Neueste Artikel

Lokaljournalismus im Jahr 2015

jakubetz

Von links: Alexander Houben, Henrik Bortels, Christian Jakubetz, Wiebke Möhring und Lars-Oliver Hennemann. Foto: bpb/Reick

Diskussionen zur Zukunft der Zeitung folgen immer einem ähnlichen Muster. Die Blogger und Onliner behaupten, die Zeitungen werden nicht überleben, wenn Sie sich nicht offensiv für Social Media öffnen. Die Vertreter der Zeitungen, die das bereits tun, finden das auch ganz wichtig, reden viel vom Experimentieren, von Reichweite, vom spielerischen Umgang und tun gern so, als wäre das doch alles ganz einfach und von interessierten Redakteuren nebenbei zu erledigen. Das wiederum stößt dem Alleinredakteur im Lokalen, der täglich zwei bis drei Seiten stemmen muss, übel auf. Er ist schon heilfroh, wenn er es jeden Tage wieder aufs Neue schafft, die Seiten zuzuknallen. Für Twitter, Google Wave oder gar Webvideos mit der Flip bleibt da keine Zeit.

Drum holt er zum argumentativen Gegenschlag aus und fragt die Onliner nach ihrem Geschäftsmodell. Spätestens das ist der Zeitpunkt, an dem in der Diskussion das erste Jeff-Jarvis-Zitat fällz. Dann ist man ganz schnell bei Google. Die Gemüter erregen sich. Schließlich ergreift der Moderator das Schlusswort und die Zuhörer verlassen den Saal „so klug als wie zuvor“.

So ähnlich lief auch die Runde mit der Kommunikationswissenschaftlerin Wiebke Möhring, dem Blogger Christian Jakubetz, dem Online-Chef der Märkischen Allgemeinen, Henrik Bortels und den auf dem Forum Lokaljournalismus mehrfach verwerteten Alexander Houben, CvD beim Trierischen Volksfreund. Das Thema lautete „Twitter & Co. – Kommunikation 2015 und die Rolle der Lokaljournalisten“ und es ging vor allem darum, was Zeitungen so alles im Netz machen, nicht machen und versäumt haben, rechtzeitig zu machen. Das ist schnell zusammengefasst. Der Trierische Volksfreund tummelt sich Houben zufolge in allen sozialen Netzwerken, twittert, bloggt, hostet und ist vor allem auf Reichweite aus. Die Märkische Allgemeine macht in dieser Richtung etwas weniger und probiert vieles aus. Die lokalen Webvideos etwa haben sich nach einem Trial vor zwei Jahren als Error erwiesen und werden nicht mehr hausgemacht.

Henrik Bortels sagt auf dem Podium, dass lokale Blogs wie Heddenheim.de durchaus zu einer starken Konkurrenz für die Lokalzeitungen werden könnten. Alexander Houben zufolge könnten sich hier allerdings auch Möglichkeiten zur Kooperation ergeben. Warum sollte die Zeitung nicht für solche Blogs in ihrem Verbreitungsgebiet sublokale Anzeigen vermarkten oder sie unter ihrer Marke laufen lassen? Der Trierische Volksfreund hoste derzeit bereits mehr als 800 Blogs. „Darunter sind auch unsere schärsften Kritiker“, sagt Houben. „Aber wenn sie schon auf uns schimpfen, so tun sie das auf unserer Seite und wir haben eine Auge drauf.“

Der Blogger Christian Jakubetz nennt das Amateufußballportal Passau als Beispiel dafür, wie Lokalzeitungen es versäumt hätten, Nischen zu besetzen und sich so selbst die Konkurrenz heranzüchteten. Jakubetz vergleicht den Unterschied zwischen alten und neuen Medien mit dem Unterschied zwischen Microsoft und Apple. Während Bill Gates immer die Nutzer genötigt hätte, sich seinen Produkten anzupassen, hätte Steve Jobs vom Nutzer her gedacht. Ebenso versuchten die alten Medien, die Nutzer an Formen zu fesseln, wohingegen diese in Zeiten der Medienexplosion souverän zwischen den Formen wechseln. Das Abo-Modell der Zeitung sei anachronistisch. Außerdem wies der Medienblogger auf einen Umstand hin, der auf der Hand liegt, in den Verlagen aber fast immer vergessen wird: Allen Synergien zum Trotz, wer immer mehr Kanäle beliefern will, kann das nicht mit immer weniger Leuten tun.

Frösche im Newsroom

schantin

Sarah Schantin-Williams erklärt Zeitungsmachern den medialen Wandel. Foto: bpb/Reick

Am Anfang steht das Verstehen. Von Möglichkeiten, die das Internet bietet und Organisationsformen, wie man sie umsetzen kann. Der erste Vortrag beim 18. Forum Lokaljournalismus drehte sich um Newsroom-Modelle und den etwas abgelatschten Begriff  „Change Management“. Referentin Sarah Schantin-Williams,  WAN-IFRA Associate Consultant, ging aber am Anfang auf die Medienkrise ein und erläuterte in vielen Worten, warum die Tageszeitung ums Überleben kämpft. Kurz gesagt: Anzeigen brechen weg, Leser suchen sich andere Kanäle, etc. – nichts Neues. Ihr Fazit: Zeitung muss Orientierung bieten, aber nicht den Kanal in den Mittelpunkt stellen (wie die Zeitung), sondern vielmehr die Marke, die Glaubwürdigkeit repräsentiere.

Dann stellte sie vier Newsdesk-Modell vor. 1) den Newsroom, in dem die Plattformen Print und Online getrennt sind und getrennte Redaktionen haben (viele Zeitungen in Deutschland), 2) den Newsroom, in dem ein Reporterpool für alle Kanäle produziert, die einzelnen Plattformen aber von verschiedenen Personen gemanagt werden (als Beispiel Nordjyske Medier aus Dänemark), 3) die Plattformen werden von verschiedenen spezialisierten Fachleuten gestaltet – zum Beispiel von Designern, die nur für Print zuständig sind. Auf der Leitungsebene ist jedoch die Trennung aufgehoben, die Reporter produzieren wie in Modell 2 für alle Kanäle ((Daily Telegraph) . Und 4) Im Newsroom existiert eine Teilung nach Titeln, wenn mehrere in einem Medienhaus erstellt werden. Alle produzieren für alle Kanäle und greifen auf den gleichen Reporterpool zurück (Evening News und Eastern Daily Press).

Um einen Newsroom erfolgreich zu führen, müssten Schantin-Williams vier Ausgangsebenen definiert sein.

1) Profil. Wo soll der Fokus des Angebots liegen? Wie können Leser gebunden werden?

2) Koordination. Wie den Workload verteilen? Wie Qualität garantieren?

3) Mitarbeiter. Kennen sie die Ziele? Welche Leute haben wir, wie können sie am besten ihren Fähigkeiten entsprechend eingebunden werden?

4) Technik. Was bietet die technische Ausstattung für Möglichkeiten?

Wer bis dahin durchgehalten hat, bekam dann noch Theorien zum Change Management geliefert, in denen die Frage im Mittelpunkt stand: Wie können Widerstände und Ängste bei den Mitarbeitern aufgebrochen und beseitigt werden? Wie ist es möglich, dass sie in einer (nicht näher definierten) Zukunft völlig selbstverständlich für alle Kanäle zusammen denken?

Ihre Antwort: Sie müssen es verstehen. Dafür müsse man Zeit einplanen. Die Möglichkeiten zeigen. Überzeugen. Soso. Wenn es so einfach wäre…

Am Schluss gab es ein Beispiel aus der Tierwelt: Wenn man einen Frosch in laues Wasser steckt und es langsam erhitzt, bis es kocht, wird der Frosch erst dann versuchen sich zu retten, wenn es zu spät ist. Und sterben. Wirft man dagegen einen lebendigen Frosch in kochendes Wasser, dann wird er wieder herausspringen und sich retten. Was man das auch immer verstehen mag – für die Teilnehmer hieß es erstmal: Kaffeepause.

Gelungener Auftakt

Zur Eröffnung des 18. Forums Lokaljournalismus fanden sich alle Teilnehmer in Dortmund ein. In der 21. Etage des RWE-Towers sprach der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers einige einleitende Worte. Dabei machte er klar, dass die Politik die Zeitungen nicht retten werde, aber Rahmenbedingungen schaffen könne, die es Verlagen ermöglichen, sich selbst zu helfen. Staatliche Unterstützungen für Zeitungen lehnte er vehement ab.

ruettgers

Jürgen Rüttgers outet sich als passionierter Zeitungsleser. Foto: bpb/Reick

WAZ-Geschäftsführer und Mitveranstalter des Forums Bodo Hombach verwirrte die Zuhörer zunächst mit Ausführungen zu Brunnen und Lindenbäumen vor den Toren.  Doch wer glaubte, es ginge ihm nur um die Unterweisung der Zuhörer in Deutscher Romantik, lag dann wohl doch falsch: Hombach ging es um die einstige Bedeutung von Brunnen und Lindenbaum als Versammlungsorte und Kommunikationszentren im Gemeindeleben. Aufgabe, die heutzutage die Lokalzeitung erfüllen. In der globalisierten Gesellschaft werde seiner Meinung nach der Blick aufs Lokale zurückgelehnt: Die Umgehungsstraße sei für den Leser oft wichtiger als die Entscheidung in Brüssel. In der lokalen Sphäre entstehe Heimat. Nach dem langen kulturgeschichtlichen Exkurs zu Brunnen, Lindenbäumen und Heimat kam Hombach dann schließlich auf seine Kernthese:  Heutzutage reiche das Gespräch am Brunnen nicht mehr aus, um den Überblick zu behalten. Aufgabe der Journalisten sei es, die Komplexität zu verringern ohne zu Vereinfachen. Daher sei besonders der Lokaljournalist ein Beruf mit Zukunft. Denn lokale Informationen könne kein anderer in dieser Form generieren. Kurz und knapp: Lokaljournalismus ist Brunnengespräch 2.0.

hombach

Bodo Hombach preist den Lokaljournalismus. Foto: bpb/Reick

Thomas Krüger, Präsident der bpb, benannte drei Probleme, die den Zeitungsverlagen zu schaffen machen. Zum einen hätten die Zeitungen zu spät auf die Herausforderungen durch das Internet reagiert. Dann setze den Verlagen die Kostenlos-Mentalität der Nutzer zu. Zudem erodiere das Abo-Modell der Zeitungen, da sich die Mediennutzer nicht mehr auf einen Kanal und eine Marke festlegen wollen. Dennoch glaubt Krüger an die Zukunft der gedruckten Zeitung und sagt Print sogar eine Renaissance voraus. Grundlegend sei allerdings, dass Journalismus präzise, glaubwürdig und auf das Wichtigste fokussiertist. Für die Lokalzeitungen zeigte er drei Entwicklungspfade auf. Die Leser müssten mehr eingebunden werden. Zudem sollten die Lokalzeitungen sich mehr auf die Lebenswirklichkeit vor Ort konzentrieren, Nischen besetzen und hyperlokale Inhalte in den Vordergrund stellen. Darüber hinaus gehe der Sparkurs der Verlage zu Lasten der journalistischen Qualität. Doch gerade in diese sollte man investieren, da sich sonst die Zeitungen die Grundlage entziehen, wegen der sie gekauft werden.

krueger

Thomas Krüger fordert Qualitätsjournalismus. Foto: bpb/Reick