Thorsten Schilling, Fachbereichsleiter Multimedia der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, stieg mit einem Zahlenspiel in seine Eröffnungsrede ein: „14-39-120-8-80-200-20-175-23…“ Das waren keine wahllos herausgegriffenen Zahlen, sondern die Zahlen von Entlassungen seit Anfang dieses Jahres. „751 Kündigungen in vier Monaten“, sagte Schilling. Hochgerechnet würden sie bedeuten, dass wir „in 20 Jahren keine Journalisten mehr hätten.“ In diesen Zahlen glaubt Schilling „den Beginn eines strukturellen Wandels“ zu erkennen, „der unsere Gesellschaft grundlegend verändert.“ In der Gesellschaft insgesamt seien wir „teilnehmende Beobachter tektonischer Verschiebungen unserer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Grundlagen“.
Gerade in dieser Zeit seien Journalisten gefragt – „als Seismographen, Experimentatoren und kritisch suchende Akteure“. Allerdings sei noch unklar, wie der Journalismus sich angesichts der neuen Herausforderungen ändern müsse. Dass er sich ändern müsse, sei unbestritten. Das Gute an der Entwicklung sei, „dass zum ersten Mal in Deutschland eine breite öffentliche Debatte über den ökonomischen Wert und die gesellschaftliche Wertschätzung des Qualitätsjournalismus“ stattfinde.
Positiv sei auch, dass in den Redaktionen die Zuversicht wieder wachse, was die Studie „Die Zeitungsmacher“ vom Marktforschungsinstitut YouGov zeige. Es gebe immer noch etliche Leute „die für dieses Metier brennen“. Das Dilemma liege jedoch darin, dass die Verlage einerseits in talentierten Nachwuchs und digitale Technologien investieren müssten, andererseits für einen Großteil der Branche bereits feststehe, dass die Verlage sich organisch verkleinern müssten.
Schilling wollte den Anwesenden zwei Fragen mit auf den Weg geben.
„1.Wem überantworten wir die Finanzierung des Lokaljournalismus, wenn sich die Verlage aus dieser Verantwortung zurückziehen sollten?
2. Wie können wir den Beruf des Lokaljournalisten für den Nachwuchs attraktiv gestalten?“
Klar sei: „Die Verantwortung für das Funktionieren journalistischer Angebote liegt bei uns allen – den Bürgerinnen und Bürgern.“ Auch wir als Gemeinwesen müssten uns stärker verantwortlich fühlen für den Journalismus. Das heiße auch, sich zu wehren gegen „skrupellose Medienunternehmer“, denen mehr an Renditen als an Recherchen gelegen sei.
Die allmähliche Abkehr der Verlage vom Journalismus, die zu beobachten sei, mache es nötig, über Anreize nachzudenken, die komplementär zum reinen Marktmodell „denjenigen Journalismus stützen, der sich am Markt nicht mehr aus eigener Kraft behaupten kann“. Als „Plädoyer für eine Demokratieabgabe“ wollte Schilling diesen Gedanken jedoch nicht verstanden wissen. Vielmehr schwebe ihm eine „vernünftige Balance aus verschiedenen Finanzierungsquellen vor“.
Schilling wies auch auf Entwicklungen hin, die verpasst wurden, gerade auch inhaltlich. „Wo war der Lokaljournalismus, als Stuttgart 21 vor Jahren beschlossen wurde?“ Er fragte: „Wie lassen wir Dissidenz zu?“ Der Mainstream komme jedenfalls immer zu spät. Schilling appellierte an die Journalisten, auf ihr Selbstvertrauen zu setzen. Wenn das gelinge, gebe es auch Hoffnung für die Zukunft.