Whistleblower

Aus dem Nähkästchen eines Rechercheurs

26. September 1980. Eine Rohrbombe explodiert auf dem Münchner Oktoberfest und tötet 13 Menschen. Über 200 Personen werden schwer verletzt, über sechzig davon schwer. „Ich nahm mir vor, die Spuren der Ereignisse jener Nacht aufzunehmen und ihnen zu folgen“, liest Ulrich Chaussy vor. Vor ihm liegt sein Buch „Oktoberfest – das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“. Es klingt wie ein Thriller, wenn der Journalist, Autor und Rechercheur vorliest, wie damals dieses ominöse braune Päckchen voller Akten in seiner Wohnung landete. Wie er die Spur aufnahm. Wie er am 9. Mai 1983 seinen ersten Radiobeitrag zum Thema sendete und die Aufdeckung und die Konflikte darum ihren Lauf nahmen.

Chaussy steht am Montagabend auf dem Podium der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und blickt von seinem Manuskript empor. Ein verschmitztes Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann teilt er den Anwesenden mit, dass die Szene mit dem Päckchen, das ihm zugespielt wurde, frei erfunden ist. Eine Fiktion inmitten von Fakten. Auch Chaussys Informant in dem Film „Der blinde Fleck“ ist komplett ausgedacht.

Warum? Chaussy gibt darauf eine einfache und einleuchtende Antwort: „Derjenige investigative Journalist, der die Quelle seiner Informationen preisgibt, wird zum letzten Mal einen Informanten erlebt haben, der sich an ihn wendet.“ Deshalb verschleiert Chaussy auch heute noch, mehr als dreißig Jahre nach Beginn seiner investigativen Arbeit rund um die Ermittlungsarbeit nach dem Oktoberfestattentat.

Doch Chaussys falsche Spuren erfüllen noch einen anderen Zweck. Denn: mit konsequent durchgehaltener Diskretion „empfiehlt man sich auch als Journalist“. Nur dann fassen weitere Whistleblower womöglich den Mut, sich zu öffnen und ihre Informationen preiszugeben.

„Leidenschaft und Intensität für Inhalte und Themen. Damit kann der einzelne Journalist und Autor Signale setzen, auf die hin sich Whistleblower entscheiden, Kontakt aufzunehmen und interne Informationen zur Verfügung zu stellen.“ (Ulrich Chaussy)

Trotzdem warnt Chaussy vor dem „Hype des Whistleblowing“. Er rät seinen Kolleginnen und Kollegen im Raum, kritische Distanz zu Whistleblowern und den von ihnen geleakten Informationen zu bewahren, ja eine solche Distanz sei „dringend geboten“ um nicht zu „nützlichen Idioten“ gemacht – also instrumentalisiert – zu werden. Die Motive von Whistleblowern seien nicht immer uneigennützig. Umso sorgfältiger müsse man arbeiten. Chaussy selber bekomme teilweise „viel zu viel zugetraut“, sei in den Augen mancher eine „fast mythische Figur“ und bekomme teilweise abstruse Vermutungen zugespielt. Aber: Auch er habe doch nur einen „ganz kleinen Werkzeugkasten“, so Chaussy. Doch trotz allem: Man müsse Informationen, die man erhalte – und sofern es sich um handfeste Dokumente handelt – „immer irgendwie nachgehen“.

„Whistleblowing entsteht durch Konfliktsituationen.“ (Ulrich Chaussy)

Hier geht’s zur Homepage von Ulrich Chaussy.