In acht Jahren soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Spätestens dann muss der Strom in Deutschland gut verteilt sein – und dafür werden Trassen geplant. Eine Menge Trassen über Strecken von Hunderten von Kilometern, viele zwischen 60 und 80 Metern hoch, plus Konverter und Kabelgräben, häufig in unmittelbarer Nähe von Ortschaften. Die Riesenleitungen sind heiß umstritten und eine Menge Akteure sind beteiligt. Gerade deswegen können Lokaljournalisten viel darüber lernen, wie sie Bürger und Politik begleiten können. Auf unserem Podium stiegen Eva Maria Schäffer, Bürgerreferentin für die Nord-Süd-Stromtrasse „SuedLink“ und Onshore bei TenneT Deutschland, und Martin Stegmair, Vorsitzender der Bürgerinitiative „Megatrasse Lech“ in Niederschönenfeld, mit unseren Teilnehmern in den Ring.
Votrag von Eva Maria Schäffer [PDF]
Vortrag von Martin Stegmair [PDF]
Los ging’s mit SuedLink. Noch vor wenigen Tagen schlug Ilse Aigner vor, statt durch Bayern könne die Stromtrasse „SuedLink“ vielleicht doch lieber durch Hessen und Baden-Württemberg führen. Einfach etwas weiter westlich, Hauptsache nicht da, wo die eigenen Wähler sitzen. Doch was hat es mit diesem Projekt auf sich? Der Korridor SuedLink soll über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ) Nord- und Süddeutschlandland miteinander verbinden, unter anderem damit der im Norden gewonnene Windstrom in den Süden transportiert werden kann. TenneT selbst bezeichnet sie als „Hauptschlagader der Energiewende“, andere als „Stromautobahn“. Von den von TenneT geplanten fünf Verbindungen wurden zwei in den Bundesbedarfsplan aufgenommen, den Bundesrat und Bundestag vor zwei Jahren genehmigt hatten. Aktuell habe Tennet nun an die Bundesnetzagentur ist einen Antrag auf Bundesfachplanung geschickt, diese Phase liegt zwischen der Vorbereitungsphase und der Planfeststellung.
2022 soll es losgehen, erklärt Schäffer, auf ihrer Folie prangt in Rot „Energiewirtschaftliche Notwendigkeit verbindlich festgestellt“. HGÜ ist in Deutschland noch ein neues Verfahren. Da läuten oftmals direkt die Alarmglocken. Am Anfang und Ende der Gleichstromleitung müssten Konverter stehen, die den Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln. Je nachdem wie viele „Vorhaben“ durchgesetzt werden, würde man außerdem alle paar Hundert Meter zwei oder vier Kabelgräben erzeugen. Die Durchschnittshöhe der Masten wird etwa 65 Meter betragen, also etwa ein Fünftel höher als die bisherigen Masten, an manchen bergigen Stellen auch deutlich höher. Diskutiert wird die um ein Vielfaches teurere Erdverkabelung als Alternative auf manchen Strecken. Die einen sagen: Gut, dann stören die Kabel immerhin nicht; die anderen sagen, nein, damit haben wir zu wenig Erfahrung und zu wenige Zahlen. Möglich sei die Erdverkabelung laut Schäffer dann, wenn man mehr als 400m an einer Siedlung dran ist. „Momentan bewegt sich in Erdkabeln relativ viel, gesetzlich wissen wir wohl erst am Herbst wo wir Erdkabel einsetzen können.“
Das heißt für Lokaljournalisten: Wachsam sein und hinterfragen.
Was erlaubt die aktuelle Gesetzeslage wirklich?
Was kann, was muss?
Was bedeutet „durchschnittlich“?
Wer ist betroffen?
Wer kann was entscheiden?
Das fragten sich die Teilnehmer. Und das fragte sich auch Martin Stegmair, der als Gründer der Initiative „Megatrasse Lecht“, die sich mit ähnlichen Planungen herumschlägt, genau auf der anderen Seite der Argumentation steht. Der größte Aufschrei in seinem Ort käme von jungen Familien, bei denen die Trasse aktuellen Planungen zufolge bis zu 20 Meter ans Haus rücken könnten. „Sie fürchten sowohl um den Lebensraum ihrer Kinder, als auch um den Wert der Häuser. Es gibt in ganz Deutschland keine einheitliche Abstandsregelung, da kann es sein dass so ein Ding direkt vor deinem Gartenzaun herläuft und du kannst nichts machen.“ In einigen Bundesländern wie Niedersachsen gibt es gesetzliche Mindestabstände. In anderen muss man sich auf mehr oder weniger bindende Gebote verlassen. „Es gibt ein Minimierungsgebot. Bei einem Korridor von 1000 Metern muss man den Mast nicht direkt neben ein Haus stellen. Das so etwas passier halte ich für sehr unwahrscheinlich“, hielt Schäffer dagegen.
Man sieht: der Dialog ist hier entscheidend, die Sachlagen häufig unklar. Klar hingegen ist: die Kosten für SuedLink tragen letztlich „wir alle“, sagt Schäffer, denn sie werden umgelegt auf die Netzentgelte.
Bei SuedLink habe es über Monate einen „informellen Projektdialog“ gegeben. Über 2500 Seiten Dokumente seien mit dem Antrag für die Bundesfachplanung verschickt worden. Neu im Vergleich zu anderen Verfahren sei, dass es öffentliche Antragskonferenzen gibt. Jeder darf da zu Wort kommen. Und das ist nötig, denn die „Planungsellipse“ erfasst einen Viertel Deutschlands. „Noch haben wir nicht jeden gefragt, welcher Schuppen, welches Haus dort steht.“ Alle Gebäude, Gelände, Vogelarten die gefährdet sein könnten, alles muss ausgewertet werden. „Wir wollen aktive Beteiligung, wir wollen transparente Information, und natürlich auch eine breite Akzeptanz“, sagte Schäffer. Dazu hat das Unternehmen verschiedene Formate, zum Beispiel der sogenannte Infomarkt. Oder Formulare. Alles „auf Augenhöhe“, versprechen die Präsentationsfolien. Da geht es aber mehr um direkte Beratung, Podien wollte TenneT eher vermeiden. „Das wird unterschiedlich gut angenommen“, sagt sie. Übersetzt: Manche regen sich richtig auf. „Manche Leute wollen uns lieber auf einem Podium sehen. Und ihren Unmut da, vor allen vortragen.“
Unmut gebe es eine Menge. Was für Journalisten heißt: Genaues hinschauen lohnt sich. Schäffer nannte vor allem folgende Themen:
- Herausforderungen seien zum einen die Größe des Projekts und die Details. Hier könnten Journalisten selbst nachrecherchieren: Welche Aspekte wurden berücksichtigt, welche nicht? Wo könnten sich die Bprger mehr einbringen?
- Die Rollenzuweisungen wurden darüber hinaus nicht klar abgegrenzt – also zwischen Vorhabenträger, Politik und die Bundesnetzagentur würde nicht genug differenziert und gesagt, wer wozu die Berechtigung hat. Ein guter Ansatzpunkt für die Lokalredaktion, Klarheit zu schaffen.
- Häufige Diskussionspunkte seien, dass manche Teilnehmer sich ungleich behandelt fühlten, weil manche erst später in die Diskussion einsteigen könnten – und dann weder den Einfluss noch den Redeanteil haben, etwas zu verändern.
- Die Bedarfsfrage: Auf welcher Grundlage wird so ein Bedarf festgestellt? Wer steckt genau dahinter? „Den Bedarf stellt die Bundesnetzagentur fest. Solange sich das Gesetz nicht ändert, planen wir die Trasse weiter“, sagte Schäffer in der Diskussionsrunde
- Ein häufiger Vorwurf sei, dass die Veranstaltungen „nicht echt“ seien, dass die Bürger eh nur wenig bis gar keinen Einfluss hätten.
- das „St-Florians-Prinzip“. Wenn es den einen nicht passt, wird die Leitung woanders hingeschoben, wo sich die Leute nicht wehren können
- Auch die „Salamitechnik“ wird TenneT häufig vorgeworfen. Auch hier ein Tipp für die Lokalredaktion: Was ist noch geplant, welche Erweiterungsklauseln hat das Vorhaben?
- „HGÜ“ ls neue Technik und in Deutschland nicht bekannt – also gleich verdächtig. Was sagen Experten dazu?
Mit Unmut kennt sich auch Martin Stegmair, gelernter Elektrotechniker und Vorsitzender der Bürgerinitiative „Megatrasse Lech“ auch. Moderator Berthold L. Flöper wollte von ihm wissen, wie es dazu gekommen ist. Stegmair ist mehr oder weniger über Nacht zum Experten geworden, weil der gelernte Elektrotechniker sich auskennt und auf einer Veranstaltung zu dem Bauvorhaben war. „Dann sitzen da zehn, 15 am Stammtisch und wollen wissen, was los ist“, sagt Stegmair. Und weist damit auf ein Problem hin, mit dem viele Bürger offensichtlich kämpfen: Sie fühlen sich nicht richtig informiert, und sie brauchen jemanden, dem sie vertrauen können. Viele können nicht einordnen, was Pläne für sie ganz konkret bedeuten. Und sind damit den Betreiber in der Diskussion oft unterlegen. Zudem sie auch strukturell benachteiligt würden. Vernetzt genug, um ihren Anliegen vorzubringen, sei die Initiative als Teil des Energiedialogs Bayern. Offizielle Pressemitteilungen und Stellungnahmen gehörten zum Tagesgeschäft. Und das Internet sowie Experten sei eine prima Recherchequelle. Aber: „Unser Zeitbudget war bei Veranstaltung auch häufiger begrenzt als das von Unternehmen und Betreibern“, kritisiert Stegmair die Zustände des öffentlichen Dialogs. Zudem sei die Initiative von einem überregionalen Blatt sehr kritisch dargestellt und in die Richtung von Fanatismus gerückt worden.
„Fachlich ist das schon so, dass wir meistens einen Informatonssvorsprung haben“, gibt auch Schäffer zu. Hier können Lokalzeitungen ganz genuin politische Bildner sein.
Das Ziel von Stegmairs Bürgerinitiative ist es, die HGÜ-Gleichstrompassage Süd-Ost zu verhindern. „Das brauchen wir nicht, das ist nur für den europäischen Strommarkt nötig“, sagte Stegamair. Der Anbieter Amprion habe „Pläne verschwinden lassen“, oder zumindest auf Nachfrage nicht mehr richtig kommunziert und nach drei E-Mails den Mail-Kontakt abgebrochen. Aber ein St. Florians-prinzip wollten sie auch nicht. „Es gibt genügend Leitungen in Bayern, die den Strom von A nach B leiten.“ Aber was will die Bürgerinitiative überhaupt?, fragt mancher Seminateilnehmer. Was soll eine „richtige Energiewende“, wie sie im Forderungskatalog des Vereins steht, sein? Stegmair räuspert sich und holt aus: Erneuerbare Energien. Und Speichertechnik. „Es muss einen anderen Weg geben. Sonnenenergie, Windkraft, Biogas, langfristig muss es mit diesen Energien und Speichertechnik gehen.“ Seine Gemeinde erzeuge über 300% des Stroms der Gemeinde, mit Biogas, Photovoltaik und auch ein Wasserkraftwerk. Das geht. Schäffer hält dagegen. „Man kann nur damit arbeiten, was man heute in großem Stil anwenden kann.“
Viele Fragen prasselten am Ende noch auf die beiden Redner ein. Die Diskussion geht weiter, der Dialog zwischen Bürgern, Politik und Betreibern auch. Damit er wirklich „auf Augenhöhe“ stattfindet, darf es keine großen Informationsvorsprünge geben. Eine Aufgabe für die Lokalredaktionen.