Autor: Zeitungsverlag Waiblingen

Tangotanzende Bücher: Die aktuellen Zeitungstrends

Er ist der Meister seiner Zunft: 50 Zeitungen hat Norbert Küpper schon neu gestaltet. Beim Lokaljournalistenforum hat der Zeitungsdesigner am Freitag kreative Seiten aus ganz Europa präsentiert. Zu sehen bekam das Publikum überdimensionale Rotstifte, tangotanzende Bücher und Totenkopf-Mais. Wer eine optisch herausragende Zeitungsseite gemacht hat, darf seit 1999 jährlich auf einen „European Newspaper Award“ hoffen.Veranstalter des Wettbewerbs ist Norbert Küpper. Im Waiblinger Bürgerzentrum hat er die Preisträger des Jahres 2010 vorgestellt. Der Trend, so stellt Küpper fest, geht immer noch zu größeren Bildern – und längeren Texten. Außerhalb des deutschsprachigen Raums setzt sich das Tabloid-Format immer mehr durch: Zeitungen kann man dann wie Zeitschriften durchblättern. Aktuell trifft’s laut Küpper gerade das krisengebeutelte Irland. Bei den Titelseiten haben sich Bilder mittlerweile durchgesetzt – und die Politik ist dort thematisch längst nicht mehr unter sich.

Die große Aussprache: „Wissenschaft trifft Praxis“

Am Anfang steht die Warnung des Moderators: „Ich weiß nicht, wo das hier hinführen wird“, sagt Alexander Houben, Chef vom Dienst beim Trierischen Volksfreund. Denn große Routine im Austausch miteinander haben die praktizierenden Journalisten und theoretisierenden Kommunikationswissenschaftler tatsächlich kaum. Die gutbesuchte Arbeitsgruppe erinnert etwas an eine Schlichtungsverhandlung, an die große Aussprache nach dem großen Knall. Houben bringt es auf den Punkt: „Im Verhältnis von Theorie und Praxis scheint bei uns Einiges im Argen zu liegen – und da müssen wir etwas auf die Beziehungs-Couch.“ Los geht die Gesprächstherapie.

Lehren aus Winnenden: Der innere Pressekodex

Laut einer Studie der TU-Dresden haben nur ein Drittel der Deutschen Vertrauen in Journalisten, unter jungen Menschen sind es nur 25 Prozent. Die Mehrheit glaubt nicht an die Wahrheit der journalistischen Produkte und schätzt Journalisten sogar mächtiger ein als Politiker. Dieses so wahrgenommene Machtverhältnis kritisieren sie. Prof. Dr. Wolfgang Donsbach stellt zu Beginn der Podiumsdiskussion „Sündenfall Winnenden – oder was ist mit der journalistischen Ethik in der Praxis“ erschreckende Umfrageergebnisse vor. Er fordert einen Schutz von Journalisten, die sich der Tageshektik bewusst entziehen. Die professionelle Entscheidungen zugunsten ihre Leserschaft oder von Betroffenen treffen und dabei ökonomische Erwartungen gegebenenfalls nicht erfüllen.

Herumirrende Lokaljournalisten

Lokalredakteure irren in der Stadt herum, es ist offensichtlich nicht ihre Stadt. Den Blick fest aus Handy gerichtet, sind sie auf der Suche. Aber nach was? Ihre Smartphones geben ihnen nur Rätsel auf: „Wann kommt die Flut?“ Die investigativen Journalisten sollen den Ort zu dieser seltsamen Frage finden. Das interaktive Spiel, das die reale Stadt mit der virtuellen Welt verknüpft, heißt „Tidy City“. Entwickelt, früher man gesagt erfunden, hat die virtuelle Schnitzeljagd Richard Wetzel vom Fraunhofer Institut für angewandte Informationstechnik. Das Spiel eignet sich nicht zuletzt, um Computerfreaks wie ihn an die frische Luft zu bringen. Waiblingen ist in Unordnung geraten, Gegenstände, Gebäude, markante natürlich, sind nicht mehr an ihrem gewohnten Platz. Das zeigen die von Wetzel programmierten Androidhandys an. Die Spieler sollen also aufräume, virtuell versteht, alles wieder an seinen gewohnten, ordnungsgemäßen Platz bringen. Nur, in diesem Fall sind es völlig Ortsunkundige, weil Teilnehmer eines Forums bundesweit angereister Journalisten. Sie tun sich schwer in der idyllischen, aber auch verwinkelten Waiblinger Altstadt.

Zeitungen müssen auf Facebook aktiv sein

Zeitungen, die Menschen unter 35 Jahren erreichen und obendrein Geld verdienen wollen, müssen Facebook nutzen. Diese Meinung hat Hans-Jörg Zürn, Chefredakteur und Verlagsleiter der Böblinger und Sindelfinger Zeitung, beim Experten-Forum im Waiblinger Bürgerzentrum vertreten. Weltweit nutzen über 500 Millionen Menschen das soziale Internet-Medium Facebook, alleine in Deutschland gibt es etwa zwölf Millionen aktiver User. Diese imposanten Zahlen stellt André Hellmann, Geschäftsführer der Netzstrategen, den Zuhörern vor. „Es geht um das Zeitbudget, das wir von unseren Lesern bekommen. Wir stehen als Zeitung im Wettbewerb mit dem Gelaber auf Facebook. Das ist eine ganz krasse Konkurrenz.“

Bruce Shapiro über die Aufgaben des Lokaljournalismus nach Krisensituationen

Heute beim Forum Lokaljournalismus um 17.30 Uhr: Podiumsdiskussion zum Thema „Sündenfall Winnenden – oder was ist mit der journalistischen Ethik in der Praxis“. Mit dabei: Bruce Shapiro, Direktor des Dart Centers für Journalismus und Trauma. Er findet: „So ein Ereignis passiert nicht einfach und kann dann für die Vergangenheit abgehakt werden. Die ganze Gemeinde erleidet ein Langzeittrauma, das sich auf ganz unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Graden der Betroffenheit offenbart. Manchmal ist die lokale Presse die einzige vertrauenswürdige Informationsquelle. Das ist eine große Verantwortung. Journalisten können helfen und beeinflussen, wie die Menschen das Trauma und die eigenen Heilungsperspektiven wahrnehmen. Zunächst müssen Journalisten akzeptieren, dass es sich um einen kontinuierlichen Prozess und kein einmaliges Ereignis handelt. Sie müssen ein sensibles Gespür für diesen Prozess entwickeln.