Whistleblower

Landesverrat? Aktivismus? Journalismus.

Whistleblower treten aus dem Schatten, werden immer anerkannter. Das merkt man schon daran, dass der Begriff „Whistleblower“ in aller Munde ist, das ihn fast jede und jeder in Deutschland mittlerweile kennt. Ein Gesetz, das Whistleblower explizit unter Schutz stellt, gibt es aber (noch) nicht. „Lassen Sie uns nicht aufs Gesetz starren wie die Schlange aufs Kaninchen“, sagt Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk. Denn es brauche vor allem eine gesellschaftliche Diskussion über das Thema. Und kaum jemand hat die in letzter Zeit derart angeheizt wie netzpolitik.org-Chefredakteur Markus Beckedahl, der in Tutzing am Dienstagmorgen neben Falter auf der Bühne sitzt.

„Einer der surrealsten Momente meines Lebens“, sagt Beckedahl, sei es gewesen – der Moment als er die Bestätigung in den Händen hielt, dass der Generalbundesanwalt gegen netzpolitik.org ermittelt. Weil Beckedahl mit seinem Kollegen Andre Meister Originaldokumente ins Netz gestellt hatte, unter anderem um eine Diskussion über den Ausbau der Massenüberwachung in Deutschland anzustoßen. „Uns war klar, wenn die damit durchkommen, dann ist das nicht unsere Bundesrepublik“, sagt Beckedahl. Der Vorwurf lautete Landesverrat. Und dann stand die Presse vor der Tür.

„Uns war klar: Ohne Berichterstattung haben wir keinen Schutz der Öffentlichkeit“
(Markus Beckedahl)

„Wir sind überrollt worden von einer weltweiten Solidaritätswelle“, sagt Beckedahl. Was wohl auch daran lag, dass man mit dem Thema „zwei Wochen nach Griechenland und zwei Wochen vor den Flüchtlingen genau in das Sommerloch gefallen“ sei. Nach zehn Tagen wurden die Ermittlungen eingestellt, der Generalbundesanwalt Harald Range trat zurück.“Wir hätten höchstens gedacht, dass die uns eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung schicken“, sagt Beckedahl heute. Landesverrat hatte keiner auf dem Schirm.

Anleitungen zur digitalen Selbstverteidigung

Eine Frage aus dem Publikum: „Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie weiterhin überwacht werden?“ Beckedahl: „Wir können nicht ausschließen, dass wir unter Beobachtung stehen.“ Und er ergänzt: „Wir müssen davon ausgehen, dass unverschlüsselte E-Mails irgendwo gelesen werden“. Doch der Journalist und Aktivist gibt sich gelassen, denn: „Unsere Redaktion besteht zum Großteil aus Hackern“, man kommuniziere größtenteils verschlüsselt. Angst habe man aber keine, denn Beckedahl wolle auch nicht „in einer ständigen Paranoia leben, überall überwacht zu werden“. Und wenn es „gewisse Sachen zu besprechen“ gebe, dann gehe man halt „ohne Handy vor die Tür“. Ob das nicht nervenzehrend sei? „Da müssen wir halt mit leben und das machen wir auch.“

Doch was bedeutet die Überwachung für Whistleblower, die sich mit netzpolitik.org in Kontakt setzen wollen? „Wir schauen, dass wir keine digitalen Spuren hinterlassen, wenn wir mit Whistleblowern kommunizieren“, sagt Beckedahl. Also der Rat: „Schickt uns lieber Sachen per Post“.

„Man muss damit anfangen, Geheimhaltung als solches zu hinterfragen“ (Annegret Falter)

Weniger gelassen sieht das Annegret Falter. „Das ist doch eine Rüstungsspirale, die uns hier vorgeführt wird“, sagt sie. Auf der einen Seite der Staat, der immer gewieftere Überwachungsmechanismen entwickele. Auf der anderen Seite Journalisten und Aktivisten (und wie soll man das überhaupt so richtig trennen?), die sich davor teils mit technischen Mitteln zu schützen zu suchen. Das erinnere „an den kalten Krieg“, sagt Falter. Deshalb ihre Forderung im Bezug auf neue Gesetze: „Man darf jetzt nicht wieder warten, bis die Sachen verabschiedet sind und das Kind in den Brunnen gefallen ist.“

Weitergehende Information: Markus Beckedahl sagt, man biete den Leserinnen und Lesern auf netzpolitik.org gewissermaßen auch „Anleitungen zur digitalen Selbstverteidigung“. 25.000 Euro habe man monatlich für die Arbeit bei netzpolitik.org zur Verfügung – eingesammelt durch Spenden. Hier geht’s zur Seite.