„Die Besucherbühne ist voll wie beim ersten Tag, es gibt Beschwerden über die Reisekosten, viele Journalisten schlafen dann bei Freunden auf Schlafsofas“. Annette Ramelsberger ist Gerichtsreporterin bei der Süddeutschen Zeitung. Sie begleitet den NSU Prozess und sagt, dass man viel von ihm lernen kann. „Die Medien machen hier sehr viel richtig, sie bleiben dran, setzen Prioritäten, kümmern sich um die Opfer, stellen den Prozess dar“. Ihre sechs Thesen für einen guten Journalismus, der seinem Wächteramt gerecht wird. Und die den Weg bereiten für die folgende Diskussion „Pressefreiheit und öffentliche Aufgabe ─ Welchen Journalismus verlangt die demokratische und digitale Gesellschaft?“
1. „Wenn Journalismus gesellschaftlich relevant sein will, muss er im Imformationsdschungel wegweisend sei. Er muss bei den wirklich wichtigen Themen Prioritäten setzen, und dran bleiben.“ Dafür müsse man Platz schaffen.
2. „Journalismus muss sich vor Skandalisierung hüten. Er darf sich nicht in wohligen Verschwörungstheorien suhlen, sondern muss objektiv bleiben.“ Dummheit, Alltagstrott und Ländergrenzen hätten das Vorfeld des NSU-Prozesses bestimmt, keine staatliche Verschwörung.
3. „Guter Journalismus kann nur aufwändiger Journalismus sein. Sie müssen sich Mühe machen, Akten studieren, auch bei den kleinen Skandalen vor Ort. Sie müssen mit den Leuten reden, das Besondere einfangen.“
4. Diese Werte „funktionieren Online genausogut wie im Print oder Radio, vielleicht sogar besser.“ Ramelsberger sei vor dem NSU-Prozess an alle relevante Orte für den Prozess gefahren, herausgekommen sei für Print eine Seite. Für Online eine 360 Grad-Karte. Mit Eindrücken der Reporterin, und vielem mehr. Dadurch habe man den Fall im wahrsten Sinne des Wortes mehr Perspektiven darstellen können – und neue Zielgruppen gewonnen.
5. Relevanter Journalismus darf nicht selbstverliebt sein, muss selbskritisch sein. „Ich frage mich: Warum ist ein vertraulicher Anruf eines Bundespräsidenten bei einem Chefredakteur ein Grund für den Rücktritt? Wie gehen die Medien damit um, dass ein Chefredakteur eine nur an ihn gerichtete Nachricht weiterleitetet?“
6. Journalisten sollten sich nicht vorschnell eine Meinung bilden. „Vorsicht vor steilen Thesen.“ Bei Hoeneß wussten angeblich alle, dass er bestimmt nicht ins Gefängnis kommt. Dann, dass er direkt wieder rauskommt. Lieblingssport vieler Journalisten: „Erst kommentieren, dann kapieren.“ Das müsse aufhören.
„Journalisten sind Wächter, der Platz des Journalisten ist zwischen den Stühlen. Das ist unbequem, aber daran sollten wir uns mehr erinnern“, ist Ramelsbergers Schlusstatement. Applaus. Und ab in die letzte Diskussion des Tages.