Die Energiewende verändert ganze Wirtschaftswelten. Millionen von Euro fließen in die Entwicklung neuer Technologien, Tausende Gebäude werden saniert, Städte wälzen sich selbst komplett um. Die Vorreiter der Energiewende fanden wir: nicht in der Gesellschaft stylischer Wolkenkratzer. Sondern eher in der von Kühen und Wäldern. Es sind die ländlichen Landkreise und Gemeinden mit engagierten Bürgern, Netzwerken und Versorgern, die ihre Energiegeschichte neu geschrieben haben.
Mit viel Feuer erzählten heute Morgen Ulrich Ahlke, Leiter des Amtes für Klimaschutz und Nachhaltigkeit für den Kreis Steinfurt, und Günter Mögele, zweiter Bürgermeister und Referent für Erneuerbare Energien und Klimaschutz in der Gemeinde Wildpoldsried, wie engagiert ihre Gemeinden die Energiewende in die Hand genommen haben – und was noch besser laufen könnte. „Der Strukturwandel wird weh tun“, sagte Ahlke. Aber: er sei es Wert. Und egal auf welche Ebene man schaut: Klimaschutz ist schon lange nicht mehr ein Nischenthema für Ökos.
Mögeles Vortrag: Wildpoldsried [PDF)
Ahlkes Vortrag: Energieland 2050 [PDF]
Der eigentliche Titel von Ahlkes Vortrag lautet „Wenn Dachsanierung, Dämmung, Windkraft und Biogas zum Wirtschaftsfaktor werden“. Doch statt blanker Zahlen warf Ahlke eher Visionen in bunten Farben an die Wand, die er mit energischen Blicken und Sätzen verteidigte. Ihm ging es um das „Energieland 2050“, eine Art Klimaschutz-Projektgebiet mit 24 Städten und 130.000 Arbeitnehmern in einem nördlichen Zipfel NRWs.
Bis 2050 soll sich der Energiebedarf halbieren und die Treibhausemmissionen um 95 Prozent zurückgehen. Das sagt zumindest der Masterplan. Hört sich utopisch an. Und ein wenig ist es das vielleicht auch. „Was hier hintersteckt, ist ein Systemwandel und ein Strukturwandel von unglaublichen Dimensionen. Es wird eine enorme Kapitalverschiebung geben“, sagte Ahlke und schielte dabei vor allem in Richtung Politik, die eine dezentrale Energieerzeugung vereinfachen und Energiespar-Branchen in der Krise nicht vergessen solle.
Das Energieland 2050 lebt von Netzwerken, Runden Tischen mit Bürgern und Stakeholdern, Vereinen, Beiräten, Regionale Vermarktung. Gerade Windenergie biete Potenziale (siehe Powerpoint). Hinter der Windenergie stecken nämlich auch gigantische Investitionen. „Wir haben 2014 für 165 Millionen Euro Bürgerwindparks durchgesetzt. Von Anfang an haben wir die Bürger beteiligt. Es gibt eine Servicestelle Windenergie, mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung „, sagt Ahlke. Ja, Bürgerwindparks sind genau das, wonach sie sich anhören: Der Bürger investiert in Windräder und bindet sich an sie, mit ihnen als Geldanlage.
Der Kreis Steinfurt hat auch Studien durchgeführt. Demnach unterstützen die meisten Bürger die Energiewende. Bioenergie hat jedoch an Zuspruch verloren, und nur noch 5 Prozent halten Kernenergie für eine gute Energiesorte. Worüber die Studie nicht spricht, sind die Bürger, die Windenergie und Erneuerbare Energien zwar prinzipiell gut finden. Aber nur, solange sie die eigene Aussicht nicht blockieren. „Diese Energiewende braucht nicht in erste Linie technische Lösungen, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Prozess“, sagte Ahlke, und trifft damit den Nagel auf den Kopf.
Energiewende genießt Rückhalt in der Bevölkerung
Dazu gehören viele Projekte. Beim Projekt „Klimaschutzbürger“ ging es um individuelle Energieeinsparungen. Das ist auch Stoff für Lokaljournalisten: Bis zu ein Drittel der CO2 Einsparungen im Haushalt könne man gut einsparen, ohne dass die Lebensqualität Einbußen erleiden. Dazu kamen Spritsparfahrkurse und Klimakochkurse. Eine Tomate im Winter aus dem Gewächshaus hat pro Kilo 9kg CO2 verursacht, während die saisonale Tomate bei unter einem Pfund CO2 liegt. Wer hätt’s gedacht!
Der Handwerkermarkt ist auch hoch interessant, hier wird viel passieren. Nur ein Prozent der Gebäude in der Region wird pro Jahr durchsaniert. Und viele Gebäude könnten im Laufe der nächsten Jahre Sanierungen im Wert von bis zu 50.00 Euro vertragen, sagte Ahlke. Jedoch sei das in der Praxis nicht immer so einfach. 18 von 24 Städten und Gemeinden schrumpfen. Die Alterskohorte 0-25 schrumpft in allen Gemeinden. Und in allen Gemeinden wächst die Kohorte 65+. Auf der Leinwand erscheint das Foto eines etwas heruntergekommenen Hauses. „Nehmen wir mal an, in diesem Haus, das 50.000 Euro Wert ist, steckt ein Sanierungspotenzial von 100.000 Euro und die alte Dame die hier wohnt würde das nun für 100.00 Euro sanieren. Der Wert des Hauses steigt dadurch aber nur um 10.000 Euro.“ Ist das noch fair? Nicht alle Angebote würden greifen. In NRW sei der Wohnraum in den letzten 25 Jahren um 31% gewachsen. Wenn die Wohnfläche wächst, nutzen die Sanierungen nicht so viel.
Regionale Player beteiligen, Siedlungen ganzheitlich betrachten
Laut Ahlke brauche man eine ganz andere Herangehensweise. Man müsse statt Einzelgebäuden ganze Quartiere und Siedlungen betrachten. Das Fazit lautet für ihn: „Für Kommunen (gerade in ländlichen Räumen) besteht eine große Chance darin, Klimaschutz und die lokale und regionale Energiewende für die Gestaltung einer ökologischen und ökonomischen Modernisierung zu nutzen.“.
Kurz gesagt: Leute, wir müssen eh alles umkrempeln und aufräumen, also können wir dabei auch gleich den Müll rausbringen! Und dazu bräuchte man auch eine aktive Presse.
„Die Aufmacher sind oft so, dass man Angst vor der Energiewende bekommt. Es gibt Lobbyisten die großes Interesse daran haben, dass die Energiewende nicht gelingt“, bemängelte Ahlke.
Puh. Viel Input. Und nur einer von zwei Spechern.
Der nächste Sprecher betritt die Bühne mit einem verschmitzten Grinsen und einem sympathisch bayerisch klingendem Akzent. Günter Mögele. Der Projektor zeigt Bilder von Kühen auf saftig grünen Wiesen, doch im Hintergrund finden wir keine alpine Traumlandschaft, sondern kleine Häuschen deren Dächer vollständig von Photovoltaik-Anlagen bedeckt sind. Das ist Wildpoldsried, wo Mögele zweiter Bürgermeister und Experte für Klimaschutz ist. Das besondere an dem Städtchen: Es ist in einigen Bereichen quasi energieautark. Hier wird auch mit Smart Grid Technologien hantiert und die Bürger beteiligen sich nicht nur meinungsstark, sondern auch finanziell an Dorfheizungen und Windrädern.
„Wir haben schon ziemlich früh angefangen mit erneuerbaren Energien und nachhaltigem Bauen. Sie werden sicher Dörfer finden die mehr Wasserkraftwerke haben, aber was bei uns besonders ist, ist der Energiemix aus Wasserkraft, Biomasse, Windenergie und Holz, das bei uns ein typischer nachwachsender Baustoff ist. Aber das wichtigste Rad in unserem Getriebe ist die Bürgerbeteiligung.“ Die Bürger investieren in Erneuerbare Energien. Und finanzieren sie so. Bei früheren Windrädern habe es eine Obergrenze von 100.00 und bis 50.000 Euro gegeben. Bei neueren Projekten läge die Obergrenzen bei 5.000 Euro. Nach dem Motto: Nicht auf’s Geld selbst kommt es an. Sondern darauf, dass möglichst viele Bürger im Boot sind.
Geburt eines Energiedorfs
Wie es losging? 1996 wurde der neue Bürgermeister gewählt, wenige Jahre später kam es zu einer Klausurtagung und 1999 zu einer Bürgerumfrage. Es habe rund 70% Rückläufer geben, die mit Ehrenamtlichen ausgewertet wurden. Das EEG war damals noch nicht raus und die Energiewende und Klimaschutz in vielen Städten Nebensache. Wenn überhaupt. Doch nicht in Wildpoldsried. Diese Stadt dachte weiter: Die Gemeinde hat ein ökologisches Dreisäulen-Konzept vorgestellt: Energie (Regenerative Energie-Erzeugung und Energie-Einsparung), Holz (als ökologischer Baustoff für Baumaßnahmen) und Wasser (Schutz der Wasservorkommen und Abwasserreinigung) „Wir haben beschlossen, dass wir in dem Bereich auch autark bleiben wollen“, sagte Mögele. Und das blieben sie auch.
Ein Schmuckstück von Wildpoldsried ist heute die Dorfheizung, die seit 2005 in Betrieb ist. Ein Biomasskessel, drei Biogaskessel, ein Heizöl-Kessel, und noch vieles mehr trägt zur regenerativen Wärmeerzeugung mit hauptsächlich Biogas und ein bisschen Pellets bei. 51 Gebäude werden damit geheizt. Einsparungen: ca. 900 Tonnen CO2 und 33.500 Euro pro Jahr. Es sei zuerst schwierig gewesen, die Bürger zu überzeugen mitzumachen, sagte Mögele. Doch als die ersten gute Erfahrungen gemacht haben, standen schnell mehrere Leute hinter dem Projekt. Es schien einfach vernünftig.
Ein Ziel von Wildpoldsried ist, dass bis 2020 100 Prozent der Wärme aus erneuerbarer Energie erzeugt werden soll. Die Bilanz 2014 liegt etwa bei 70 Prozent. Aber letzten 30 Prozent sind die härtesten, sagt Mögele. Dieser letzte Rest sei Feinarbeit, und vor allem gesetzlich müsste die Wärme aus erneuerbaren Energien attraktiver gemacht werden.
Und was ist mit dem Strom? Für die elektrische Energie sind rechnerisch allein die Biogas-Blockheizkraftwerke genug. Was wichtig ist, denn die Windenergieerzeugung schwankt schnell mal, und Phtotovoltaik auch, obwohl beide den Energiebedarf jeweils fast abdecken würden. 2014 wurde fast fünfmal so viel Strom erzeugt wie nötig.
Wie auch Ahlke hat Mögleles Gemeinde Thermografieaktionen gemacht, Energieberatung, Pumpenaustauschaktionen, Energieführerschein, Prämien für Energiesparer. In einem ökologischen Bildungszentrum können Besucher CO2-frei übernachten. Kommunale Gebäude wie die Sporthalle und die Kinderkrippe sind als sogenanntes Plusenergiehaus gebaut worden und können sich größtenteils sehr erhalten. „Wenn man die Energiekosten niedrig halten kann, kann man auch die Beiträge niedrig halten“, sagte Mögele und weist damit auf eine Dimension hin, die oft vergessen wird: Erneuerbare Energien lohnen sich nicht nur für die Umwelt. Für Länder, die weit entfernt sind. Sondern auch vor Ort, in den Kommunen, für die Familien. Zumindest, so lange sich diese selbst versorgen. „Einspeisen ist heute uninteressant“, sagt Mögele, der eingespeiste Strom würde nach EEG Neuerungen schlecht bezahlt.
Auch größere Städte können es schaffen
Politisch ging es in der Diskussion danach dazu. Im Norden NRW seien Tausende Arbeitsplätze in den Industrien rund um erneuerbare Energien verloren gegangen, aber eine bestimmte Partei schaue „nur auf die Kohle im Ruhrgebiet, weil dort und nicht in Westfalen ihre Wähler sitzen“, beklagte sich Ahlke.
Die Teilhmer des Seminars bewegte vor allem eine Frage: Wie kann meine Gemeinde so weit kommen? Worauf muss ich achten? Könnten größere Städte auch autark sein? Laut Mögele habe Frankfurt zum Beispiel gute Chancen – wenn es sein Umland einbeziehe. „Die laufen ja jetzt schon Sturm“, tönte eine Stimme aus dem Publikum. Auch für Ahlke hätten Metropolen klar gute Voraussetzngen: Erstens der ÖPNV, der leicht klimaneutral zu organisieren sei, zweitens der geringere Wohnraum pro Person und drittens könne man in Städten mehr Menschen erreichen, die sich für Klimaschutz und Energiersparen interessieren. Die Finanzierung sei meistens kein problem. „Es gibt europaweit gigantische Fördertöpfe, man muss nur reingreifen.“
„Der Schlüssel zum Erfolg ist es, Verfahren transparent zu halten und Konflikte offen anzugehen“, sagte Ahlke.
Und genau hier können Lokalredaktionen ihre Stärken als Vermittler und Einordner ausspielen.