Wie können Zeitungen neue Zielgruppen erschließen und damit nicht nur ihr wirtschaftliches Überleben sichern, sondern auch in Zukunft seriöse Lokal-Berichterstattung liefern? Darum geht es beim 24. Forum Lokaljournalismus, das die Bundeszentrale für politische Bildung und die Nürnberger Nachrichten von 20. bis 22. Juni in Nürnberg ausrichten. Wir haben vorab mit Rebekka Schmidt, Expertin für Produktentwicklung, gesprochen. Ihr Rat: Testen, testen, testen.
Frau Schmidt, im Fraunhofer-Innovationslabor „Josephs“ in Nürnberg helfen Sie Unternehmen dabei, Produktideen zu testen. Die NN waren im Frühjahr 2017 dort, aber auch Versicherungen, Banken und Autobauer gehören zu Ihren Kunden. Was haben diese Branchen denn gemein?
Sie stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen und müssen sich fragen, wie lange ihr jetziges Geschäftsmodell noch trägt. Bei der Tageszeitung befürchten ja viele, dass das Printprodukt mit ihren Lesern altert und irgendwann stirbt. Und deshalb muss sich ein Verlag eben fragen, wie es weitergeht und mit welchen Innovationen man neuen Erfolg haben kann – genau wie Banken, die große Angst vor Startups haben, die Finanzdienstleistungen in der App anbieten.
Welche Schlüsse kann ein Medienhaus denn aus den Josephs-Untersuchungen ziehen?
Bei den Nürnberger Nachrichten war es so, dass die Labor-Teilnehmer auf eine der Ideen, nämlich eine digitale Abendausgabe, nicht so positiv reagiert haben, wie man sich das vorgestellt hatte. Deshalb wurde dieses Vorhaben verworfen.
Das heißt, man braucht dann auch den Mut, ein Projekt, an dem man schon Monate gearbeitet hat, zu beenden?
Ja, wenn das Feedback dementsprechend ausfällt, ist das wohl die vernünftigste Entscheidung.
Gibt es in der Wirtschaft allgemein den Trend, potenzielle Kunden schon in der Projektentwicklung einzubeziehen?
Leider nein. Viele sitzen halt doch noch im Elfenbeinturm. Unter „Testen“ verstehen viele dann höchstens, die eigenen Kollegen mal zu befragen. Das reicht aber nicht. Man muss entwickeln, testen, anpassen, wieder testen – und dann wieder von vorne anfangen.
Die NN versuchen das auch, zum Beispiel indem Leser in die Entwicklung des künftigen Zeitungslayouts eingebunden wurden. Stellen Sie sich das so vor?
Das ist ein schöner Anfang, reicht aber nicht. Natürlich können die Nürnberger Nachrichten nicht ständig im Josephs sein, aber vielleicht einmal im Monat in einem Workshop auch Nicht-Leser einspannen, und das nicht nur beim Layout, sondern auch inhaltlich. Im Labor wurde deutlich, dass sich viele Menschen unabhängige und neutrale Berichterstattung wünschen – egal ob im Netz oder in der Zeitung.
Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Einerseits neutral und unabhängig sein und andererseits die Leser mitbestimmen lassen, was man macht?
Ich glaube nicht, denn am Ende kann ja der Journalist immer noch selbst entscheiden, wie der Bericht inhaltlich geprägt ist. Es geht aus meiner Sicht eher um Themen, Methoden und Techniken.
Sollte ein regional verwurzeltes Medienhaus wie der Verlag Nürnberger Presse sich auf Themen von hier konzentrieren – und dafür die große Welt auch ein bisschen ausblenden, weil sich dort ohnehin viel Konkurrenz tummelt?
Bei unseren Untersuchungen im Josephs wurde das Regionale jedenfalls für sehr wichtig befunden. Eine Lokalzeitung ist schon angesehen und beliebt dafür, dass sie über das Lokale berichtet, was sonst keiner macht.
Sie werden bei Forum Lokaljournalismus in Nürnberg über das Thema „Journalismus trifft Digital“ diskutieren. Wie können wir denn im Netz neue Zielgruppen erreichen?
Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass man über die sozialen Netzwerke schon Leute, die die Zeitung sonst nicht lesen, erreichen kann. Ich selbst klicke in Facebook Beiträge an, die mich interessieren – allerdings nur, wenn ich nicht dafür bezahlen muss. Die Frage wird sein, wie man die Nutzer dieser Netzwerke dazu bringt, für Inhalte Geld auszugeben. Und wie man an die ganz Jungen herankommt, denn bei denen ist Facebook ja teils schon wieder out.
Wie kommt man denn an die ran?
Das ist schwer zu sagen. Wichtig wird sicherlich sein, das eigene Image zu verjüngen. Zum Beispiel mit coolen Bildern auf Instagram oder indem man Influencer – beliebte Youtuber etwa – ins Boot holt und neue Formate mit ihnen ausprobiert. Vielleicht kann man Schüler auch noch stärker selbst Geschichten erzählen lassen, sie nach einem kurzen Journalismus-Crashkurs zu einer Art Youth-Redakteur machen – und sie dann einfach mal machen lassen.
Interview: Daniel Hertwig
Am Mittwoch, 20. Juni, nimmt Rebekka Schmidt im Rahmen des Forum Lokaljournalismus, das dieses Jahr in der Nürnberger Messe stattfindet, an einer Diskussion zum Thema „Näher ran an die Zielgruppen: Wie Redaktionen sich im digitalen Zeitalter bei der Suche nach dem ‚richtigen‘ Publikum helfen lassen können“ teil. Ihre Gesprächspartner sind Yannick Dillinger, Leiter Digitales bei der Schwäbischen Zeitung aus Ravensburg, Lars Reckermann, Chefredakteur der Nordwest-Zeitung aus Oldenburg, und Michael Husarek, Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten.
Rebekka Schmidt, 36, ist gelernte Verlagskauffrau, als Jugendliche schrieb sie für die Schülerzeitung. Nach dem Studium der Medienkultur in Weimar ging sie in die Marktforschung. Bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services in Nürnberg ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Produktverantwortliche Innovation Lab Science.