Was sollte man davon halten? Referent Kersten Riechers, 29 Jahre, warf als Einstieg erst mal die Frage auf, ob Verlage überhaupt noch benötigt würden. Begriffe wie „Ineffizienz“ und „Beschränkungen im Kopf“ fielen. Print? Ohnehin die alte Welt. Ach ja, und er als Online-Journalist und Gründer von „Quäntchen und Glück“, einer Agentur für Online-Kommunikation, könne übrigens nicht sagen, welche Kanäle in Zukunft eine Rolle spielen würden. Da kam dann schon etwas Unruhe und aufgeregtes Murmeln auf. Der 29-Jährige betonte sodann aber, dass er gerne provozieren würde und sein Ziel nie gewesen sei, als „Kanal-Orakel“ aufzutreten. Er wolle vor allem dazu anregen, bisherige Arbeitsprozesse und Denkweisen zu hinterfragen.
Inhalte werden aufgrund eines Abteilungsdenkens geformt und nicht aufgrund des Themas
„Im Großen und Ganzen gibt es noch sehr viele Häuser, die zuerst immer die Zeitung im Blick haben und deren gesamtes System so gebaut ist, dass sich damit perfekt ein Printerzeugnis herstellen lässt“, erklärte Riechers. Und weiter: „Die Onlinekolleginnen und -kollegen bekommen also ein fertiges Produkt, an dem sie überhaupt nichts mehr ändern können.“ Das Internet werde lediglich als neue Rampe verstanden, über die Inhalte zum Rezipienten transportiert würden. Kurzum: „Inhalte werden aufgrund eines Abteilungsdenkens geformt und nicht aufgrund des Themas.“
Riechers plädierte dafür, darüber nachzudenken, was dieser Print-Workflow mit den Journalistinnen und Journalisten mache und mittels dieses Überdenkens zur neuen Welt zu gelangen.
Bestandteil dieser müssten nach Meinung Riechers sein:
– dass die Kommunikation entlang des Themas gedacht wird und nicht entlang des Trägermediums
– dass die Themenfindung radikal anders gedacht wird.
Nicht: Wir müssen noch drei Seiten füllen, was passt da hin?
– Sondern: Welche Themen bewegen unsere Zielgruppe?
– Und: Wie unterschiedlich wichtig sind diese Themen?
Darüber hinaus warb der 29-Jährige dafür, Nischenthemen zu finden und widersprach damit einer der Thesen von Georg-Dietrich Nixdorf (Lesewert). Der hatte gestern zum Aspekt „Was eint gut gelesene Themen“ unter anderem gesagt, dass sie für viele Leserinnen und Leser von Relevanz sein sollten. Nach Ansicht Riechers sei das in Zeiten des Internets aber nicht mehr relevant und verwies auf den Long Tail Effect: „Ganz spezielle Themen finden online immer wieder Zugriffe , sodass sie unterm Strich dann genauso viele Leserinnen und Leser finden wie die Geschichte auf Seite 1.“ Deshalb sei es immer gut, Nischenthemen zu haben.
Auch sollte man sich viel genauer darüber Gedanken machen, wer überhaupt die Zielgruppe eines Textes sein soll. Er nannte als Beispiel junge Mütter: Womit beschäftigen sich die, wie sprechen sie? „Unter jungen Müttern ist die Beschäftigung mit der Muttermilch ein Thema. Man kann sich ihnen zum Beispiel über bestimmte Signalwörter wie Mumi annähern.“ Mit Mumi ist Muttermlich gemeint, diese Abkürzung wird in vielen Foren verwendet, in denen sich junge Mütter darüber austauschen.
Eine Kollegin gab schließlich zu bedenken, dass sich das alles gut anhöre, es aber in der Praxis zum Teil nicht zu realisieren wäre. So sei die Sache mit den Nischenthemen mit bestimmten Bezahlmodellen schwer in Einklang zu bringen. Wenn man eine Paywall habe, die nach dem Lesen von fünf Artikeln greife, würde man diejenigen, die aufgrund eines Nischenthemas auf die Seite kommen würden, ja nicht an sich binden.
Einwände dieser oder ähnlicher Art gab es von mehreren Seiten, wobei Einigkeit darüber zu bestehen schien, dass der Print-Workflow nichtsdestotrotz überdacht und auch geändert werden muss.
Eine schöne neue Welt als Realität und nicht als Dystopie ist eben vor allem eines: Schön.