Einen Tag nach den Europawahlen startete in München die bpb-Redaktionskonferenz „Wir machen uns fit. Recherche Rechtsextremismus vor Ort“. Lokaljournalistinnen und -journalisten aus Tageszeitungs-, Radio- und Onlineredaktionen brainstormen vom 26. bis 28. Mai am Institut für Publizistik (ifp), wie man mit Rechtsextremismus umgehen könnte.
Europa hat gewählt. In Großbritannien und Österreich haben die Rechtspopulisten zugelegt, in Frankreich wurde die Front National mit rund 25 Prozent sogar zur stärksten Kraft. Solche Wahlergebnisse bestätigen: Rechtsextremistisches Gedankengut ist längst kein Randphänomen mehr, sondern Teil der Mitte. Dr. Ralf Melzer, Herausgeber der zweijährigen Friedrich-Ebert-Stiftungs-Studie „Die Mitte im Umbruch“ würde sogar noch weiter gehen: „Rechtsextremismus war immer in der Mitte der Gesellschaft“.
Melzer, drehscheibe-Journalist Stefan Wirner und Rechtsextremismus-Expertin und freie Journalistin Andrea Röpke gaben sozusagen den Auftakts-Input für drei verschiedene Arbeitsgruppen, in denen die Lokaljournalisten sich Lösungsansätze überlegen, wie beispielsweise eine kontinuierliche Berichterstattung über Rechtsradikalismus aussehen könnte, wie man Rechtsradikale im Netz ausmacht oder als Lokalredaktion auf Bedrohungssituationen reagiert.
„Normalisierung als klare Strategie der NPD, der man nicht auf den Leim gehen sollte.“
Seit 2006 untersucht die FES alle zwei Jahre rechtsextreme Einstellungen in der deutschen Gesellschaft. Nach wie vor gebe es eklatante Unterschiede zwischen Ost und West, meint der Studienherausgeber Melzer: „Wir können aufgrund der Fallzahlen zwar keine Aussagen zu den einzelnen Bundesländern machen, aber so lange der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern noch so groß ist, halten wir die Ost-West-Unterscheidung für sinnvoll.“ Auch habe sich gezeigt, dass mit dem Alter solche Einstellungen zunehmen, was laut Melzer zeigen würde, dass es in Ostdeutschland eine „ganz andere Dimension“ gäbe. Als Gründe dafür zählt Melzer eine Mischung aus historisch gewachsenen und sozioökonomischen Folgen auf: „Die Erfahrung von mehrfacher Arbeitslosigkeit führt zu einer Steigerung von rechtsextremen Einstellungen.“
Ein weiterer wichtiger Befund: Bildung – im schulischen wie außerschulischen Bereich – hilft. Auch wenn es kein Impfstoff sei, meint Melzer. Wichtig sei es jedoch, sich mit dem Thema als gesamtgesellschaftliches Problem auseinanderzusetzen und nicht nur den „gewalttätigen Rechtsextremismus“ im Blick zu haben. Als Gegenstrategie hebt Melzer unter anderem die Lokalen Bündnisse gegen Rechts vor: „Sie sind besonders wichtig, weil sie zeigen, dass sich die demokratische Zivilgesellschaft nicht zurückzieht.“ Den Journalisten rät er genau hinzuschauen: „Die Normalisierung der NPD ist eine klare Strategie, der man nicht auf den Leim gehen sollte.“ Zudem rät er antizyklisch zu arbeiten – besonders wenn das allgemeine Interesse an dem Thema verebbt ist, sollte man es wieder aufgreifen.
Klischees in der Bebilderung?
Mit einem großen Bündel an Best-Practice-Beispielen kam Stefan Wirner, Journalist der drehscheibe, dessen Redaktion monatlich dutzende Lokalzeitungen auswertet.
Er berichtete, wie Print-Redakteure das Thema angehen. Stefan Aigner von regenburg-digital.de beispielsweise entlarvte sachlich die Falschinformationen auf dem rechtsradikalen Portal „Freies Netz Süd“, die Redakteure der Rhein-Zeitung interviewten Rechtspopulisten und unterzogen deren Thesen einem Wahrheitscheck und die Heilbronner Stimme traf einen Aussteiger. „Warum muss man den Artikel mit Glatze und Springerstiefel bebildern?“, fragt eine Kollegin und stößt eine Debatte an über die Schwierigkeit des Bebilderns von solchen Geschichten.
„80 Prozent der Naziveranstaltungen finden im Verborgenen statt“
„Niemals allein“, lautet die Devise, wenn Andrea Röpke, Fachjournalistin für Nationalsozialismus und Rechtsextremismus vor Ort im rechtsextremen Umfeld recherchiert. Die Journalistin ist gut vernetzt, bereits seit den 90er Jahren recherchiert sie im rechten Milieu und hört auch nach verbalen und gewalttätigen Übergriffen nicht auf. Mit ihren Erzählungen kann sie ganze Tage und Nächte füllen. Detailliert berichtete sie von ihren Recherchen beispielsweise über die Heimattreue Deutsche Jugend, einer Kaderschmiede für Nazis, die sie von 2006-2009 verfolgte, das Thinghaus in Grevesmühlen, „wo Jahr für Jahr mehr einheimische Autos davor stehen“ sowie die „National befreite Zone Jamel“: „In diesem Dorf sollte man sich als Journalist nicht zu lange aufhalten, weil dreiviertel der Häuser Neonazis gehören.“ Besorgniserregend sind auch die Erzählungen über nationalsozialistische Lehrerinnen. Röpke dazu: „Es ist ein Wahnsinn, welche Multiplikatoren-Rolle Frauen spielen können“. Es sei jedoch besonders schwierig sie ausfindig zu machen, weshalb Röpke auf ein dichtes Netzwerk an Kontakten zurückgreift. Diese Kontakte, ob es jetzt andere Journalisten, Nachbarn von Rechtsradikalen oder Schwiegereltern von Nazis sind, seien unglaublich wichtig, denn: „80 Prozent der Naziveranstaltungen finden im Verborgenen statt. Gute Kontakte entscheiden darüber, was wir mitbekommen und was nicht“, sagt Röpke. Öffentliche Veranstaltungen, wie etwa der NPD-Parteitag hätten laut Röpke jedoch nichts in der Tagesschau verloren: „Als Journalisten haben wir eine wahnsinnige Verantwortung, weshalb wir uns mehr Zeit nehmen müssen, solche Themen gründlich zu recherchieren und mit unserer Hintergrundberichterstattung auch Nachhaltigkeit zu schaffen.“