Redaktionskonferenz Flüchtlinge 2018

Zeigt die Realität, nicht die Klischees!

Frau mit Kopftuch, traurige Kinderaugen, Smartphones in den Händen. Wenn Zeitungen Flüchtlinge darstellen, zeigen die Bilder oft vor allem Stereotype. Michael Kappeler, Cheffotograf der dpa erklärt, wie bessere Bilder gelingen.

„Ich habe weder die Eltern gefragt, geschweige denn beide Elternteile, so wie es in Deutschland üblich wäre. Ich habe einfach nur abgedrückt“, erklärt Michael Kappeler als er ein Bild an die Wand wirft, das Kinder in einem Flüchtlingslager zeigt. Wenn es um die Bebilderung von Flüchtlingsthemen geht, stellen sich oft moralische und rechtliche Fragen. Kappeler, Cheffotograf bei der Deutschen Presse Agentur (dpa), plädiert dafür solche Bilder trotzdem zu machen, wenn sie einen größeren Zusammenhang greifbar machen  – wie die Migrationsbewegungen über die Balkanroute im Sommer 2015.

„Das übergeordnete Ziel sticht in dem Fall das Persönlichkeitsrecht aus. Wenn ich aber das Gefühl habe, dass Leute nicht fotografiert werden wollen, dann respektiere ich das auch.“

Die Macht der Bilder

Bilder dienen als Proof der Authentizität. „Nur was sichtbar gemacht wird, hat tatsächlich stattgefunden“, betont Kappeler. Wie etwas dargestellt wird, entscheidet mit darüber, ob sich Stereotype bilden oder verfestigt werden. Kappeler hat deswegen drei Wege zu besseren Bildern vorgestellt:

  1. Gib Geflüchteten einen Namen

„Versucht die Migranten aus der anonymen Gruppe rauszunehmen und die Individuen sichtbar zu machen.“

  1. Vermeide auf Stereotype und Klischees

„Wir versuchen es in unseren Bildern so vielfältig darzustellen wie die Realität tatsächlich ist“, erklärt Kappeler und plädiert dafür, Kopftücher aus den Bildern zu verbannen. „Wir sehen das Kopftuch nicht mehr als Symbol für Migration und Integration. Genauso wie wir typischerweise versuchen Migranten nicht mit schwerer Arbeit zu symbolisieren.“

  1. Verzichte auf verallgemeinernde Symbolbilder

„Wir arbeiten als Journalisten unsauber, wenn wir Sachverhalte so weit verkürzen, dass es wahnsinnig einfach ist. Wir müssen diesen steinigen Weg gehen, um ehrlich zu sein.“

So gelingen starke Bilder

Und wie genau lässt sich das jetzt im Lokaljournalismus umsetzen? Kappeler hat dazu fünf direkt anwendbare Ansätze mitgebracht:

Storytelling: Eine Geschichte als Reportage über mehrere Bilder erzählen. Lieber vier kleine Bilder als Serie zeigen als ein großes Aufmacherbild.

Aktivieren statt Anleitung: Oft würden Journalisten, Flüchtlinge dazu animieren, bestimmte Dinge für das Foto zu tun – und genau dadurch entstünden dann Klischees. Stattdessen sollten die Flüchtlinge z.B. bei ihrer Arbeit gezeigt werden.

Gesichter, Namen, Story: Die Bilder sollten Individuen mit ihren Geschichten greifbar machen und nicht auf einer anonymen Ebene bleiben. Am besten einen starken Protagonisten ausfindig machen, dessen Bilder als roter Faden dienen.

Dranbleiben: Einen Schauplatz im Abstand von mehreren Wochen und Monaten immer wieder besuchen. Was hat sich getan?

„Kill your darlings“: Wer nicht fotografiert werden will, kommt nicht in die Story. Alternativ: Auf Details achten und die Geschichte so bebildern.

Die Angst verklagt zu werden

In der Diskussion nach dem Vortrag wurde die Kritik laut, dass die Tipps grundsätzlich gut seien, aber in der Praxis trotzdem schwer umsetzbar. Schließlich seien viele Lokaljournalisten in ihrem Arbeitsalltag massiv eingeschränkt, weil viele Zeitungsverlage Angst hätten, verklagt zu werden. Außerdem sei unklar, ob den Flüchtlingen wirklich klar sei, was eine Veröffentlichung von Bildern in der Zeitung bedeute. Persönlichkeitsrechte von Flüchtlingen auch mal hintenanzustellen, sei deswegen nicht machbar – vor allem wenn es um Kinder gehe. Kappeler kennt diese Probleme, er war selbst früher Lokaljournalist und räumt ein: „Wir haben uns das selbst ein bisschen verbockt, weil wir Bilder universal verwendet haben.“ Trotzdem hält er wenig davon, Personen zu verpixeln oder nur von hinten zu zeigen.

„Natürlich müssen wir Individuen vor sich selbst schützen. Aber es ist als Journalisten unser Auftrag einen Moment zu zeigen. Viel gefährlicher ist es für uns, zu bestimmten Kontexten alte Bilder aus dem Archiv zu holen. Mein Grundcredo ist: Lasst uns am liebsten jeden Tag neu fotografieren – auch wenn das aufwendig und schwierig ist. Aber dann passt das Bild zur Geschichte, auch wenn es nicht wahnsinnig aufregend und spannend ist.“