Redaktionskonferenz Inklusion 2015

Apps für Barrierefreiheit

Aktion Mensch, Lebenshilfe, Caritas, Diakonie: wer über Inklusion schreibt, stößt früher oder später auf eine Menge Organisationen, die sich die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen auf die Fahnen geschrieben haben. Für Journalisten lohnt es sich nicht nur, sich genauer deren Agenda und Aufbau anzuschauen, sondern auch, welche Tools, Daten und Ansprechpartner diese Organisationen preisgeben. Knackigen Input für die journalistisch Praxis geben am Mittwochmorgen Andreas Henke von der Lebenshilfe und Sascha Decker von der Aktion Mensch. Wie andere Redaktionen über Inklusion schreiben, zeigt im Anschluss, kurz vor der Vorstellung der Gruppenarbeitsergebnisse, auch Sascha Lübbe von der drehscheibe.

Henke bringt Zahlen mit. Inklusion an Schulen ist ein Länderthema – und wie unterschiedlich diese aufgestellt sind zeigen die Inklusionsquoten: Bremen, Schleswig-Holstein und Hamburg sind weit vorne, bei knapp 60 Prozent. Banden-Bürttemberg und Bayern ruhen mit 26 Prozent am unteren Ende der Liste. Woran das liegt? In vielen nördlichen Bundesländern haben schon behinderte mit nicht-behinderten Kindern gemeinsam gelernt, lange bevor Deutschland die Behindertenrechtskonvention 2009 unterzeichnet hat. Inklusion funktioniert nicht auf Knopfdruck, sondern hängt stark von den vorhandenen Strukturen ab. Für das Lokale bietet sich der bundesländerübergreifende Vergleich also an: In welchen vergleichbaren Städten in anderen Bundesländern läuft es besser?

Was Henke auch zeigte, ist, dass die Organisationen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen nur vordergründig dieselben Ziele haben. ¨Wir dürfen unsere eigenen Mitglieder nicht verprellen. Wir sind eine Elternvereinigung. Also solche können wir keine politischen Kampagnen fahren¨, sagte Henke. Lokaljournalisten sollten also immer bestimmte Fragen im Gepäch haben: Wen vertritt die Organisation? Woraus leitet sie ihr Mandat ab? Die Lebenshilfe ist eine Elternvereinigung, die auch selbst Werkstätten betreibt. Sie ist ein Behindertenverband. In den Werkstätten Mindestlöhne zu zahlen hält Henke etwa für unrealistisch, da sich die ¨Werkstätten dann nicht refinenzieren können, und zudem Reha-Einrichtungen sind, die mit dem ersten Arbeitsmarkt nichts zu tun haben¨.

Ganz anders ist etwa die Aktion Mensch aufgestellt, bei der nur rund ein Dutzend der über 200 Mitarbeiter selbst eine Behinderung hat. Sascha Decker findet das nicht schlimm. ¨Die Aktion Mensch ist eine Soziallotterie und Förderorganisation, aber kein Behindertenverband¨, sagt er. Sie wurde vom ZDF mitgegründet. Der Zweck, ausgerechnet Menschen mit Behinderungen zu fördern, war relativ beliebig. ¨Und wenn Inklusion verwirklicht ist und man uns nicht mehr braucht, würden wir etwas anderes fördern¨, sagt Decker zu Vorwürfen wie den von Julia Probst, dass die Aktion Mensch Probleme für Menschen mit Behinderungen erhalte, um sich selbst zu erghalten.

Decker zeigte ein nettes Einstimmungsfilmchen namens ¨Begegnungen¨ brachte ebenfalls Zahlen mit: 93 Prozent aller Deutschen wollen in einer inklusiven Gesellschaft leben. Zusammen mit einem Forschungsinstitut hat die Aktion Mensch zudem ein Inklusionsbarometer entwickelt, das erst in den kommenden Tagen veröffentlicht wird (und das jetzt also noch geheim gehalten werden muss. Doch es lohnt sich für Lokaljournalisten, das Veröffentlichungsdatum festzuhalten, den 1. Dezember. Eine Erkenntis: ¨Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre ist an Menschen mit Schwerbehinderung vorbeigelaufen¨.

Am Nutzwertigsten für die journalistische Praxis sind die verschiedene Apps und Tools zur Barrierefreiheit, über die Lokalredaktionen berichten und sie testen können

– ¨Greta & Starks¨, die Kino-App für gehörlose und blinde Menschen. Für erstere schreibt sie das gesprochene Wort mit, für zweitere bietet sie Untertitel für Kinofilme in Deutschland: http://www.gretaundstarks.de
– ¨Be my eyes¨ mit der App wird live gestreamt und sehende können blinden Menschen erklären, was die Kamera aufzeichnet. Das ist etwa dann nützlich, wenn man etwas in der Wohnung verloren hat

Auch interessant sind verschiedene Förderprojekte von Aktion Mensch, die sich zur kritischen Begutachtung und Berichterstattung vor Ort anbieten:
– Die Arbeitsvermittlungsagentur Füngeling Router, die an Integrationsbetriebe, die zu 40 Prozent Menschen mit Behinderungen anstellen müssen, qualifiziertes Personal vermittelt
– Unter dem Motto¨Fußball für alle¨ lädt der Berliner Fußballverband zu einer inklusiven Turnierserie ein

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Kurz und knackig soll es weitergehen: Auch Sascha Lübbe hat kurz vor dem Ende der Veranstaltung einige Tipps aus der Inklusions-drehscheibe vorgestellt.
– Raul Krauthausen von Sozialhelden e.V. spricht sich stark gegen Selbstversuche im Rollstuhl aus. Besser wäre es, mit Menschen im Rollstuhl selbst über die Barrierefreiheit vor Ort zu sprechen, ggf. mit Rundgang vor Ort
– der ¨Fall Henri¨ in der Rhein-Necker Zeitung. Das Kind Henri wurde über einem sehr langen Zeitraum beobachtet und anschaulich berichtet, was Inklusion aus seiner Perspektive und der seiner Mitmenschen bedeutet. Es gab wohl eine sehr rege Diskussion aus der Leser schaft, auch der Chefredakteur sebst hat sich geäußert
– Die Badische Neueste Nachrichten schriebt ausführlich und nah an der Perspektive der Protagonisten über Beschäftigte in Integrationsbetrieben, wie eine Frau mit Down Sydndrom, die in einem Hotel bearbeitet
– Sascha Lübbe weist nochmal auf das Thema leichte Sprache hin. Augsburger Allgemeine Zeitung veröffentlicht etwa jeden Freitag drei Nachrichten in leichter Sprache. Die thematische Spanne reicht von umfangreicher Flüchtlingsberichterstattung bis zu kurzen Meldungen. Die Zeitung arbeitet mit der Caritas zusammen; dort übersetzen Mitarbeiter die Nachricht in einfache Sprache.

Wer selbst nach Übersetzern sucht, findet diese ggf. Im Netzwerk Leichte Sprache.org. Hier wird nicht nur die Übersetzung abgewickelt, sondern die Texte werden auch einem Praxistext unterzogen
– als letztes stellt Lübbe den Leitfaden der Bundesregierung namens ¨auf Augenhöhe¨ vor. Ähnlich wie leidmedien.de bietet er für Medienmacher Tipps zum Thema Sprache und auch Bildgestaltung