Ausspähskandale, Gängelung von Journalisten oder mangelnde Datensicherheit: Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungs- und Pressefreiheit festschreibt, ist 65 Jahre alt, doch die Diskussion um den Wert und Stand der freien Medien in Deutschland reißt nicht ab. Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wissenschaft haben sich heute in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin getroffen, um unter dem Motto „Die DNA der Demokratie: 65 Jahre Grundgesetz – 65 Jahre Pressefreiheit“ zu diskutieren, wie frei unsere Presse heute wirklich ist. Die Konferenz eröffnen Thomas Krüger, Präsident Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), und Helmut Heinen, Präsident Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), zusammen mit dem Medienexperten Werner Lauff, der heute moderiert. BDZV und bpb veranstalten den Tag gemeinsam: weil man sich ebenfalls wie die Presse als Einrichtung der Aufklärung sehe (Krüger) und das Grundgesetz die Grundlage der eigenen Arbeit sei (Heinen).
Beide Präsidenten haben einen persönlichen Bezug zur Pressefreiheit. Heinens Großvater war katholisch, sozial und politisch engagiert. Nach dem Ersten Weltkrieg habe der sich öffentlich, in der hiesigen Zeitung, massiv gegen Probleme während der belgischen Besetzung des Rheinlands eingesetzt – und sei dafür 1920 festgesetzt worden. „Später, in der Zeit des Nationalsozialismus, ist das wieder passiert, dieses Mal für vier Jahre. Meine Großmutter hat nie verstehen können, warum er sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch mal politisch engagiert hat“. Bpb-Präsident Thomas Krüger ist in der DDR aufgewachsen und hat selbst erlebt, was Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit bedeuten. Wichtige Ereignisse seien für ihn die Demonstrationen der Kirchen Ende der 80er Jahren gewesen. „Leider habe ich es nicht geschafft, daran teilzunehmen, ich wurde zugeführt“. Zugeführt. Das hört sich harmlos an. Es bedeutete in der DDR, von der Staatsmacht aufgehalten, woanders hingebracht zu werden. Dennoch ließen sich die Menschen ihren Willen zur Veränderung und ihre Kreativität nicht nehmen. Krüger hat auf anderen Wegen Flugblätter und Zeitungen veröffentlicht, die Netzwerke der Kirche haben geholfen.
Wie hätte sich die DDR mit einer freien Presse entwickelt?, möchte Lauff wissen.
„Sie hätte nicht ein Jahrzehnt überlegt“, meint Krüger. „Meinungs- und Pressefreiheit ist ein Lebenselixier einer pluralen, demokratischen Gesellschaft. Das gab es in der DDR nicht“. Und heute? Heute seien Monopole eine Gefahr und Herausforderung für die Pressefreiheit, darauf müssten wir in unserer pluralen Gesellschaft achten. Und: Informieren, auswählen, Zusammenstellung von Themen; recherchieren, problematisieren, aufdecken, sagt Heinen, das würde zählen. Für Krüger gehört unbedingt auch die Aufklärungsfunktion dazu. „Um eine Demokratie zu sichern braucht es mediale Verstärker, die sich dem Aufklärungsprojekt verschreiben. Die Medien tragen tagtäglich eine sehr große Verantwortung“. Für die Pressefreiheit müsse die Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Doch das eigentliche „Subjekt der Pressefreiheit“ sei die res republika, die Bürgerinnen und Bürger.
Heinen erinnert daran, dass neben der Verantwortung des Einzelnen auch die Wirkung nach außen eine Rolle spielt, die eine Frage der journalistischen Professionalität sei. Genügt das, was ich veröffentlichen möchte gewissen Standards, gerade mit Blick auf die öffentlichen Aufgabe? Für Krüger habe nicht jeder Blog journalistische Qualität, andererseits könne man die Grenzen nicht scharf ziehen. Es gebe gute professionelle Standards, und die man auch an multimediale Formate richten könne.
Diese müssen aber auch eingehalten werden. Wann werden etablierte Medien so schlecht, dass die Pressefreiheit gefährdet ist?, möchte Lauff wissen. „Wahrscheinlich wenn sie nicht mehr gekauft werden. Die Grenzen nach unten sind offen“, sagt Heinen. Er betont dass Medien als Plattform, als Marke für Qualität gelten müssten, und man auf einem guten Weg sei, wenn man das Verständnis dafür weiter entwickle.
Heute wird noch viel diskutiert, über Anspruch und Wirklichkeit der Pressefreiheit in Deutschland, eine Studie über Einflussnahmen von außen auf die journalistische Arbeit, und darüber, welchen Journalismus die demokratische und digitale Gesellschaft verlangt. Chefredakteure, Verfassungsrechtler, Wissenschaft, Verlagswesen.
„Ich wünsche mir, dass die Leute sich austauschen und aus der Veranstaltung mit mehr Fragen rausgehen als sie reingekommen sind“, sagt Krüger.
Hoffen wir, dass sich heute viele interessante Gedankengänge entwickeln – und einen Weg zur Beantwortung der ein oder anderen Frage weisen.