Das Feedback, das man als Journalist bekommt, kann ziemlich diffus sein. Heftiges Lob, heftige Kritik, oder viel öfter auch – Schweigen. Da kommt man schnell zu der Frage: Was und wie viel lesen die Leute eigentlich? Und welche Schlussfolgerungen kann die Redaktion für ihre Arbeit ableiten? Sebastian Tauchnitz, Redaktionsleiter bei der Thüringer Allgemeinen, berichtet spontan vom Auswertungs-Projekt „Lesewert“. 100 relativ neue Leser haben zwei Monate lang jeden Tag unter anderem in den 15 Lokalausgaben der Thüringer Allgemeinen mit einem Stift markiert, bis zu welcher Stelle sie Artikel gelesen haben.
Das Ganze wurde technisch aufwendig mit vielen Scannern ausgewertet. Lesewert sei readerscan ziemlich ähnlich. Im Vergleich zu readerscan sei es jedoch wesentlich günstiger. „Aber die technischen Voraussetzungen waren schwierig zu schaffen, und auch nicht ganz billig.“
Die Erkenntnisse: „Special Interest Themen laufen überhaupt nicht, Kolumnen und Kommentare hingegen sehr gut. Viele Kollegen in der Redaktion waren erschüttert von diesem Ergebnis“, sagt Tauchnitz. Auch Artikel, in denen mehrere Zahlen vorkamen, hätten die Testleser nicht sonderlich attraktiv gefunden. Einschließlich Info-Kästen. „Wir machen viele Kästen, ich finde das auch total schön“ – ein Lachen brandet durch den Saal – „aber gelesen wird das nicht“. Die Ergebnisse hätten auch auf die Arbeitsstruktur einen großen Einfluss genommen. Sie hingen aus, es gab eine tägliche Auswertung mit den betroffenen Redaktionen und zwei große Runden, in denen die Resultate besprochen wurden. Bei vielen Kollegen habe nach einer Zeit ein Umdenken eingesetzt. Bei anderen entwickelt sich eine Art „Quotenbesoffenheit“, eine Fixierung auf die Quote und die eigene Leistung. Die Redaktion habe jedoch von Anfang an klar gemacht, dass „Lesewert nicht genutzt wird, um einzelne Kollegen zu bewerten oder unter Druck zu setzen“. Sehr gute Lesequoten habe es bei Artikeln über Bauvorhaben gegeben – und eigens recherchierten Hintergrundartikel. Auch qualitative Serien würden gelesen und als Konsequenz ausgebaut.
Ein interessanter Nebeneffekt war, dass die Redaktion auch erfuhr, wann die Zeitung wie gelesen wird. „Früh wurden vor allem die kurzen Beiträge gelesen, die großen Lesestücke heben die Leser sich für abends aus, und lesen sie dann auch“, sagt Tauchnitz. Aber nur unter einer Voraussetzung: Sie müssen gut sein.
Guter Journalismus zahlt sich am Ende aus.