Wie lassen sich sportbegeisterte Leser bei der Stange halten und gleichzeitig neue Zielgruppen erschließen? Über verschiedene Konzepte, von Roboterjournalismus bis Yogasommer, diskutierten Martin Grüning (Chefredakteur von Runner’s World), Frank Ziemke (Redaktionsleiter Sport bei der HNA) und Marcel Hager (Geschäftsführer Sportplatz Media GmbH).
„Wir sind viel näher und emotionaler dabei, aber es ist auch viel aufwändiger“, betont Martin Grüning, der Chefredakteur von Runner’s World. „Wir sind dasselbe Team wie vor 25 Jahren, aber heute machen wir nicht nur Print, sondern auch Social, Online und Events. Der Anspruch hat sich gewandelt, aber es sind die spannendsten Zeiten, die ich je erlebt habe.“ Früher war Runner’s World ein Monatsmagazin für Läufer, heute gibt es Online Live-Interviews und vieles mehr. Die Quintessenz der Online-Inhalte landet dann im Heft, darunter auch Kommentare von Lesern, erklärt Grüning. „Das habe ich aus dem Lokaljournalismus gelernt: Jeder Leser einmal ins Blatt.“
Seit Grüning bei Runner’s World arbeitet, einem Special-Interest-Magazin für Hobby-Läufer, hat sich die Ausrichtung des Heftes stark verändert.
„Am Anfang haben wir gedacht: Wir sind die Größten, kennen uns aus in dem Thema und müssen das unseren Lesern auch mitteilen. Das war immer ein bisschen von oben herab, belehrend, wir haben tausende Tipps gegeben. Das wurde aber auch erwartet. Vor fünf Jahren haben wir umgestellt auf Eye-to-eye-Level. Wir verändern die Erzählebene im Heft: Wir sind nicht mehr die Experten, sondern wir sind die Vorläufer. Wir lieben und leben diesen Sport und das ist der Schlüssel unserer Marke.“
Grüning ist überzeugt davon, dass diese Umstellung der richtige Weg für Runner’s World ist. Er gibt aber auch zu, dass die Printauflage schwächelt und die Einnahmenverluste dort bisher Online nicht ausgeglichen werden können. „Im Abo legen wir leicht zu, aber die Printauflage im Einzelverkauf ist im Sturzflug. Wir haben, obwohl wir monothematisch sind, monatlich knapp eine Millionen Unique User, aber das lässt sich nicht kompensieren.“
Personalisierte Artikel für jeden
Wie sich Online mit Sportinhalten Geld verdienen lässt, weiß Marcel Hager, Geschäftsführer der Sportplatz Media GmbH. Die Firma bietet Verlagen ein Whitelabel-CMS für das Mitmachportal deinsportplatz an. Die Verlage können die Plattform mit ihrem eigenen Markennamen und Look versehen und für beliebige Sportarten einsetzen, nicht nur für Fußball.
Sein Erfolgsrezept sind personalisierte Artikel, die automatisch erstellt werden. „Je nach Liga erreicht ein Spielbericht zwischen 50 und 10.000 Lesern“, erklärt Hager. „Bei den Klickzahlen sehen wir keinen Unterschied zwischen Texten, die von Robotern oder von Hand geschrieben wurden.“ Vor- und Nachberichte zu Spielen lohnen sich finanziell laut Hager Online also schon – aber nur wenn sie automatisiert erstellt werden. Dann lasse sich auf die individuellen Vorlieben der Leser eingehen.
„Hat man früher einen Artikel geschrieben, den 100.000 User konsumiert haben, brauche ich heute – überspitzt gesagt – 100.000 Artikel für 100.000 Leser. Ich habe gegebenenfalls eine Information, wie sich für sein Lieblingsverein die Tabellensituation verändert hat. So kann ich die Fans eines Teams besonders ansprechen, was andere nicht interessiert und den Text individuell anpassen.“
Aber macht der Roboter die Journalisten dann nicht überflüssig? Ganz im Gegenteil, meint Hager. „Der Roboter kann Masse, Daten verarbeiten, er ist sehr genau. Aber die spannende Geschichte kann er nicht erzählen und dafür wollen wir den Redakteuren Luft geben.“ Viele Redaktionen würden die automatisierten Texte dementsprechend gezielt einsetzen: „Für einen gewissen Bereich an Ligen fließen die Texte einfach so durch. Da, wo es immer Berichte gab, nutzen die Redaktionen die Berichte als Vorlage und reichern sie mit Zitaten an. Sie machen da einen tollen Bericht draus, aber nicht in einer Stunde, sondern in zwanzig Minuten.“ Mit dieser Arbeitsweise lasse sich für Verlage auch das Mitmachportal deinsportplatz optimal nutzen: „Die User stolpern nach den Spielberichten über hochwertigen Content.“
Die Zeitung zur Marke machen
Die Hessisch Niedersächsische Allgemeine (HNA) aus Kassel nutzt einen anderen Ansatz, um ihre Leser an sich zu binden und neue Zielgruppen zu erschließen: Sportaktionen zum Mitmachen. Am Anfang stand deswegen die Frage „Wie kommen wir an die Leute ran, die nicht organisiert Sport treiben?“, erzählt Frank Ziemke, Redaktionsleiter Sport bei der HNA. Daraus seien im Laufe der Zeit verschiedene Aktionen entstanden, die von der Sportredaktion in Kooperation mit Vereinen ausgerichtet werden und – soweit möglich – mit Sponsoring stattfinden:
- Fit für den Marathon
Die HNA hat vier Leser ein halbes Jahr auf den Berlin-Marathon vorbereitet, begleitet wurde das in der Zeitung mit vielen Service-Tipps, z.B.: Welchen Schuh braucht man? Alle Teilnehmer seien locker ins Ziel gekommen, das Interesse sei groß gewesen. - Gemeinsam Abnehmen
Zwei Redakteure haben mit Hochfrequenztraining und einem speziellen Ernährungskonzept versucht abzunehmen und darüber berichtet. „Die konnten drei Monate nicht durch Kassel gehen, ohne angesprochen zu werden, wie es läuft, ob es weh tut, ob sie schon abgenommen haben“, erzählt Ziemke. „Dann haben wir das Ganze mit Lesern ausgeweitet: Es wurde geschwommen, gelaufen, geradelt.“ Die Aktion wurde wissenschaftlich begleitet und war sehr erfolgreich. „Wir haben vierzig Plätze verlost und hatten tausend Bewerbungen. Da hat man endgültig gemerkt: Da ist ein Feld, das wir völlig außer Acht gelassen haben“, resümiert Ziemke. „Das Geschlecht, das sich mit der Sportberichterstattung befasst, hatte sich da komplett gedreht. Bei den Bewerbungen waren mindestens zwei Drittel Frauen.“ - Frühsport um 06:30
Aus dem Erfolg der beiden Aktionen entstand die Frühsportaktion „06:30“, an der jeder teilnehmen kann. An fünf Standorten machen die Teilnehmer unter Anleitung von Trainern jeden Wochentag um 06:30 Frühsport. Auf der Website werden die Übungen der Woche mit Videos erklärt. So kann jeder Zeitungsleser davon profitieren, auch wenn er nicht direkt am Training teilnimmt. „Eigentlich ist diese Frühsportaktion total bescheuert, aber irgendwie auch was Cooles. Wir haben damit keine Mengen an Teilnehmern generiert, aber eine Menge an Interesse. Jeder zweite in Kassel weiß, was ‚06:30’ ist, ohne jemals teilgenommen zu haben.“ Um die Teilnehmerzahl zu steigern, finde die Sportaktion auch ab und zu um 18:30 Uhr oder sonntags um 9:30 Uhr statt. Die Aktion läuft in Kooperation mit drei Vereinen, die das Training als Werbung für sich nutzen können. „Die holen die Leute über ‚06:30’ ab, irgendwann treten sie in den Verein ein“, betont Ziemke.“
- Yoga Sommer
Dieses Prinzip gilt auch für die neueste Aktion der HNA, den Yoga Sommer. Neun Wochen lang konnten die Teilnehmer der Aktion jeden Tag um 18:30 Uhr in Kassel Yoga machen. Es kamen weit mehr Teilnehmer als die Zeitung erwartet hatte. „Bei jeder einzelnen Veranstaltung in Kassel waren 200 bis 300 Leute. Altersklasse von 15 bis 75.“ Vor kurzem habe die HNA die Reise „Yoga Sommer unterwegs“ nach Teneriffa angeboten, die sich finanziell gelohnt habe.
Mit diesen Aktionen verdient die HNA direkt kaum Geld, aber darum geht es ihr auch nicht. Die Zeitung erschließt sich damit neue Zielgruppen und erhöht ihre Bekanntheit, was sich langfristig auszahlen soll. Einige Aktionen werden von Sponsoren begleitet, bei anderen geben die Teilnehmer ihre E-Mailadresse für den Versand von Newslettern frei. Und natürlich werden die Aktionen im Sportteil umfangreich begleitet.
So unterschiedlich die drei Sportkonzepte sind, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Sie schauen darauf, was die Leserinnen und Leser wirklich wollen. Egal ob durch personalisierte Ansprache, Dialog auf Augenhöhe oder Events für Zielgruppen, die sich bisher kaum im Sportteil der Lokalzeitung wiederfinden.