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Praxisgespräch 4: So gelingt die Transformation

Im Bild (v.l.n.r.): Alexander Marinos, Kai Gohlke, René Heuser, Thomas Lieb. (Foto: Marcus Klose/ drehscheibe)

Um Beispiele für redaktionelle Wandlungsprozesse, „die Mut machen sollen“, ging es laut Moderator Dr. Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, im Praxis-Gespräch 4 am Donnerstag. Die Impulsvorträge kamen von Kai Gohlke, Chefredakteur Oberpfalzmedien (Weiden), René Heuser, Head of KI von Ippen Digital (München) und Thomas Lieb, Themenchef der Leipziger Volkszeitung.

Oberpfalzmedien: Ein Neustart für die Transformation auf der „grünen Wiese“

Den Auftakt machte Kai Gohlke. Ende 2023 führte er mit Oberpfalzmedien-Geschäftsführer Thomas Maul ein Gespräch über die mittelfristige Personalplanung und darüber, „wie wir in fünf Jahren arbeiten wollen“, erzählte der Chefredakteur. Die Redaktion sollte von einer Zeitungsredaktion zur Crossmedia-Redaktion mit digitaler Abostrategie umgebaut werden. „Wie würden Sie die Redaktion personell aufstellen, wenn Sie jetzt auf der grünen Wiese anfangen könnten?“, sei er damals von Maul gefragt worden, sagte Gohlke. Als Grundprämisse galt, dass keine Stelle abgebaut werden sollten und alle Redakteurinnen und Redakteure bei der Transformation mitgenommen werden.

Kai Gohlke, Chefredakteur Oberpfalzmedien (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

Inhalte von den Leserinnen und Lesern aus denken

Eine Projektgruppe, bestehend aus der Chefredaktion um Gohlke und mehreren leitenden Redakteuren, erarbeitete daraufhin das Projekt „Redaktion2025“. Das langfristige Ziel der Transformation ist, dass die Redaktion sich zukünftig nur über Abonnements und somit unabhängig von Anzeigen selbst finanziert. Ohnehin ist der Lesermarkt seit 2021 bereits in die Redaktion integriert.

„Es ging darum, unsere Inhalte viel mehr vom Leser aus zu denken“, erklärte Gohlke den inhaltlichen Ansatz. Aus den Bedürfnissen der Leserschaft ergäben sich die Themen für eine Transformation in der Redaktion. Die Inhalte müssten dann so produziert werden, dass sie den Ansprüchen der verschiedenen Kanäle des Verlags gerecht werden. Die Artikel müssten einerseits digital die Leserinnen und Leser zum richtigen Zeitpunkt erreichen und sie müssten im Print wiederum so gestaltet werden, dass sie ebenfalls qualitativ mithalten können. Die Angebote des Verlags sollen letztlich so gestaltet sein, „dass sie für viele Menschen unverzichtbar sind“, erklärte Gohlke.

Aus diesen Prämissen ergab sich folgende Aufteilung für die personelle Neuaufstellung der Redaktion: Die Leserbedürfnisse ermittelt das Team Markt und Analyse. Am Themendesk werden die Inhalte erdacht. Diese wiederum werden von Reportern und Mediengestaltern produziert. Der Ausspieldesk übernimmt deren Veröffentlichung.

Im Sinne eine Transformation: Viel kommunizieren

„Sehr sachlich“, habe die Chefredaktion die Neuausrichtung anfangs an die Redaktion herangetragen, sagte Gohlke. „Die Bereitschaft zur Veränderung war da. Schwierig wurde es dann, wenn wir jemandem eine Aufgabe entziehen mussten“, erklärte der Chefredakteur. Die neue Rollenverteilung habe zu Ängsten bei einigen Redaktionsmitgliedern geführt. Dem wurde dann mit mehr Kommunikation und einer deutlich emotionaleren Ansprache entgegengesteuert.

Gohlke und sein Team formulierten dies in einer gemeinsamen Vision: Jedes Redaktionsmitglied solle seine individuellen Stärken einbringen können. Die klare Rollenverteilung schaffe Freiraum. Durch die neuen Teams entstehe eine vertrauensvolleres Miteinander. So werde am Ende die Qualität erreicht, die die Leserschaft vom Verlag erwarte und die eigene, selbstfinanzierte Zukunft gesichert.

Ippen Digital: Verändert die KI alles?

Der zweiten Impulsvortrag kam von René Heuser, der als Head of KI bei Ippen Digital in München ein crossfunktionales KI-Entwicklungsteam leitet. Er erzählte im Folgenden, wie dort mehr und mehr KI-Lösungen in die Redaktionsabläufe eingebaut werden. Zielsetzung des Teams ist es, dass alle Lösungen in sämtlichen Redaktionen von Ippen funktionieren müssen.

René Heuser, Head of KI, Ippen Digital (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

Keine Panik aufkommen lassen, sondern aktiv werden

Vielerorts herrsche übertriebene Panikmache in Bezug auf Künstliche Intelligenz, begann Heuser seinen Vortrag. Tatsächlich gehe die KI-Transformation in der Realität deutlich langsamer voran und sei auch noch nicht so tiefgreifend wie gedacht. „Die Tools sind da, aber sie werden noch nicht ausreichend genutzt“, meinte Heuser. Das habe auch damit zu tun, dass viele Menschen den neuen Tools misstrauten. So nutzten zwar 66 Prozent der Deutschen KI, aber nur 32 Prozent würden ihnen vertrauen.

Ein tatsächliches Problem liege jedoch in der zunehmenden Einbindung von KI in der Google-Suche. Da Googles KI Gemini mittlerweile eigenständig Inhalte zusammenfasst, sinken die Zugriffe auf Artikel von Medienhäusern kontinuierlich. Diese Entwicklung könnte zum Ende des klassischen Internets führen, glaubt Heuser. „In fünf Jahren wird man sagen, dass die Einführung von KI noch substanzieller war, als es beim Internet der Fall war“, prognostizierte der Experte. Eine der wichtigsten Anforderungen an das Change-Management der Verlage sei es deshalb, dass man nicht wie beim Internet anderen Playern den Markt überlassen dürfe. Auch deshalb hat Ippen schon 2023 mit der Einbindung von KI begonnen.

Mehr Miteinander ist gefragt

„Wir haben das Miteinander stark ausgebaut, sowohl mit den Kunden als auch mit den Mitarbeitern“, erzählt Heuser. Für Redakteurinnen und Redakteure gebe es mittlerweile KI-Workshops, im hauseigenen Hackathon wurde erklärt, wie man Tools und Schnittstellen bauen kann und wie prompting funktioniert. Jeden Tag gibt es eine Office Hour, in der die Mitarbeiter eine Stunde lang alle möglichen Fragen zur KI-Einbindung stellen können. Außerdem gibt es seit letztem Jahr KI-Verantwortliche in den Teams und Ressorts. „Die Teams wissen selbst am besten, welche Tools sie benötigen“, meinte Heuser.

Es sei wichtig, bei der Transformation flexibel und agil zu bleiben, indem Probleme schnell identifiziert und behoben werden. Es mache keinen Sinn, allzu lange an Lösungen herumzutüfteln, meinte Heuser. Vielmehr müssten diese schnell zum User gelangen, um zeitnah Feedback auf die Anwendungen zu erhalten. Täglich stellten er und sein Team sich die Frage, ob ein Tool selbst gebaut, oder eingekauft werden soll. „Letzteres ist häufig einfach schneller“, stellte Heuser fest. Außerdem müsse die Nutzung der Tools und die Kosten sorgsam überwacht und ausgewertet werden.

Inhalte stehen im Vordergrund

„KI ist kein IT-Projekt“, hob Heuser hervor. Ganz bewusst sei sein Team deshalb im Contentbereich beheimatet. KI-Lösungen werden bei Ippen nämlich mit Blick auf die tatsächlichen Inhalte und die Leserbedürfnisse aufgezogen. Dafür brauche es entsprechende Fachleute, die sich genau mit diesen Themen beschäftigen.

KI werde nicht verschwinden, die Nutzung vielmehr eher noch zunehmen. Das Positive: „Es war noch nie so leicht und so günstig, mit KI zu arbeiten“, ermutigte Heuser die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Tools seien so zugänglich wie noch nie. Außerdem helfe KI sogar dabei, weitere KI-Tools zu implementieren. „Die KI kann beispielsweise Programme schreiben, die Dinge können, die KI derzeit selbst noch nicht kann“, erklärte Heuser.

Leipziger Volkszeitung: Die Inhalte-Transformation

Bei der Leipziger Volkszeitung (LVZ) hat sich die digitale Transformation zu einer Inhalte-Transformation hinverschoben. Längst gehe es nicht mehr um Reichweite, sondern darum mit den eigenen Inhalten die interessantesten Zielgruppen auf den für sie relevanten Kanälen zu erreichen, erklärte Themenchef Thomas Lieb. In seinem Vortrag beschrieb er, wie die Redaktion vorging, um die Bedürfnisse ihres (potenziellen) Publikums zu analysieren und welche Lehren sie daraus zog.

Thomas Lieb, Themenchef, Leipziger Volkszeitung (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

Sich mit dem Publikum vertraut machen

„Nach einer ausführlichen Potenzialanalyse wurde uns klar: Wir kennen unser Publikum nicht“, erzählte Lieb. Dafür wurden 24 Kommunen im Großraum Leipzig genau untersucht. Ein kleines Datenteam aus Mitarbeitern von Verlag und Redaktion suchte nach Antworten auf folgende Fragen: Wie setzt sich die Bevölkerung zusammen, wie steht es um Wirtschaftsräume und Branchen, welche Regionen wachsen, wo geht die Bevölkerung zurück? „Es war außerdem wichtig, dass die Redaktion selbst auf die Straße ging und die Menschen befragte“, erzählte Lieb. Die Redakteure wollten etwa wissen, warum Menschen ihre Zeitung lesen oder auch nicht lesen.

Inhalte an Lebenswirklichkeiten anpassen

„Wir haben die Ergebnisse dann abgeglichen mit unserer bisherigen Arbeit“, erzählte Lieb. Es stellte sich heraus, dass die Redaktion an den falschen Orten mit dem falschen Personal unterwegs gewesen war. In den Gemeinden mit dem meisten Potenzial sei zu wenig Arbeitskraft eingesetzt worden. Die Lebenswirklichkeiten der Menschen ließe sich außerdem nicht nach Landes- oder Kreisgrenzen kategorisieren. Die Redaktion setze nun an Orten mit positiver Wachstumsprognose mehr Personal ein, aus Orten mit weniger Potenzial werde hingegen weniger berichtet. „Häufig waren wir dort ohnehin nur Multiplikator für Behörden und Vereine“, stellt Lieb klar. Es habe sich herausgestellt, dass sich die Reichweite erhöht, wenn die Inhalte an die Lebenswirklichkeiten angepasst würden.

Von den Themen zur Struktur

Die LVZ hat mittlerweile Thementeams zusammengestellt, die vorgeben, wie sich die Redaktion relevanten Feldern nähern soll. Wichtige Bereiche seien etwa Bauen, Wohnen und Mobilität. Die Themenreporter werden wiederum verschiedenen Relevanzclustern zugeordnet. In den Orten agierten wiederum Live-Reporter als Schnittstelle zu den Menschen und Institutionen. „Daraus entstand die Struktur für alle Regionalredaktionen“, erklärte Lieb. Während die Thementeams die Inhalte entwickeln, übernimmt der Digitaldesk das Newsgeschäft und die unplanbare Berichterstattung. Die Reporter sind strikt getrennt von Newsroom und Printproduktion, damit sie sich auf die relevanten Themen konzentrieren können.

Relevanz als wichtigstes Kriterium

Vor drei Jahren hat Lieb erstmals einen Relevanz-Workshop für die Mitarbeiter veranstaltet. Dabei gehe es darum zu fragen, was relevanter Journalismus eigentlich ist. Was sind Kriterien für einen guten Dreh, der jetzige und potenzielle Abonnenten von den eigenen Inhalten überzeugt? „Das müssen wir immer wieder hinterfragen“, meinte Lieb. Eine gute Themenplanung sei daher besonders wichtig, um relevante Inhalte zu erstellen, meinte Lieb.

In Folge nannte der Themenchef mehrere Beispiele dafür, wie die Redaktionen diesen Ansatz in die Tat umsetzte:

  • Relevanzthemen-Spezial „Wohnen“. 14 Madsack-Titel arbeiteten dabei fokussiert an einem Thema. Beispielfragen: Wo gibt es freie Grundstücke? Was sind Kostentricks? Worauf muss man bei Kreditrechnern achten? Durch die genaue Analyse weiß die Redaktion, wo die Menschen in der Region sitzen, die das Thema besonders interessiert. Mit gezielter Themenplanung wurden große Erfolge erzielt. So wurden etwa 1500 neue Festabos abgeschlossen.
  • 5in5-Newsletter: Ein freies Angebot, das sich an neue Zielgruppen richtet. Der Empfänger erhält jeden Tag fünf Nachrichten für den Start in den Tag. Damit sollen Menschen von den Inhalten des Verlags überzeugt werden, die noch keine Kunden sind. Im Newsletter stehen Links zu Plus-Artikeln, die Abonnenten des Mailverteilers günstiger beziehen können.
  • Paid-Podcasts: Die LVZ hat drei Bezahlpodcasts produziert, bei denen nur die ersten Folgen kostenlos anzuhören sind. Einer davon handelt etwa von der umstrittenen Schlagersängerin Melanie Müller. Der hohe Aufwand habe sich gelohnt, die Formate erzielten sehr hohe Aufrufzahlen. 800 neue Plusabos wurden mit den drei Podcasts erzielt.

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