Die Freie Presse hatte für das Forum Lokaljournalismus etwas Besonderes vorgeschlagen: Am Donnerstagnachmittag kam es vor der Stadthalle zu einem Bürgerdialog unter dem Titel „Chemnitz spricht über Medien-Macht-Meinung“. Hierfür hatte die Redaktion Dutzende Leserinnen und Leser zu einer Art „Speed-Dating“ eingeladen. An 18 Stehtischen konnten sich die angemeldeten Chemnitzer in drei Runden mit Chefredakteurinnen und Chefredakteuren aus ganz Deutschland austauschen (Das drehscheibe-Video dazu folgt in Kürze). Alle halbe Stunde ertönte eine Glocke: der Aufruf, die Tische zu wechseln und sich in anderer Konstellation auszutauschen. Einen Nachbericht der Freien Presse gibt es hier.
(Bild: Torsten Kleditzsch, Chefredakteur der Freien Presse. Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Am Freitagvormittag stellten Mandy Fischer, Leiterin des Newsdesks der Freien Presse, und Chefredakteur Torsten Kleditzsch die Idee vor und zogen ein Fazit. Mit ihren Leserinnen und Lesern steht die Freie Presse schon länger im direkten Austausch. „Chemnitz diskutiert“ nannte sich eine Dialogreihe, die im Jahr 2018 ins Leben gerufen worden war, als nach einer Messerattacke Krawalle die Stadt erschütterten. Die Freie Presse wollte eine Plattform bieten, sachlich Probleme zu benennen und Lösungsansätze zu finden. Dafür gewann der Verlag 2018 den Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für den aktuellen Bürgerdialog sprach man einen Teil der Leserinnen und Leser an, die seinerzeit auf die Redaktion zugegangen waren.

(Bild: Bürgerdialog vor der Stadthalle, Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Die Auswertung
Kleditzsch wollte nun von Journalistinnen und Journalisten, die am Vortag am Dialog beteiligt gewesen waren, wissen, wie er verlaufen war.
Katharina Ritzer, Reporterchefin von der Neuen Osnabrücker Zeitung, erzählte, dass ihr oft vorgeworfen worden sei: „Ihr seid nicht neutral, ihr schaut rechts schärfer hin als links.“ Ein Teilnehmer habe freimütig heraus gesagt: „Ich sage Lügenpresse, denn ihr seid Lügenpresse.“ Mit ihm sei es verständlicherweise sehr schwer gewesen zu sprechen. Außerdem sei in den Gesprächen immer wieder das Wort „Gleichschaltung“ gefallen. Kleditzsch bestätigte, dass es in der Stadt gewisse Gruppen gebe, an die man „nicht rankommen kann, eine Kerngruppe, bei der ein Dialog nicht mehr möglich ist“.
Sylvia Binner, stellvertretende Chefredakteurin des Bonner General-Anzeigers, erzählte hingegen, dass sie eher mit Leuten gesprochen habe, die es wertvoll fanden, sich mit Medien auseinanderzusetzen. „Wir müssen noch mehr erklären, wie wir arbeiten“, schlussfolgerte sie. „Das war ein Bedürfnis der Teilnehmer.“ Und sie betonte: „Wir nehmen auf jeden Fall was mit. Der Impuls hallt nach und wird etwas in unserer Arbeit bewirken.“
„Egal über was man spricht, man landet immer wieder bei der AfD“, erzählte Yannick Dillinger, Chefredakteur der Rheinpfalz aus Ludwigshafen. „Dabei wollten wir doch vor allem über unsere Arbeit sprechen.“ Mit Verweis darauf, dass die bei Ludwigsburg gelegene Stadt Kaiserslautern bei der Bundestagswahl einer von zwei Wahlkreise im Westen war, den die AfD gewinnen konnte, sagte ein Leser zu Dillinger: „Jetzt seht ihr mal, wie es uns ergeht!“ Geäußert wurde auch: „Ihr im Westen denkt immer, ihr seid die Guten, wartet mal ab, schaut, was in Italien und sonst passiert!“ Auch Dillinger berichtete davon, dass eine Person ständig von „Gleichschaltung“ gesprochen habe. Aber insgesamt sei der Dialog eine „positive Erfahrung“ gewesen, alles in allem „sehr vielschichtig“.
Auf dem Podium bestand Einigkeit darin, dass sich das Treffen mit den Leserinnen und Lesern gelohnt habe. Dabei war es für die aus dem ganzen deutschspachigen stammenden Journalisten sicher interessant, direkt mit Chemnitzern zusammenzukommen. Und umgekehrt. Ein tolles Projekt, das wiederholt werden könnte. Denn wann trifft man in seiner Heimatstadt schon mal eine Chefredakteurin aus Ludwigsburg oder einen Chefredakteur aus Ostfriesland?