Forum Lokaljournalismus 2024

Panel F: So gelingt der Austausch mit der Leserschaft

Benjamin Piel

Für Lokalredaktionen reicht es längst nicht mehr aus, nur „über“ Menschen zu berichten. Vielmehr müssen und wollen sie heutzutage sowohl „live“ als auch digital wieder mehr in Kontakt mit den Leserinnen und Lesern kommen und so Räume für konstruktive Diskussionen bieten. Wie das gelingen kann, darum ging es im Workshop mit Lars Reckermann, Chefredakteur der Ostfriesen-Zeitung, am Donnerstagvormittag in Eichstätt. (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

Die Zeitung als Ort der Begegnung

„Die Lokalzeitung war immer ein Ort, wo unterschiedliche Menschen zusammenkamen“, meinte Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Diese Rolle sollten Lokalzeitungen wieder mehr übernehmen. Mit seiner Redaktion hat Piel deshalb mehrere Diskussionsformate ins Leben gerufen. Seit 2022 gibt es etwa die „Mindener Mediengespräche“. In Kooperation mit der örtlichen Volkshochschule lädt das Mindener Tageblatt prominente Gäste zu Gespräch und Podiumsdiskussion ein. Zuletzt war etwa eine Veranstaltung über die Correctiv-Recherchen zu den „Remigrationsplänen“ der AfD ein großer Erfolg.

Emotionaler Jahresrückblick


Ein weiteres Format ist der „Jahresrückblick live“, bei dem Piel und sein Team wichtige Persönlichkeiten aus dem zurückliegenden Jahr einladen. Dort gehe es häufig auch mal emotionaler zu, etwa im Gespräch mit einer Frau, die eine lange Leidensgeschichte als Mobbingopfer zu beklagen hatte. „Die Veranstaltungen sind sehr gut besucht, aber es kommen meist ähnliche Menschen, vor allem aus dem Bildungsbürgertum“, benennt Piel ein Problem der Formate.

Austausch beim gemeinsamen Kochen


Bei den „Mindener Begegnungen“ bringen Piel und Kollegen daher zwölf Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründe zusammen. Dabei trifft etwa Unternehmer auf die Putzfrau und den ukrainischen Geflüchteten. Dann kochen die Anwesenden zusammen in wechselnden Tischgruppen mehrere Gänge. Zu jedem Gang wechseln die Gruppen und es wird über eine möglichst simple Frage diskutiert – etwa „Was mag ich in Minden am liebsten?“. So kommen Menschen in den Austausch, die sich sonst nie treffen würden. Über alle Veranstaltungen berichtet das Mindener Tageblatt dann ausführlich in verschiedenen Formaten.

Festival für Zukunftsthemen

„Growmorrow“ heißt ein neues Festival-Format, dass Uli Hagemeier für die Nordwest Mediengruppe in Oldenburg plant und entwickelt. Mit Blick auf die Region wolle man dort „gedanklich 15 Jahre vorspulen“, erklärte Hagemeier das Grundkonzept. Wie verändert sich die Region durch technischen Fortschritt und was kann getan werden, damit sie zukünftig noch erfolgreich ist? Und wie nimmt man die Menschen dabei mit? Das seien die Kernfragen des Festivals. In diversen Veranstaltungen werde bei Growmorrow auf regionale Megatrends geworfen, etwa die Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion, die Zukunft der Energie-Erzeugung, Mobilität, Gesundheit oder auch der zunehmende Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf all diese Bereiche.

Fortschritt als Chance

Die Nordwest-Zeitung will mit Growmorrow ihre große Reichweite nutzen, um Menschen zusammenzubringen. An drei Tagen in drei Städten finden im August 2024 Vorträge und Diskussionen statt, in denen Experten ihre Thesen auf Alltagstauglichkeit testen sollen. Die Ausgabewn der Nordwest-Zeitung bewirbt Growmorrow bereits mit einer Sonderbeilage zu Ostern und auf eigens dafür erstellten Social-Media-Plattformen, auf denen die Speaker und ihre Zukunftsthesen vorgestellt werden. Außerdem gibt es ein eigenes Magazin, einen Podcast und eine „Buzztour“, um der Leserschaft die Themen näherzubringen.


Neue Einnahmequelle

„Growmorrow soll eine eigenständige Marke des Verlags werden“, erklärte Hagemeier. Das Festival soll Unternehmen, Institutionen, Wissenschaft und Kommunen vernetzen. Die zugehörigen Plattformen möchte man das ganze Jahr über bespielen. Für Zeitungen sei es notwendig, neue Geschäftsfelder zu erschließen, aus denen sich künftig Einnahmen generieren lassen, meinte Hagemeier.

@your.money vom Hessischen Rundfunk

Als nächstes ging es um Community Management auf TikTok mit Sohiel Partoshoar vom Hessischen Rundfunk (HR). Am Beispiel des Funk-Formats „@your.money“, stellte Partoshoar die Strategie seiner Abteilung vor. @your.money ist eine Eigenproduktion des HRs. Auf dem Kanal geht es um finanzielle Bildung für 16- bis 22-jährige, der Fokus liege vor allem auf jungen Frauen.

TikTok-Slang bedienen

Rund zwei Drittel der 16- bis 22-jährigen nutzen regelmäßig TikTok. „Die dort gezeigten Clips müssen kurz und knackig sein“, beschreibt Partoshoar die spezifischen Anforderungen der Plattform. Die junge Finanz-Bubble habe ebenfalls ihre ganz eigene Sprache und eigene Riten. Als öffentlich-rechtliches Angebot müsse „@your.money“ aber auch integrativ sein und ein offenes Angebot kreieren. Offenbar gelingt den Macherinnen und Machern dieser Spagat, denn der Kanal läuft bereits seit 2021.

Vertiefung in der Kommentarspalte

„Unser Ziel ist es, durch gutes Community Management ein zweites Produkt in den Kommentaren zu erschaffen“, erklärte Partoshoar. Dort wolle man inhaltlich vertiefen und so das Zugehörigkeitsgefühl der Nutzer verstärken. So greife das Team aktiv und im Dialog in Diskussionen ein. Dabei werden Gemeinsamkeiten zwischen den Diskutierenden und den Inhalten des Kanals betont und zusätzliche Informationen geliefert.

Beziehungsarbeit leisten

Der redaktionelle Prozess liege nicht etwa darin, nur zu senden, sondern auch darin, das Thema durch aktives Betreuen der Diskussionen weiterzudrehen. Es sei wichtig, auf potenzielle Reaktionen vorbereitet zu sein, meint Partoshoar. Zumeist werde das Publikum nur als Kundschaft betrachtet, jedoch gehe es darum, sich als Teil der Community zu sehen und aktiv „Beziehungsarbeit“ zu leisten.

Ein Glas mit Lars

Während der Pandemie hatte Lars Reckermann als neuer Chefredakteur der Schwäbischen Post angefangen. Um sich den Leserinnen und Lesern vorzustellen und mit ihnen in den Austausch zu kommen, kam ihm die Idee zum Podcast „Ein Glas mit Lars“. Wer in der Region hat Lust zu Plaudern? Das sei seine Ausgangsfrage gewesen, sagt Reckermann. Ihm schwebte ein möglichst unaufwendiges und freies Format vor, „ohne Absprachen und ohne Skript“.

Per Video zu mehr Aufrufen

Reckermann hat den Podcast auch zu seinem neuen Arbeitgeber, der Ostfriesen-Zeitung, mitgenommen. Die Folgen werden dort im Blatt und auf Social Media beworben. Mittlerweile werden die Gespräche auch gefilmt und ungeschnitten veröffentlicht. Ein Schritt, der zu mehr Hörern und Zuschauern verhalf. Die besten Zahlen erreichte kürzlich eine Folge über die Bauernproteste, für die Reckermann sich einen Landwirt aus der Region eingeladen hatte.

Neue Zielgruppen erreicht


Aus guten Gesprächen entstünden häufig weitere Geschichten für die Zeitung. Wenn lokale Persönlichkeiten zu Gast sind, machen sie häufig auch neue Leute auf den Podcast aufmerksam, die gar nicht audio-affin sind. Auffällig sei außerdem, dass der Podcast regelmäßig ein jüngeres Publikum erreicht als die Zeitung. Die 35- bis 44-Jährigen seien die Gruppe mit den häufigsten Abrufen, erzählte Reckermann.

Zukünftig auch Live

Demnächst gibt es „Ein Glas mit Lars“ auch erstmals als Liveformat. Bei der ersten Veranstaltung wird der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu Gast sein. 100 Leser werden gezielt dazu eingeladen, darunter auch potenzielle Sponsoren, erklärt Reckermann.