Praxisgespräch II.: „Paid Content – Konzepte und Erfahrungen“. Paywall, Freemium, Metered Model – viele Lösungswege werden diskutiert, wenn es um die Frage geht, wie Zeitungen ihre Online-Inhalte vermarkten können. Im zweiten Praxisgespräch ging es um die Erfahrungen, die Verlage mit den unterschiedlichen Modellen gemacht haben.
Es war eine Nachricht mit großem Nachhall: Ende Januar 2015 führte die Rhein-Zeitung aus Koblenz eine harte Paywall ein. Seither können Artikel auf der Internetseite nur noch von Usern gelesen werden, die entweder Abonnenten sind oder einen Zugangspass gekauft haben. Davon ausgenommen sind nur Kurzmeldungen, die Startseite, einzelne Übersichtsseiten und Texte in eigener Sache. Im Praxisgespräch berichtete Chefredakteur Christian Lindner von den ersten Erfahrungen mit dem „Paygate“, wie die Koblenzer es nennen. Gesprächspartner war Horst Seidenfaden, Chefredakteur der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), moderiert wurde das Gespräch von Peter Taubald aus dem Projektteam Lokaljournalisten. Ausgangspunkt bildete Lindners Diktums: „ Das Reichweitenmodell ist gescheitert.“
Erfahrungen der Rhein-Zeitung
Was führte zum Umdenken bei der Rhein-Zeitung? Früher habe man jedes Jahr die Reichweite gesteigert, anschließend habe man sich auf die Schulter geklopft, erzählte Lindner. Später habe man Social Media für sich entdeckt und sich erneut auf die Schulter geklopft. „Allerdings ist eine Frage immer unbeantwortet geblieben: Was haben wir eigentlich davon, dass wir unsere Inhalte verschenken?“
Die finanzielle Bilanz dieses Konzept gefiel dem Verlag nicht. Man habe bei monatlich rund einer Million Visits de facto nur 10.000 Euro Werbeeinnahmen erzielt, verriet Lindner, sogenannte Vorteilskombis nicht berücksichtigt.
Also hat man angefangen nachzudenken. Im Jahr 2013 stieg die Zeitung in das Metered Model ein, 2014 ging man von zehn Freiartikeln pro Monat auf zwei herunter. Mit dem gegenwärtigen strengen Modell habe man im April 682 Texte für je 50 Cent verkauft. Im Mai peile man 250 Texte pro Woche an. Etwa ein Drittel der Reichweite sei weggebrochen, allerdings habe die Rhein-Zeitung inzwischen 36.000 registrierte Nutzer, man habe die Zahl der Kunden um 150 Prozent gesteigert. Lindner wollte keine Zahlen schönreden, es sei erstmal wichtig, Erfahrungen mit der Paywall zu sammeln. „Nur wenn wir Erfahrungen sammeln, sammeln wir Erfahrungen“, laute das Credo.
Ein Metered Model ist für Lindner kein wirklicher Paid Content. Mehr als jeder zweite Kunde komme nur einmal im Monat auf die Seite, das zeigten Untersuchungen. Viele andere fänden immer wieder Wege, die Schranke zu umgehen. Lindner ist überzeugt davon, dass man mit dem Festhalten am Reichweitendenken viel Zeit verloren habe.
Er ging auch auf die üblichen Online-Konzepte von Verlagen ein. Für ihn lägen sie vielerorts „nah an der Zeitungsdenke“: „Es gibt Ressorts, oben wird Neues reingestopft, unten wird nie was rausgenommen. Die Webseiten sehen so aus, weil wir 20 Jahre vom Reichweitengedanken geprägt waren. Die Seiten würden anders aussehen, wenn wir heute erst ins Netz gingen, vielleicht wie die eines Bloggers, es gäbe vielleicht nur neun gute Texte am Tag. Wir machen falsche Webseiten, weil wir von falschen Prämissen ausgehen“, sagte Lindner.
Die spannende Frage sei nun: „Wie würden wir heute eine Seite konstruieren, wenn wir sie erst heute online stellen würden? Braucht man täglich 300 neue Texte? Wäre es nicht besser, geniale digitale Blattmacher stellten zwölf Texte zusammen, die nobel und ansprechend präsentiert werden? Ohne Werbung, ohne Marginalspalte, ohne Blinken. Was wir alle derzeit tun, sieht weder nobel noch edel aus, das ist ein blinkender, plärrender Ein-Euro-Laden. “
Pläne der HNA
Seidenfaden zollte Lindners Schritt Respekt. Auch bei der HNA gebe es Überlegungen in Richtung Paywall, man suche aber noch ein schlüssiges Modell, das eine verlässliche Kalkulation ermöglicht. Es gehe in Richtung einer Paywall, „hinter die man nur kommt, wenn man Abonnent der HNA ist“, sagte Seidenfaden.
Begleitet werden soll das mögliche Online-Abo mit Angeboten, die Leser ermutigen, elektronischer Nutzer der Tageszeitung zu werden. So habe die HNA zum Beispiel ein elektronisches Archiv eingerichtet, das man hinter der Paywall anbieten könnte. Ähnlich wie bei Lindner drehen sich Seidenfadens Überlegungen um die Frage, wie ein attraktives Online-Angebot aussehen muss, für das Leser auch etwas bezahlen wollen.
Er wies darauf hin, dass die Inhalte, die die meisten Zeitungen produzierten, den neuen Zeiten gar nicht angemessen seien. Zeitung werde aus unterschiedlichsten Gründen gelesen und abonniert. Er erwähnte als Beispiel, dass es zahlreiche Leserbeschwerden gab, als die HNA den Fortsetzungsroman im Blatt abschaffen wollte. Jeder Leser finde in der Zeitung eben etwas anderes, aber online funktioniere das nicht nach demselben Schema.
Seidenfaden sprach auch das Problem der Zustellung an. Ohne Zustellung, also bei reinem Kioskverkauf, würde die HNA 80 Prozent weniger Zeitungen verkaufen. Die Kunden seien bequem, man müsse ihnen ein Konzept servieren, etwas Vorsortiertes, Durchdachtes. Es gehe also darum, ein „Paket zu schnüren“, das am Ende „Abo“ heißen soll.
Kritik am Satz, Reichweite sei gescheitert
In der Gesprächsrunde wurde das große Interesse an Lindners und Seidenfadens Thesen deutlich. Es gab aber auch Skepsis hinsichtlich der Strategie der Rhein-Zeitung. Ein Diskussionsteilnehmer etwa meinte, das sei zwar eine Bezahlstrategie, aber noch keine Digitalstrategie. Jürgen Marks von der Augsburger Allgemeinen widersprach entschieden dem Satz, die Reichweite sei tot. Er wies auf die guten Umsätze hin, die beispielsweise sein Verlag mit Reichweite erziele. Auch andere Zuhörer waren nicht überzeugt vom strikten Vorgehen der Rhein-Zeitung, hier und da wurde etwa das Metered Model verteidigt. Vielen war unklar, was nun die beste Online- und Paywall-Strategie sein könnte.
Seidenfadens und Lindners Kritik am Erscheinungsbild der Internetseiten vieler Regionalzeitungen indes fand allgemeine Zustimmung. Einen „Aldi-Gemischtwarenladen“ brauche niemand. Man müsse Angebote schaffen, die zu den Leuten passen, darüber herrschte Einigkeit.
Lindners offene Art, die Probleme mit Paid Content anzusprechen und seine Erfahrungen zu berichten, wurde in der Runde mehrfach gewürdigt. Uwe Vetterick, der Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, etwa sagte: „Diese Offenheit hilft uns allen. Wir lernen daraus.“ Allerdings könne je nach Region dieses oder jenes Modell besser funktionieren.
Lindner jedoch meint es ernst, in der Frage von Paid Content gibt es für ihn derzeit keinen Kompromiss. Auf die Frage, was die Rhein-Zeitung machen würde, wenn in der Innenstadt von Koblenz eine gefährliche Bombe entschärft werden müsste, sagte er: „Wir würden das Thema Bombenentschärfung knallhart hinter der Paywall lassen, denn wenn euch das Leben keine 50 Cent wert ist…“
Text: Stefan Wirner