Anke Vehmeier, Leiterin des Lokaljournalistenprogramms der bpb (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Das 26. Forum Lokaljournalismus ist eröffnet! Am Mittwochnachmittag begrüßte die Moderatorin Julia Ures Chefredakteurinnen und Chefredakteure und weitere Entscheidungsträger des Lokaljournalismus im Maritim Hotel in Ingolstadt. „Wie gestalten wir Journalismus in der Zukunft?“, formulierte Ures die Ausgangsfrage für drei spannende Tage in Ingolstadt und Eichstätt.
Zwei Standorte, das gab es so noch nie bei diesem Branchentreffen der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Den Grund dafür lieferte Anke Vehmeier, die Leiterin des Lokaljournalistenprogramms der bpb: Seit langem sei es ihr ein persönliches Anliegen, bei einem Forum Wissenschaft und Lokaljournalismus zu verknüpfen. Deshalb gebe es dieses Jahr mit dem Donaukurier und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zwei Kooperationspartner, die diese Felder abdecken.
KI ist das beherrschende Thema des Forums. Vor einem Jahr waren viele Redaktionen noch in der Ausprobierphase, dieses Jahr könne man bereits tolle Beispiele für KI-Anwendungen aus den Verlagen zeigen, kündigte Vehmeier an. Das Forum solle auch in dieser Hinsicht das Signal zum Aufbruch geben. Außerdem soll es als Plattform für den Austausch dienen, „in diesen Zeiten ist das so wertvoll wie schon lange nicht mehr“, schloss Vehmeier die Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab.
Mit Ismene Poulakos am „Puls der Zeit“
Wie reagieren Menschen in Deutschland auf die zahlreichen Krisen, und wie hat sich das Verhältnis zu Medien und zu ihrer Lokalzeitung verändert? Diese Themen sprach Ismene Poulakos, Leiterin Unternehmenskommunikation des rheingold Instituts (Köln), in der Keynote an.
War die Lokalzeitung vor knapp 20 Jahren für viele noch ein verlässlicher und gern gesehener Begleiter, wendeten sich heute viele Menschen von den Zeitungen aufgrund von News Fatigue und zu vieler schlechter Nachrichten ab, befand Poulakos. Auch um dieses Phänomen zu analysieren, hat das rheingold Institut in einer allgemeinen Gesellschaftsstudie vom vergangenen Jahr einen Blick auf das Krisenverhalten der Deutschen geworfen.
Das Trauma der Pandemie
Auch zwei Jahre nach dem Ende der Pandemie schwebe Corona als Mutter aller Krisen über allem. Die Pandemie sei ein gesellschaftliches Trauma, „die Nachwirkungen beschäftigen uns heute noch“, sagte Poulakos. Auf die Pandemie folgten die Kriege in der Ukraine und in Nahost. Trotz der von Kanzler Scholz beschworenen Zeitenwende seien die Menschen nicht in einer neuen Ära angekommen. Vielmehr versuchten sie, den Status Quo zu halten, lebten seitdem in einer „brüchigen Welt“, eine Krise folge der nächsten.
Menschen reagieren mit Abschottung
In Krisenzeiten spalteten Menschen ihre Wahrnehmung in die eigene Welt und die äußere Welt. Laut Poulakos sind Menschen in der eigenen Welt durchaus zufrieden und blickten freudvoll in die Zukunft. Die äußere Welt präsentiere sich ihnen jedoch als „Kaskade von Krisen“, wie etwa Kriege, Klimawandel, Inflation und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Dies führe zu einer gesteigerten Selbstbezüglichkeit, viele schotteten sich zunehmend ab. Es herrsche eine diffuse Endzeit- und Einbruchsstimmung, bei der nicht selten Politiker und die Regierung als Sündenböcke für Krisen in der äußeren Welt herhalten müssten.
Die vier Angstkreise
Die Krisen schüren verschiedene Ängste: So fürchteten sich die Menschen am meisten vor dem eigenen Autonomieverlust, etwa hervorgerufen durch gestiegene Mietpreise und die Überforderung mit äußeren Ereignissen. Dem folgt die Angst vor sozialer Spaltung, viele empfänden eine Zunahme von aggressivem Verhalten in ihrem Umfeld, die Mitmenschlichkeit gehe zunehmend verloren. Ein weiteres Angstthema seien der Substanzverlust, hervorgerufen durch Streiks, marode Infrastruktur und der Angst vor Wohlstandsverlust. Am wenigsten fühlten sich die Menschen wiederum von globalen Phänomenen bedroht. Der Klimawandel zähle für viele nicht zu den wichtigsten Krisen.
Gefahren für die Demokratie
Der Konsum von Nachrichten werde zunehmend negativ eingeordnet, Nachrichtenvermeidung als „Info-Detox“ gar zur Trenderscheinung. Insgesamt gerate die Beziehung zwischen Nutzern und Medien an einen Kipppunkt, Medien trügen für manche eine vermeintliche Mitschuld am Krisengeschehen. Durch die Abschottung in die eigene Welt bleibe auch gesellschaftlich einiges auf der Strecke, wie etwa eine konstruktive Gesprächskultur, gesellschaftliche Verantwortungsübernahme und das aktive Anpacken von Problemen. Dies berge große Gefahren für die Demokratie und den Journalismus.
Lichtblicke für das Lokale
Für Lokalzeitungen gehe es in diesen Zeiten darum, Präsenz zu zeigen und Menschen ins Gespräch und in Bewegung zu bringen, benannte Poulakos einen von mehreren Lichtblicken. So sei etwa die Investigativrecherche von Correctiv über die „Remigrationspläne“ für viele ein Weckruf gewesen, sie habe die Menschen aus ihrer Lethargie gerissen und ein Wir-Gefühl erzeugt. Das Lokale könne außerdem als Schonraum dienen. Die Dauerpräsenz der Krisen wecke eine Sehnsucht nach überschaubaren Ereignissen. Lokalzeitungen sollten ihren Leserinnen und Lesern keine Angst machen, sondern auch konstruktive Lösungen anbieten und dabei ihre Nähe zur Leserschaft nutzen. Außerdem gehe es darum, auch im anonymeren digitalen Raum Verbindlichkeiten zu schaffen und mit den Lesern in den Austausch zu kommen. Gerade wenn Künstliche Intelligenz unbegrenzt produzieren kann, zählten Menschliche Begegnungen umso mehr.