48 Stunden Seminar zum Thema „Das Netz ist lokal“: Versuch einer Zwischenbilanz.
Irgendwie passt das Wetter als Metapher für meinen Erkenntniszuwachs: Am Anfang bitterkalt, sprich ich muss mich erst einmal eingewöhnen. Der erste Tag, jede Menge Fachvorträge. Aber so richtig fehlt mit noch der Bezug zu meinem Berufsalltag. Heute Morgen Nebel. Stimmt. Der Durchblick fehlt. Doch dann zwei wunderbare Referenten, die genau das auf den Punkt bringen, was ich immer schon geahnt habe, aber nie beweisen konnte: Alles, was gestern noch hip war, ist morgen schon Schnee von gestern und – viele Verlage eiern den Trends hinterher, ohne eigentlich zu wissen, wie sie dem Wandel in der Mediennutzung begegnen können und ob sie es überhaupt wollen. Der Markt treibt sie, ohne dass sie sich an die Spitze des Wandels setzen. Kommt mir vor wie die Finanzkrise. Die Politik lässt sich ihre Entscheidungen von den Finanzmärkten diktieren. Jetzt brutzelt mir die Sonne auf den Pelz.
Ja ich habe Feuer gefangen. Weil diese Referenten für mich den Beweis angetreten haben, dass die Lage zwar schwierig, aber nicht hoffnungslos ist. Es lohnt sich, ganz nah die Marktveränderungen zu begleiten. Denn es gibt nicht die eine Lösung, die so unverrückbar ist wie ein Andrucktermin. Sondern ich muss mir ständig überlegen, auf welchem Kanal ich meine Geschichten an den Leser bringe und wie ich sie erzähle.
Ja, es gibt kein Rezept. Und schon gar keins für die Ewigkeit.
Wir sind mitten drin im Medienwandel, aber niemand weiß, wie es in einem Jahr oder in fünf Jahren aussieht. Mittlerweile glaube ich, dass gut gemachter Lokaljournalismus mit guter Recherche und vielen Kontakten vor Ort das Beste ist.
„Wir müssen bei aller Facebook-Manie eine seriöse Zeitung bleiben“ sagte heute einer meiner Redaktionsleiter in einer Konferenz. Recht hat er, aber ich vermute, dass sein Einwand auch eine gedankliche Mauer offenbart, die uns bei der Nutzbarmachung des Crossmedialen hemmt. Seriös, das sind wir, die Zeitung, das Schwarze, das auf dem Weißen steht. Online, Facebook, das ist die Flüchtigkeit des Eintrags, da wird erst geschrieben und dann recherchiert, da tummeln sich Frühstücks- und Mittagspäusler, die Zeitvertreib und nicht Aufklärung im Sinn haben. Gerücht und Scherz stehen über der Info.
Aber ist es wirklich so? Können wir uns nicht auch die Leichtigkeit des Netzes für die Zeitung zu Nutze machen? Gerade weil hier aus zugeknöpften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens harmlose Plaudertaschen werden, die man im Netz viel leichter zu einem journalistischen Deal mit der Tageszeitung nutzen kann?
Auslöser der Bedenken des Kollegen war eine Umrage auf Facebook. Die (leicht verunglückte) Frage lautete: Wann sollten Jugendlich in die Disko gehen? Mit 14, mit 16 oder mit 18. Hintergrund ist die Wiedereröffnung eines Tanztempels. Natürlich hat die Umfrage viele junge Menschen angezogen und – natürlich haben die auch Blödsinn gemacht, indem sie die Antwortvorgaben verändert haben. „Sonntags ab 21 Uhr“ stand da auf einmal. Also Umfrage rausnehmen? Dürfen wir als seriöse Zeitung selbst zum Scherzkeks werden? Ich sage: Ja, denn soziale Netzwerke hängen auch an den Launen der Menschen. sie sind dialogisch und daher eben nicht im Diskussionsverlauf berechenbar. Das aber erfordert ein ganz neues Standesdenken. Wir Journalisten sind nicht mehr diejenigen, die dem (lesenden) Volk vorschreiben, was es zu wissen und wie es das zu erfahren hat. Sondern wir müssen auf unsere Leser und User zugehen und sie ernst nehmen – selbst im Spaß.
Das ist für mich die eigentliche Botschaft, die sich durch die Referate zieht. Auf den Inhalt kommt es an, auf die saubere Recherche, das sichere Gewichten von Themen – also auf das, was schon immer unser Job ist. Wir müssen uns mit der Technik auseinandersetzen, anders planen und lernen, auf neue Weise kreativ zu werden. Aber Leserreporter und Nutzer-Inhalte ersetzen den Journalismus nicht. Publizieren und Konversation betreiben sind zwei paar Schuhe. Botschaften aus der privaten Öffentlichkeiten stehen neben Medienangeboten im Nachrichtenstrom. Aber sie sind nicht dasselbe.