, lernte dabei auch viel über Kühe. Die Tiere waren schon mehrmals Anlass für Geschichten – Sprockhoff ist nicht nur nah am Menschen, sondern auch am Tier und sie schafft die Verbindung. So war sie mal auf einer Veranstaltung, auf der Kuhbullen ausgezeichnet wurden, unterwegs und schrieb über den „Schicksalstag für Peter, den Bullen: Für ihn ging es um alles – darf er sich als Zuchtbulle fortpflanzen? Oder wird er geschlachtet werden?“ Längst hat Sprockhoff mit ihrer sympathischen Art, vor allem aber mit der Begeisterung, mit der sie von ihrer Arbeit erzählt, die Teilnehmer im Saal erreicht.
Damit auch bei den Lesern der Funke überspringt, verfolgt sie eine Strategie: „Viel mit den Menschen sprechen. Die meisten stimmen dem auch zu, wenn sie merken, dass man sich wirklich für sie interessiert.“ Daraufhin entspinnt sich zwischen den Teilnehmern eine Diskussion, inwieweit Geschichten vor Veröffentlichung von ihren Protagonisten gelesen werden sollten. Man kommt zu dem Schluss, dass dies im Ermessen des Einzelnen liegt, wenn es beispielsweise um sehr private Inhalte geht. Politiker z.B. sollten Geschichten über sich jedoch nie erhalten, um die kritische, ausgewogene Berichterstattung zu gewährleisten.
Auch Journalisten können nicht auf alles eine Antwort liefern
Zur Kommunalpolitik ist es da nur noch ein kleiner Schritt. Wichtig sei es, erklärt die Journalistin, Politiker nicht nur als Amtsträger, sondern vor allem als Persönlichkeiten zu sehen. „Es gibt immer Hintergründe: Warum handelt dieser Mensch so? Was sind seine Motive, welche Vergangenheit hat er? Wer macht ihm Druck, hat er Zweifel, woher kommt seine Eitelkeit?“ Gerade in kleinen Gebieten habe sie schon erlebt, wie die Emotionen hochkochen und ein enormes Spannungsfeld verursachen können, in dem sich dann die Akteure – also auch die Journalisten – positionieren müssen. Sprockhoff fordert hier „mehr Mut zum Erzählen“. Kommunalpolitik könne schwierig sein, räumt sie sein. „Und auch Journalisten können nicht auf alle Fragen eine Lösung liefern. Wenn es Vorschläge gibt, dann müssen wir sie präsentieren. Wenn nicht, dürfen wir das auch mal so stehen lassen.“
Anna Sprockhoff resümiert am Ende ihres Vortrags die für sie wichtigsten Aspekte für „richtig gute Geschichten“: „Sich vor dem Termin Gedanken machen, die eigene Routine hinterfragen, auch die Journalistenperspektive. Und Augen und Ohren offenhalten. Auch der Austausch mit Kollegen ist wichtig, denn in der Teamarbeit ergeben sich manchmal aus Meinungsverschiedenheiten ganz neue Ansichten. Und natürlich: hartnäckig bleiben.“