Jeder Journalist hat eine Haltung. Aber darf er die im Job auch zeigen? Oder muss Journalismus immer neutral bleiben und nur Pro und Contra abwägen? Wie Lokalzeitungen sich in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderung verhalten sollen, war Thema einer Podiumsdiskussion zwischen Stefan Aschauer-Hundt, dem ehemaligen Chefredakteur und Geschäftsführer des Süderländer Tageblatts, und Heike Groll, Sprecherin der Jury des Konrad-Adenauer-Preises.
„Wir haben uns als Zeitung, als Redaktion, aktiv in die Flüchtlingsarbeit in Plettenberg mit eingebracht und mitgeholfen bei der Zweitverteilung“, erzählt Stefan Aschauer-Hundt. „Es war die Phase ganz am Anfang des Jahres 2015 als im Prinzip jeden Tag ein Bus in Plettenberg ankam und der Bürgermeister morgens nicht wusste, wo die Flüchtlinge unterkommen sollten, wo das Erstaufnahmelager aus allen Nähten platzte und wir als Zeitung die Aufgabe mitübernommen haben, von dort aus Flüchtlinge in feste Wohnungen zu bringen.“ Der damals kleinste Verlag NRWs nutzte dafür seine Vertriebswagen – in der Not nicht zu helfen, war für Aschauer-Hundt, der damals Chefredakteur war und aus der Verlegerfamilie stammt, keine Option.
„Erstens haben wir das gemacht, weil es uns als Christen angesprochen hat, Hilfe zu leisten. Zweitens haben wir das gemacht, um Kontakt zu den Menschen und den Einrichtungen zu bekommen und einen Einblick zu bekommen, was da eigentlich los ist. Denn normalerweise kam man in dieser Zeit weder an die Flüchtlinge noch an die Stadtverwaltung ran, weil das rettungslose Chaos herrschte. Statistiken einzufordern, das ging überhaupt gar nicht.“
Wo wird Journalismus zu Aktivismus?
„Das hat mit Journalismus nichts zu tun, das ist bürgerschaftliches Engagement“, hält Heike Groll, Sprecherin der Jury des Konrad-Adenauer-Preises, dem entgegen und bezieht sich auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der sich mit der Meinungs- und Pressefreiheit befasst: „Unsere Aufgabe ist es zu berichten, zu informieren, natürlich auch Stellung zu beziehen, zu kommentieren, aber da steht nicht drin, dass es unsere Aufgabe ist, Hilfstransporte zu organisieren. Ich finde, dass damit durchaus eine Grenze überschritten wird.“
Aschauer-Hundt verweist auf die Geschichte der Verlegerfamilie Hundt, der das Süderländer Tageblatt bis um Verkauf an den Märkischen Zeitungsverlag Ende 2016 gehörte und die schon immer Menschen in Notsituationen geholfen habe.
„Die Menschen in Plettenberg haben sich nicht gewundert. Wir haben viele Leser getroffen, die das nicht nur akzeptiert, sondern gutgeheißen haben und anschließend auch selber motiviert waren, in irgendeiner Weise mitzuhelfen, etwas zu spenden oder Flüchtlinge einzuladen, sich also um das Thema zu kümmern.“
Damit sei es der Zeitung auch gelungen, zwischen den Bürgern, die für oder gegen die Unterbringung von Flüchtlingen waren, zu vermitteln und zu einem Klima der Verständigung beizutragen. „Zwei Städte weiter hat ein Flüchtlingsheim gebrannt, das ist uns zum Glück in Plettenberg nicht passiert“, erzählt Aschauer-Hundt.
Auch die Kritiker ernstnehmen
Zur Verständigung beitragen bedeute aber auch, die Sorgen der Kritiker ernst zu nehmen und in der Zeitung aufzugreifen, betont Heike Groll. In den letzten Jahren hätten zu viele Journalisten eine bestimmte moralische Haltung vertreten, was bei vielen Lesern falsch angekommen sei.
„Nach dem Motto: Jetzt sagen uns die tollen Journalisten, was wir tun sollen. Überspitzt gesagt: ‚Engagier dich gefälligst! Wenn du das nicht tust, bist du ein schlechter Mensch.‘ Wenn ich aber jetzt sage: ‚Ich sehe Probleme kommen, unsere Gesellschaft wird überfordert‘, muss ich mir sofort sagen lassen, dass ich nicht christlich sei, dass ich kein gutes Menschenbild habe, dass ich ein Schreihals sei.“
Groll sieht auch eine Mitschuld der Medien an den Wahlerfolgen der AfD. Studien würden zeigen, dass der Großteil der Journalisten liberale Werte vertritt und so die Berichterstattung prägt. Ein Teil der Bevölkerung fühle sich durch diese Berichterstattung ausgeschlossen. „Alle die anders drauf sind, haben anscheinend zusehends den Eindruck bekommen: ‚Uns will man ja gar nicht hören, unsere Meinung zählt ja nicht. Warum sollen wir für eine Zeitung Geld ausgeben, die unsere Lebenswirklichkeit gar nicht widerspiegelt?‘“
Journalismus und Haltung
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurde auch im Plenum darüber gestritten, wie viel Haltung Journalisten zeigen dürfen. Der Tenor: Journalisten sollten nicht zum Akteur werden, sondern Beobachter bleiben. Es reiche aus, Menschen ein Forum zu geben und so auf ihre Probleme aufmerksam zu machen – ein erhobener Zeigefinger sei unnötig. Sylvia Binner, Chefin vom Dienst beim Bonner Generalanzeiger, erklärte, ihre Zeitung nutze engagiere Kollegen, um Kontakt herzustellen – die Geschichte schreibt dann aber ein unbeteiligter und damit unbefangener Kollege. In der Diskussion wurde aber auch deutlich, dass sich ähnliche Fragen bei Medienpartnerschaften im Sportbereich stellen, wo Zeitungen Zugang zu exklusiven Informationen erhalten, dann aber aufgrund ihrer Befangenheit unkritisch berichten. Der alte Satz Hans-Joachim Friedrichs über seine Rolle als Tagesthemen-Moderator steht also weiter zur Diskussion:
„Das hab‘ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“
Das ganze Spiegel-Interview mit Friedrichs lesen Sie hier.