Lokalredakteure irren in der Stadt herum, es ist offensichtlich nicht ihre Stadt. Den Blick fest aus Handy gerichtet, sind sie auf der Suche. Aber nach was? Ihre Smartphones geben ihnen nur Rätsel auf: „Wann kommt die Flut?“ Die investigativen Journalisten sollen den Ort zu dieser seltsamen Frage finden. Das interaktive Spiel, das die reale Stadt mit der virtuellen Welt verknüpft, heißt „Tidy City“.
Entwickelt, früher man gesagt erfunden, hat die virtuelle Schnitzeljagd Richard Wetzel vom Fraunhofer Institut für angewandte Informationstechnik. Das Spiel eignet sich nicht zuletzt, um Computerfreaks wie ihn an die frische Luft zu bringen.
Waiblingen ist in Unordnung geraten, Gegenstände, Gebäude, markante natürlich, sind nicht mehr an ihrem gewohnten Platz. Das zeigen die von Wetzel programmierten Androidhandys an. Die Spieler sollen also aufräume, virtuell versteht, alles wieder an seinen gewohnten, ordnungsgemäßen Platz bringen. Nur, in diesem Fall sind es völlig Ortsunkundige, weil Teilnehmer eines Forums bundesweit angereister Journalisten. Sie tun sich schwer in der idyllischen, aber auch verwinkelten Waiblinger Altstadt.
Wetzel hat sie zusätzlich motiviert, ihnen eröffnet, dass er erst vor zwei Wochen mit einer Gruppe von einheimischen Kindern ebenfalls mit „Tidy City“ hier unterwegs war. Die gilt es also, zu schlagen. Verortet und navigiert werden die ausschwärmenden Kleinteams durch GPS, aber nur bis die „Objekte eingesammelt“ sind, also das Rätsel gestellt ist, dann beginnt die eigentliche Suche, mit nichts als einem Begriff und einem Ausschnitt auf dem Display, zum Beispiel einem Fensterausschnitt statt der kompletten gesuchten Kirche.
14 orangene Punkte sind in der Altstadt verteilt, sie sind das Spielfeld. Ruckzuck blinken „1757“, „Versteinert“, „Stadtwache“ und „runder Nikolaus“ auf dem Handy auf. Das erste Rätsel, Stichwort „Laterne, Laterne,“ wird unweit vom Tagungsort Bürgerzentrum am Übergang von der Talaue in die Altstadt schnell gelöst, eigentlich. Denn das verflixte Ding verteilt doch glatt einen Minuspunkt, angeblich also falsche Lösung. Wetzel muss eingreifen, alles in Ort, das GPS muckt manchmal, das Radar funktioniert noch nicht einwandfrei.
Katja Riefler. Verlagsberaterin von RiSolutions und die Medienjournalistin Ulrike Langer, beginnen im Waiblinger Gassengewirr etwas zu verzweifeln: „Also für Touristen, um die Stadt zu erkunden, ist das nichts.“ Man könnte ja auch mal Passanten fragen. „Zu 95 Prozent machen das Spieler nicht. Dabei ist es durchaus erlaubt, das gehört zum Spiel“, erläutert später Wetzel. Interessant wäre es sicher auch, mal einfach in die nahe „Touristinformation“ oder ins benachbarte Rathaus reinzulaufen und rauszukriegen, wie’s denn dort mit Heimatkunde bestellt ist, nur recherchehalber, versteht sich.
Derweil kommt das Ermittlertrio Petra Bäumer (Bundeszentrale für Politische Bildung), Tobias Köhler (Stuttgarter Zeitung) und Katrin Scheib (WAZ, Der Westen), dem Rätsel „Wann kommt die Flut?“ auf die Spur. Klarer Fall, die Lösung muss unten an dem Fluss, also dieser Rems, liegen. Tatsächlich, es sind die nahe beim Wehr unterhalb der Michaelskirche aufgezeichneten, historischen Pegelhöchststände. Von nun an flutscht es. Der Jagdinstinkt ist geweckt, der Mensch, nicht nur der Journalist, ist eben nicht nur ein Sammler. Dass Online-Redakteure für den Outdooreinsatz schlicht nicht zu gebrauchen sind, erweist sich als krasses Vorurteil. Petra Bäumer schnappt sich kurzentschlossen das Handy und wetzt mit ihren feinen Lederschuhen mutig über die morastige Wiese zum Ziel. Wieder ein Punkt mehr auf der Habenseite. Das Team jubelt: „Du bist unsere Kandidatin fürs Dschungelcamp!“
Mittlerweile wird eine Gruppe von etwa zwölfjährigen Buben auf diese seltsamen Erwachsenen, die da dauernd auf ihre Handys starren, aufmerksam. Sie wollen wissen, was da denn los ist. Schnell wird deutlich: „Tidy City“, das ist ihr Ding, sie fangen Feuer. Na klar, diese komische Kugel auf dem Display, die ist doch da oben rechts an der Marktgasse, an der kommen sie ja jeden Tag vorbei. Die Wege trennen sich fortan nicht mehr. Die Jungs werden zu Lotsen. Als der noch sehr jugendlich wirkende Wetzel ihnen zudem erklärt, er selbst sei der Spielentwickler, bekommen sie große, glänzende Augen. Der Typ ist ja obercool. Sag doch mal, wie kommt man denn an dieses Spiel?