„Eine Branche verharrt im Gestern“ – so hatte Petra Sorge ihren Cicero-Artikel über den jüngsten European Newspaper Congress in Wien betitelt. Moderator Stephan Weichert von der Macromedia Hochschule fügt für seine Podiumsgäste zum Thema „Lokalhelden – hyperlokale und digitale Trends“ ein Fragezeichen hinzu: stimmt das? Ist die Zeitungsbranche wirklich so von Gestern? Ist es noch immer so, dass die großen „Beharrer“ in den Printverlagen den alten Zeiten nachtrauern, während die jungen Frischen von draußen an die verschlossene Türe klopfen?
Inhalte als Luxusgüter
Lars Haider, Chefredakteur vom Hamburger Abendblatt, antwortet nur knapp: Er könne es einfach nicht mehr hören, dass Zeitungen noch nicht begriffen hätten, was da draußen los ist. Und Christoph Linne von der Oberhessischen Presse stimmt ihm zu: „Wir haben eine Riesenchance, uns jeden Tag neu zu erfinden. Wir können es uns gar nicht leisten, von Gestern zu sein“, sagt er. Am Ende gehe es um die Inhalte, egal über welche Kanäle sie laufen. Inhalte seien die Überlebensgarantie des Journalismus, Luxusgüter. Eine Chance sieht Linne zum Beispiel in der Bürgerbeteiligung. Es seien die kleinen Experimente, die „kleinen Wurzeln, die uns ein Stück Glaubwürdigkeit zurückbringen, die wir in Zukunft brauchen.“
Auch Andreas Moll von der hyperlokalen Seite Meine Südstadt setzt vor allem auf Austausch. Allianzen mit anderen Machern zu schaffen, mit Anderen zusammen neue Gedanken denken – das sei die neue Herausforderung. Die sublokalen Journalisten aus der Kölner Südstadt machen mit ihrer Seite und ihrem Partner-Werbemodell einen Jahresumsatz von ca. 60.000 Euro – etwas, „worüber die meisten im Saal wohl nur lachen können“, sagt Moll. Wir haben noch viel vor, aber ich denke, dass wir das schaffen werden.“
Neue Kanäle & Markenjournalisten
Und Daten, Twitter und Storify? Nicolas Fromm von der Medienholding Nord ist sich sicher: „Das muss uns einfach interessieren, denn es ist längst da.“ Auch würden immer mehr Journalisten auf die Idee kommen, neue Kanäle für sich selbst zu nutzen, sich selbst zu öffnen. So könne auch der Redakteur zur individuellen Marke werden und die eigenen Multiplikationskanäle für sich nutzen. Die Aufgabe der Chefs: Das Gewusst-wie in der ganzen Redaktion voranzutreiben, nicht nur bei den Onlinern. Auch im Datenjournalismus lohnten sich Investitionen oft, zum Beispiel, wenn es um neue Erzählformate geht. Das Wichtigste für Fromm: eine Nutzungsidentität und -loyalität für die eigene Marke entwickeln.
Stiftungen wie die Stiftung Partizipation & Vielfalt für NRW lehnen die Diskutanten ab. „Ich habe noch nie den Ruf wahrgenommen, dem harten Wettbewerb mit Stiftungen entgegen zu treten. Wir sind im freien Markt tätig wie andere Unternehmen auch“, fasst Linne zusammen. Er plädiert vielmehr dafür, dass Redaktionen an einem Strang ziehen, sowohl bei der Vermarktung als auch bei Innovationen.
Der Döpfnersche Innovationstopf
Dass man auch heute mal ordentlich Geld in die Hand nehmen muss, bestätigt Haider und berichtet vom Döpfnerschen Innovationstopf, in dem 1,5 Millionen Euro für Ausprobierprojekte zur Verfügung stünden (momentan reist die Abendblatt-Redaktion 38 Produkten aus einem Einkaufswagen hinterher – auch mal bis nach Peru). „Ausprobieren ist der einzige Weg. Für originären Journalismus geben wir gerne Geld aus“, sagt Haider.
Also, doch nicht alles bloß von gestern. Und wie innovativ ist das, was Haider da sonst so macht, fragt Weichert: Hamburg allen als schönste Stadt der Welt verkaufen? „Für Hamburg funktioniert das halt.“