„Schluss mit dem Freibier, wir wollen ein handfestes Bezahlmodell“. Das sitzt. Kontroverse Statements wie die von Uwe-Ralf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme, bringen den Diskurs weiter, auch bei uns. Ob knackige Bewertungen von Bezahlmodellen, praktikable Lösungen für mobile Endgeräte, Ideen für crossmediale Arbeitsgruppen, das strategische Vorgehen bei einer groß angelegten Evaluation oder den Umgang mit freien Mitarbeitern: Um feinste Best-Practice geht es im Input „Wissen, was ist weiterbringt – Instrumente für den besseren Lokalteil“. Neben Heer stellen auch Monika Jäger, Ressortleiterin Lokales bei der Mindener Zeitung, Sascha Borowski, Leiter der Online-Redaktion bei der Augsburger Allgemeinen und Sylvia Binner, Cvd beim Bonner General-Anzeiger ihre Konzepte vor.
Direkt zu Beginn schon mal, mit allen Fakten und Beispielen:
Zur Präsentation von Heer: Präsentation_Uwe-Ralf Heer
Zur Präsentation von Jäger: Präsentation_Monika Jäger
Zu den Analysevorlagen von Binner: Vorlage_Ergänzende Analysen, Themenmix, OrtsmixBonn, Vorlage_Konkurrenzauswertung
Das Freibier-Zitat von Heer bezieht sich auf die digitale Offensive der Heilbronner Stimme. Der „Heilbronner Weg“, ein ambitioniertes Konzept für die nächsten fünf Jahre, soll gewährleisten, dass die Zeitung den crossmedialen Spagat zwischen Online, Social Media und Print galant über die Bühne bringt.
Heer: Heilbronner Weg, digitale Offensive und Premium-Modell
Stimme.de liefert „Frischfleisch“ rund um die Uhr im Premium-Modell: Es gibt verschiedene Abo-Pakete, gestaffelt nach Online-, Mobile- und Print-Produkten (siehe Präsentation). Der exklusive Content ist aber immer paid content, nur die kleinen Meldungen sind frei. Und es laufe gut. Vier Woche nach der Einführung habe es 1.000 Digitalabonnenten gegeben. Der Heilbronner Weg bedeute „Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Erfahrung“. Interessant ist, wer die digitale Offensive mitstemmen soll: Das Digital Camp. Nein, das ist keine Fortbildungsveranstaltung im Jugendherbergs-Ambiente, sondern eine Arbeitsgruppe, die als Task Force von 7 bis 23 Uhr im Einsatz ist. Drei Reporter und vier Onliner, angesiedelt ist das Ganze auch noch beim Chefredakteur. Der erste Schritt von deren Arbeit ist immer digital, aber grundsätzlich macht jeder Online, Print und TV. Mit TV ist Stimme.tv gemeint – dazu bietet die Heilbronner Stimme auch eine TV-App an. Technisch sei die Gruppe immer auf dem neuesten Stand. Heer stellt aber klar: “Für uns ist Digitales und Print gleichermaßen wichtig“. Das sind große Pläne. Ist das für die kleineren Redaktionen denn auch umsetzbar?
Keine Versprechungen machen, die man nicht halten kann
„Man muss glaubwürdig bleiben und den Leuten keine Versprechungen machen, die man nicht halten kann. Ehrlich sich selbst gegenüber und seinen Kollegen sein; man kann nicht immer mehr Container auf das Redaktionsschiff aufladen und sich am Ende darüber wundern, wenn das Schiff sinkt“, sagt Heer. Die Heilbronner Stimme hätte Benchmark-Untersuchungen durch alle Abteilungen gemacht, das Ergebnis war, dass die Redaktion die Arbeitsbelastung besser ausgleichen müsse. Oder kurz: Keine Luftschlösser bauen, jeder nach seinen eigenen Kapazitäten. Die mitunter aber größer sein können, als die Beteiligten selbst glauben.
Die Umstrukturierung betrifft nicht nur Online. Ein neues Zeitungslayout und neue Zeitungsstrukturen wollte das Blatt langfristig etablieren. „Auch dabei muss man gewichten lernen“, sagt Heer. Die Zeitung solle ein „tägliches Magazin“ werden, entschleunigter. Bei der derzeitigen Meldungs- und Nachrichtenflut könne sie als Nachrichtenmedium nicht weiter bestehen, stattdessen sollte es mehr um exklusive Inhalte gehen. Nicht mehr „jede kleine Agentur-Meldung reinquetschen“, sondern vor allem die regionalen, einzigartigen Artikel im Auge behalten. Ein Ziel der Heilbronner Stimme sei es auch, jeden Tag eine Themenseite zu gestalten – und zwar selbst. Was eine Herausforderung würde, aber „wir wollen noch eine zusätzliche Leseseite schaffen, die sich von dem Terminjournalismus, den ich gänzlich ablehne, unterscheidet“, so Heer. Ähnliches soll auch die „freizeit“, das Stimme-Magazin zum Wochenende realisiert werden.
Der Heilbronner Weg ist ambitioniert. Wie er sich im Alltag umsetzen lässt, und ob er seinen hohen Ansprüchen auf Dauer gerecht wird, wird sich zeigen. Verkaufen und begeistern kann Heer aber schon ziemlich gut.
Jäger: Qualitativer Journalismus mit freien Mitarbeitern
Um ein ganz anderes Themenfeld — freie Mitarbeiter — geht es in dem Beitrag von Monika Jäger. Die Freien „müssen aus ihrer Isolation geholt und vernetzt werden. Freie nehmen auch Termine war, wenn wir es mal nicht können, sie sind wichtig für den Lokaljournalismus “, sagt sie. Die Freien in der Redaktion hatten ein ganz eigenes Profil und eine eigene Motivation. „Das Geld ist es jedenfalls nicht, so viel bezahlen wir nicht“, sagt Jäger schmunzelnd. Das Schreiben nutze kaum einer, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Stattdessen ginge es ihnen eher um Freizeitgestaltung – besonders im Alter, es seien nur noch wenige freie Mitarbeiter jung –, um das Hobby oder den persönlichen Imagegewinn. „Die Redaktion muss jeden freien Mitarbeiter nach seinen Interessen und Fähigkeiten einsetzen, die Allzweckwaffe gibt es nicht mehr“, sagt Jäger. Also: Aufgabenverteilung nach „Komfort-Zone“. Verlässlichkeit und Transparenz sollten die Arbeit mit den Mitarbeitern bestimmen, vor allem auch ein kritisches, aber konstruktives Feedback zum Schreibstil, den Fotos und die Arbeitsabläufe. Rekrutierung funktioniere gut über Seminare und Mund-zu-Mund-Infos, manchmal würden auch aus Praktikanten freie Mitarbeiter. Jens Nähler von HNA-Online bringt aus dem Plenum ein, dass die HNA sehr gute Erfahrungen damit gemacht hätte, Freie über Facebook zu gewinnen.
Jägers Berichte über die intensive Mitarbeit der Freien, und ihre Motivation, ruft auch Kritik hervor. „Für mich spricht das nicht unbedingt für die Redaktion“, meint ein Kollege aus dem Plenum. „Für mich spricht das für gut ausgebildete freie Mitarbeiter“, erwidert Jäger.
Borowski: Eigenständiger Online-Journalismus mit multimedialen Kooperationen
Nach dem Exkurs zu den freien Mitarbeitern spricht Borowski, Leiter der Online-Redaktion bei der Augsburger Allgemeinen, über die neuen Instrumente, die seinen Bereich weiterbringen.
Borowskis Redaktion hat eine Metered-Paywall. „Wir setzen auf Reichweite und paid content – und Reichweite schafft man durch einen Themenmix“. Auch Suchmaschinenoptimierung sei ein wichtiges Instrument um Reichweite zu gewinnen und gleichzeitig ein alltäglicher Bestandteil der Arbeit. Die Arbeit der Online-Redaktion geht dabei weit über technische Betreuung hinaus: „Wir schaffen in der Online-Redaktion selbst Inhalte“. Auch im Lokalen. Wobei die Onliner sich diesen Posten erst erstreiten mussten. „Wir sitzen jetzt seit vier Jahren am Konferenztisch mit bei Print und stellen auch die Themen zuerst vor. Aber bis dahin war das ein langer Weg.“ Wie kontrolliert man bei Online Qualität? Automatisierung, das Vier-Augen-Prinzip, und die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem Lokalen gehörten zu den Standard-Mitteln der Qualitätskontrolle, so Borowski. Das kann auch deswegen so gut funktionieren, weil die Redaktion personell ziemlich gut ausgestattet ist: Von 6:30 bis 23 Uhr arbeiten sichern sechs Redakteure den Online-Dienst, dazu kommen Bereitschaftsdienste. Sehr gut ist eine multimediale Reportage zur Augsburger Bombennacht gelaufen, die die Online-Redaktion zusammen mit einem technischen Dienstleister auf die Beine gestellt hat: www.augsburger-bombennacht.de.
Binner: Probleme analysieren und handeln
Sylvia Binner berichtet, wie man Qualitätsmanagement im Lokalen beim Bonner General-Anzeiger ganz konkret umsetzte: Durch eine detaillierte, systematische und langwierige Analyse des eigenen Produkts. „Wir haben uns hingesetzt und über einen Zeitraum von vier Wochen die eigene Zeitung von den Redakteuren selbst auswerten lassen“. In einem neutralen Zeitraum, ohne Großereignisse wie Karneval oder Urlaubsphasen sollte die Evaluation fallen; es wurde November 2012. Die Kollegen haben dabei nie die eigenen Artikel und Bereiche ausgewertet, sondern die der anderen. Wichtig sei die Arbeit mit Marktdaten gewesen, so holte man auch das Marketing ins Boot. Woher kommen die Lesen, und lese sie genug aus ihrer Region? Ein weiteres Kriterium war der Gattungsmix. Wie viele Kommentare, Interviews, Reportagen, Meldungen sind im Blatt? Ins inhaltliche Detail ging es bei der Recherchetiefe – wie viele Quellen werden genannt—, Genderaufteilung in der Zeitung, und bei den Themen (Bauthemen, etc.). Die Ergebnisse seien sehr authentisch gewesen. „Die Kollegen waren teilweise geschockt. Wir hatten sogar Aufmacher ohne Quelle, auch das gab es. Auch der Gattungsmix war nicht besonders gut, in bestimmten Lokalteilen lief an manchen Tagen kaum eine Reportage.“ Der positive Effekt: Direkt nach der Bekanntgabe der Ergebnisse hat sich etwas verändert. Massiv. Das wichtigste Ergebnis war, dass gegenüber Geschäftsführung mit dieser Datenlage Lokalredaktionen verstärkt werden konnten. Der Gattungsmix wurde ausgebaut. Es lief, denn: Die Probleme waren nach der Erhebung greifbar, man hatte mit den Daten eine Basis, von der aus die Redaktion mit der Chefetage weitere Schritte entwickeln konnte. Es war zwar eine „sehr zähe Angelegenheit“, aber der Blick auf die journalistische Qualität sei geschärft worden. Aus manchen Gebieten kam positives Feedback: vor dem neuen Kurs sank die Auflage, weil es kaum originäre Inhalte gab, danach hatte sie sich stabilisiert und es kamen positive Rückmeldungen von den Lesern. Problem: Diese Perspektive schläft schnell wieder ein, wenn man sie nicht wiederbelebt. „Wir müssen noch mal neu auszählen, ständig neu dahinter her sein. Eine Atempause ist wichtig, aber danach muss es weitergehen“.
Dass man sich ständig neu darum bemühen muss, am Ball des Qualitätsjournalismus zu bleiben, die Routine zu überkommen, gilt wohl überall.