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Lehren aus Winnenden: Der innere Pressekodex

Frank Nipkau, Redaktionsleiter der Waiblinger Kreiszeitung

Frank Nipkau, Redaktionsleiter der Waiblinger Kreiszeitung

Laut einer Studie der TU-Dresden haben nur ein Drittel der Deutschen Vertrauen in Journalisten, unter jungen Menschen sind es nur 25 Prozent. Die Mehrheit glaubt nicht an die Wahrheit der journalistischen Produkte und schätzt Journalisten sogar mächtiger ein als Politiker. Dieses so wahrgenommene Machtverhältnis kritisieren sie. Prof. Dr. Wolfgang Donsbach stellt zu Beginn der Podiumsdiskussion „Sündenfall Winnenden – oder was ist mit der journalistischen Ethik in der Praxis“ erschreckende Umfrageergebnisse vor.
Er fordert einen Schutz von Journalisten, die sich der Tageshektik bewusst entziehen. Die professionelle Entscheidungen zugunsten ihre Leserschaft oder von Betroffenen treffen und dabei ökonomische Erwartungen gegebenenfalls nicht erfüllen.

„Wir brauchen eine Alternative zu dem unreflektierten journalistischen Ritual, nach einemschrecklichen Ereignis möglichst schnell Opfergeschichten und Opferfotos zu veröffentlichen. Das fordert Frank Nipkau, Redaktionsleiter des Zeitungsverlags Waiblingen.Nipkau: „Wir sind mit unserer Zurückhaltung gut gefahren. Uns hat niemand vorgeworfen, dass wir nicht so viele Details oder Fotos gezeigt haben wie die Bildzeitung.“ Eine gute Empfehlung seien die acht Regeln, die zum Jahrestag des Winnender Amoklaufs von der psychologischen Nachsorge verfasst wurden:

– „Halten Sie bitte Abstand zu Menschen, die trauern.“
– „Zeigen Sie bitte Respekt und bedrängen Sie die trauernden Menschen nicht.“
– „Akzeptieren Sie bitte ein ‚Nein‘; akzeptieren Sie Ruhe- und Rückzugsbedürfnisse.“
– „Achten Sie bitte die Privatsphäre der Betroffenen und der Anwohner. Belagern Sie keine Häuser und Schulen.“
– „Bitte rufen Sie nicht ohne Erlaubnis Betroffene einfach zu Hause an.“
– „Fotografieren und filmen Sie bitte nicht die Gesichter von Menschen, die weinen.“
– „Befragen Sie bitte keine Minderjährigen.“
– „Fragen Sie bitte nicht nach dem persönlichen Erleben vor einem Jahr, weil dadurch die traumatischen Erfahrungen wiederbelebt werden. Außerdem kann dadurch der therapeutische Prozess bei den Betroffenen wieder zurückgeworfen werden.

Nipkau greift den Presserat an und wirft ihm vor, die Verwendung von Fotos aus sozialen Netzwerken und anderen fragwürdigen Quellen nicht zu ahnden, während die Staatsanwaltschaft bereits Strafbefehl gegen einen Schulfotograf erließ, der ein Foto von einer erschossenen Schülerin an Medien verkaufte, das dann über Nachrichtenagenturen und Magazine veröffentlicht wurde. Der Presserat habe den entscheidenen Fehler, nur auf Hinweise reagieren zu können. „Die Betroffenen müssen die ganze Arbeit schultern“, so Nipkau. Hier ist ein Artikel zu dieser Geschichte

Lutz TIllmanns widerspricht: Nicht die Betroffenen, Sie und alle Medien als Mitglieder des Presserates. Auch Prof.Dr. Christian Schicha hält den Presserat keinesfalls für einen zahnloser Tiger. keine neutralen Beobachter, sondern Diskursteilnehmer, die ihr Handeln reflektieren und aus Fehlern lernen.

Bruce Shapiro, Direktor des Dartcenters für Journalismus und Trauma, ist ein renommierter US-Journalist. Er wurde 1994 Opfer eines psychisch kranken Mannes, der mit einem Jagdmesser acht Menschen in einem Cafe verletzte. Shapiro wurde Opfer und Protagonist für die Medienberichterstattung. Nach diesem Erlebnis stellte er seine journalistischen Handlungsmaxime auf den Prüfstand. Sein Appell an alle Lokaljournalisten: Einen inneren Pressekodex zu entwickeln. 1. Versuche, keine Schmerzen zu verursachen.2. Sich die Frage zu stellen: Kann ich über meine Geschichte behaupten, dass sie die Situation nicht
verschlimmert hat? 3. Habe ich einen Guten Grund, vor Ort zu sein? Mitgefühl und Respekt vor der menschlichen Würde seien das wichtigste im Umgang mit Betroffenen. Es gehe nicht um Regeln sondern um journalistische Entscheidungen. Lokaljournalisten müssten wissen, dass eine so schlimme Tat wie ein Amoklauf im Prinzip überall und immer passieren kann: Anders als überregionale Medien müssen sich Lokaljournalisten nicht nur mit der Zeit der „breaking news“ auseinandersetzen sondern mit den Folgen des Geschehens – über Monate und Jahre.

Bruce Shapiro, Dart Center for Journalism and Trauma

Bruce Shapiro, Dart Center for Journalism and Trauma

Gisela Mayer, stellvertretende Sprecherind es Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden: „Sachzwänge wachsen nicht auf Bäumen, Sachszwänge machen wir uns selbst. Wenn Sie den Täter eines Amoklauf im Bild zeigen und seinen Namen nennen, dann tun sie das, was er von ihnen erwartet: Sie spielen sein Spiel mit. Er will mediale Präsenz. Etwas was mir in der gesamten Berichterstattung gefehlt hat, war eine klare Stellungnahme zu dieser feigen Tat.“

1 Kommentare

  1. Dan More sagt

    Hallo,

    Journalistische Lehren wurden aus dem Fall Winnenden keine gezogen. Weder von der Presse, noch von anderen.
    Anstelle bei solch schrecklichen Taten wie der Fall Winnenden, der Fall Lörrach ode rjüngst der Fall Plochingen, gleich munter drauf los zu berichten, sollte man sich erstmal in Zurückhaltung üben.
    Keinem ist es damit geholfen, wenn Tatsachen verbreitet werden, die nicht bestätigt sind. Und keinem ist damit geholfen, wenn Herr Schober weiterhin seine unsachlichen Kommentare in jede Kamera spricht, ohne die kompletten Fakten eines Vorfalls zu kennen.
    Hier kritisiere ich bewußt auch die Vorgehensweise des Herrn Schober bei solchen Vorfällen.

    Es mag ja durchaus richtig sein, bezogen auch den Fall Plochingen, dass der Mann noch leben könnte, wenn keine Schusswaffe im Haus gewesen wäre. Aber man muß das ganze auch von der andere Seite betrachten. Hätte die Frau nicht mit einer Schusswaffe versucht ihre Kinder, wovon eines bereits in der Gewalt des eigenen Vaters war und sich in einer potentiell in Lebensgefahr befand, zu schützen, könnten jetzt die Kinder und die Frau durchaus tot sein.
    Aber klar, der Mann könnte noch leben.
    Solange die Staatsanwaltschaft und/oder ein Gericht ermittelt haben, ob es sich bei dieser Tat um Mord, Totschlag oder doch eine berechtigte Notwehr handelt, sollten alle beteiligten tunlichst die Füße stillhalten und damit aufhören die Schuld bei anderen zu suchen, als denen, die es verursacht haben.

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