Mit der Bitte um Handzeichen geht es los: „Wer der hier Anwesenden war schon mal richtig sauer auf seinen Chefredakteur?“ Leises Gelächter tönt aus den Sitzreihen, zaghaft heben sich einige Hände. Nächste Frage: „Wer hat schon mal über einen Ausstieg aus dem Journalismus nachgedacht?“ Gut ein Drittel der Hände im Saal geht in die Luft. „Wer denkt aktuell über den Ausstieg aus dem Lokaljournalismus nach?“ Stille und ein Schmunzeln auf den Gesichtern.
„Nie war Journalismus relevanter als heute. Warum zur Hölle steigt man da aus?“ Mit dieser kritischen Frage eröffnete Moderatorin Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin des Kölner-Stadt-Anzeigers, eine der Auftaktveranstaltungen beim 25.Forum Lokaljournalismus. „Nach zwei Jahren Pandemie kommen wir direkt mit einem Downer um die Ecke“, scherzen Brasack und ihr Co-Moderator Lars Reckermann, Chefredakteur der Schwäbischen Post und Gmnünder Tagespost. Doch im Gegenteil: Mit der Diskussion wolle man aufmischen und inspirieren.
Was sind Beweggründe für den Ausstieg aus dem Lokaljournalismus?
Zu der Diskussionsrunde mit dem Titel „Ich wäre gern geblieben, wenn…“ wurden zwei Ex-Lokaljournalisten und eine Ex-Lokaljournalistin eingeladen, um über Beweggründe für den Ausstieg aus dem Lokaljournalismus zu sprechen: Alexander Völkel (Die Nordstadtblogger, Dortmund), Karsten Krogmann (Leitung Presse und Kommunikation, Weißer Ring, Mainz) und Christiane Kohl (Hotel Landhaus Bärenmühle, Frankenau-Ellershausen). Mit Ella Schindler (Volontärsverantwortliche bei den Nürnberger Nachrichten) war in der Runde eine „Kontrahentin“ anwesend, die dem Lokaljournalismus aus Überzeugung treu bleibt.
„Chefredakteure sollten wie Chefredakteure denken und nicht wie Geschäftsführer.“
Insgesamt 20 Jahre hat Karsten Krogmann als „klassischer, leidenschaftlicher Journalist“ für die Nordwest-Zeitung gearbeitet – bis er entschieden hat, seiner Redaktion den Rücken zu kehren. Warum? „Ich bin aus einer großen Enttäuschung gegangen“, sagt Krogmann. „Ich war immer der Meinung, dass der Lokaljournalismus die Funktion der vierten Gewalt übernehmen muss. Das kann nicht funktionieren, wenn man sich nur auf ein Geschäft konzentriert. Ich möchte nicht über ausgrenzende Bezahlschranken nachdenken, sondern etwas erstellen, das jedem zugänglich ist.“
„Die besten Zeiten des Qualitätsjournalismus habe ich erlebt. Den Abstieg wollte ich da nicht mehr mitmachen.“
Nach mehr als 30 Jahren hat sich Christiane Kohl vom Journalismus verabschiedet. Sie hat unter anderem für den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung gearbeitet hat und sagt: „Ich war 38 Jahre in dem Job, ich bin Journalistin mit Herz und Blut. Aber ich hatte schon so viele Geschichten geschrieben, ich hatte das Gefühl, ich habe schon alles gemacht.“ Das allein sorgte allerdings nicht für den Bruch mit ihrer Arbeit als Journalistin. „Ich beobachte die Lokalzeitung sehr genau: Leider findet da vieles nicht mehr statt, über das man berichten müsste. Es braucht nicht unbedingt eine halbe Seite darüber, dass Blüten auf Autos fallen und die Autos deshalb in die Waschanlage müssen,“ bedauert die Ex-Journalistin, die heute ein Hotel besitzt.
„Ich bin gegangen, um zu bleiben.“
Ein ähnlicher Grund wie Karsten Krogmann hat auch Alexander Völkel zum Ausstieg aus dem klassischen Lokaljournalismus bewegt. Mit seinem hyperlokalen Online-Blog Die Nordstadtblogger konzentriert er sich heute auf den Dortmunder Stadtteil. „Wenn über die Nordstadt berichtet wurde, gab es nur Rotlicht oder Blaulicht – das war mir zu wenig“, sagt Völkel in der Diskussionsrunde. „Lokal zu berichten fand ich immer wahnsinnig wichtig, gerade auch um etwas für Leute zu bewegen, die keine oder nur eine leise Stimme haben.“ Mit seinem Blog, der auf Datenanalysen und Bezahlschranken verzichtet, kommt er diesem Anspruch aus seiner Sicht näher.
„In meinem Volontariat habe ich auch darüber nachgedacht, alles hinzuschmeißen: Ich habe mich gefühlt wie eine Außerirdische.“
Ella Schindler ist bei den Nürnberger Nachrichten für die Betreuung der Volontäre verantwortlich. Geboren und aufgewachsen in der Ukraine, kam sie mit 16 Jahren nach Deutschland und strebte eine Karriere im Lokaljournalismus an. Trotz anfänglicher Bedenken, ist sie dem Lokaljournalismus bis heute treu geblieben. Sie weiß, worauf es bei der Ausbildung junger Menschen in dem Beruf ankommt: „Einerseits muss ich das Gefühl haben, dass das, was ich tue, für die Gesellschaft relevant ist. Andererseits muss ich mich als Expertin in meinem Fachgebiet wahrnehmen,“ sagt Schindler. „Die Verlage sind in der Pflicht, uns diese Gefühle zu vermitteln.“
Corona, Krieg, Klimawandel – vor welchen Herausforderungen der Lokaljournalismus aktuell steht, hat Prof. Dr. Alexandra Borchardt in ihrem Vortrag auf dem Forum Lokaljournalismus 2022 beleuchtet. Lesen Sie gerne rein!