Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sprach beim 24. Forum Lokaljournalismus in Nürnberg. Hier können Sie seine komplette Rede noch einmal nachlesen:
Lieber Herr Oberbürgermeister,
lieber Herr Husarek,
lieber Herr Dr. Encke,
liebes Projektteam Lokaljournalisten,
sehr geehrte Damen und Herren,
ein Ort wie der Tiergarten mit seiner Vielfalt an Lebensformen vom Wildvogel bis zum Meeressäuger lädt zum Staunen ein. Oder haben Sie schon mal zu Abend gegessen während eine Seekuh an Ihnen vorbeischwimmt? Vielen Dank lieber Dag Encke, Direktor des Tiergartens, dass Sie uns diesen Saal zur Verfügung gestellt haben und damit diese einmalige Atmosphäre ermöglichen.
Warum Lokaljournalismus?
Lokaljournalisten müssen zum Staunen an keinen besonderen Ort gehen. Die Geschichten, die die Menschen umtreiben, die begeistern und für Diskussionen sorgen, liegen oft auf der Straße. Wer aus seiner Redaktion hinausgeht und mit den Menschen spricht, wird sie finden. Weshalb brauchen wir, die Bürger, die Leser, die Journalisten, den Lokaljournalismus?
Die Gründer des Lokaljournalistenprogramms waren der Meinung: „Der Lokalteil ist das Herzstück der Zeitung, von ihm lebt sie. Der Lokalteil entscheidet darüber, wie sich die Leser mit ihrer Zeitung zuhause fühlen.“ Damit das gelingt, müssen Lokaljournalisten nah an den Menschen sein. Denn in ihrem Dorf, ihrem Stadtteil, ihrer Heimat können die Leser und Leserinnen selbst nachprüfen, ob das stimmt, was in der Zeitung steht. Und das ist gut so! Guter Lokaljournalismus schafft Vertrauen, er ist die „erste Bastion gegen das Postfaktische“, wie Bundespräsident Steinmeier zum 50-jährigen Bestehen des Verbands Deutscher Lokalzeitungen formuliert hat. Der Lokaljournalismus braucht die Öffentlichkeit und er stellt sie selbst her. Er kontrolliert die lokalen Eliten und stärkt die Demokratie dort, wo sich viele Menschen noch direkt einbringen können.
Weil wir alle eine große Chance im Lokaljournalismus sehen, sind wir hier. Und um die zu würdigen, die sich dafür einsetzen, dass guter Journalismus im Lokalen noch besser wird: Das Projektteam Lokaljournalisten der Bundeszentrale für politischen Bildung.
Philosophie und Konzept des Lokaljournalistenprogramms
Auch wenn ich nicht zur Zielgruppe gehöre, wäre ich gerne von Anfang an dabei gewesen, denn all das, was Sie hier diskutieren, ist in der Breite und Tiefe politische Bildung pur:
Je besser die Tageszeitung, desto besser „funktioniert“ die Demokratie – das ist die Philosophie des Lokaljournalistenprogramms. Wie kann nun Lokaljournalismus „besser“ werden, vor welchen Herausforderungen steht er und wie können diese gemeinsam bewältigt werden?
Auf diese Fragen suchen Sie in Foren wie diesem Antworten. Auf dem vergangenen Forum in Köln vor drei Jahren ging es beispielsweise darum, wie Lokaljournalismus im Zeitalter von Social Media aussehen kann. Denn: „Local is social.“
Und in diesem Jahr ist das Thema nicht weniger spannend: „Wenn aus Ideen Lösungen werden.“ Das diejährige Forum Lokaljournalismus steht ganz im Zeichen von Innovation, die Lokal- und Regionalmedien sich zunutze machen, die sie sich vor allem aber trauen müssen.
Welchem Konzept folgt dabei das Lokaljournalistenprogramm?
Es möchte erstens den Redaktionen auf Augenhöhe begegnen. Das Lokaljournalistenprogramm der bpb lebt vom Austausch der besten Köpfe, als solche sollen sich die Redakteurinnen und Redakteur auch angesprochen fühlen.
Zweitens: Lokalzeitungen moderieren das Gespräch der Bürger, sie bringen verschiedenste Meinungen ins Blatt und machen es dadurch zu einem Forum, zu einem „Marktplatz der Ideen“. Die Zeitung ist der Boden, auf dem Diskussionen fruchten könnten.
Drittens: Wem sollen die Leser vertrauen? Ihrer Lokalzeitung. Denn nur sie berichtet über das, was ihnen wirklich am Herzen liegt. Lokalzeitungen sind für ihre Leser Treuhänder. Sie schauen den Mächtigen auf die Finger und übersehen im Schatten der Leitartikel nicht die kleinen Meldungen, die das Leben ihrer Leser in gleicher, wenn nicht in noch größerer Weise prägen.
Viertens: Wer schreibt, der bleibt. Lokalzeitungen bilden das Gedächtnis einer Stadt. Sie holen die „alten Geschichten“ ans Licht, sind Chronisten der Gegenwart und blicken in die Zukunft, sie vermitteln Zeitgeschichte, politisch und trotzdem unterhaltsam und das auf Augenhöhe mit denen, über die sie berichten.
Und zu guter Letzt unterhalten sie ihre Leserschaft mit Anekdoten aus dem Alltag: „Kind verließ Coiffeur halb frisiert und weinend“, „Diebe klauen Eimer mit drei Kilo Mett“, „Kuh flüchtet nach Unfall mit Dacia“ – da wünscht man sich doch, man wär dabei gewesen.
Das Projektteam Lokaljournalisten und -journalistinnen
Wie schon angeklungen, sind die ehrenamtlichen Teams, die die Modellseminare und die Redaktionskonferenzen des Lokaljournalistenprogramms der bpb vorbereiten und durchführen, ein tragendes Gerüst. Allen voran steht das PLJ, das Projektteam Lokaljournalisten und Journalistinnen. Das PLJ arbeitet vollkommen unabhängig und vor allem praxisnah. Es versteht sich als Mentor und Motor eines modernen Lokaljournalismus. Es sucht, findet und ebnet immer neue Wege zum Leser des Lokalteils, ist ein Seismograph für die fachlichen Debatten in der Zielgruppe, verbindet diese mit der gesellschaftspolitischen Diskussion, wissenschaftlichen Erkenntnissen und gibt thematisch wie konzeptionell Impulse für weitsichtige politische Strategien.
Das Team ist auch der Herausgeber der drehscheibe. Seine Mitglieder sind erfahrene Lokalredakteure und Redakteurinnen aus großen und kleinen Redaktionen, aus der Stadt und vom Land. Vor allem aber sind sie wichtige Berater und Vordenker für das Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung. Das Team garantiert, dass alle Projekte sich am Alltag der Journalisten orientieren.
Das Projektteam Lokaljournalisten, von dem wir uns jetzt verabschieden, besteht aus sechs Damen und drei Herren. Ich bitte Sie auf die Bühne:
• Stefan Aschauer-Hundt (ehemals Süderländer Tageblatt in Plettenberg, jetzt Westdeutsche Zeitung),
• Yvonne Backhaus-Arnold (Hanauer Anzeiger),
• Sylvia Binner (Bonner General-Anzeiger),
• Ralf Freitag (Lippische Landes-Zeitung),
• Christina Knorz (freie Journalistin, vormals Nordbayerischer Kurier),
• Prof. Dr. Wiebke Möhring (TU Dortmund),
• Peter Taubald (freier Journalist, ehemals Madsack Heimatzeitungen, Hannover),
• Dr. Petra Waschescio (Volksstimme),
• Maike Sophie Wessolowski (Nordsee-Zeitung, bis vor Kurzem Leiterin der Lokalredaktion Dillkreis).
Ihnen ist es zu verdanken, dass Sie, meine Damen und Herren, ein solch spannendes Programm hier in Nürnberg erleben dürfen. Aber nicht nur das: Das PLJ-Team hat in den vergangenen vier Jahren alle unsere Aktivitäten auf den Prüfstand gestellt und uns beraten. Denn auch die kritische Eigensicht ist wichtig. Reporter sind keine Maschinen. Zumindest noch nicht. Noch besitzen sie die Menschlichkeit, Fehler zu begehen. Die Reflexion der eigenen Haltung, verinnerlichter Denkweisen und Vorurteile, macht den Journalisten ebenso aus wie der kritische Blick auf die eigene Berichterstattung.
Das Team hat in den vergangenen vier Jahren das Netzwerk des Lokaljournalistenprogramms mit Modellseminaren, Handbüchern, Pressediensten, Materialien und Workshops ausgebaut und bereichert. Immer nah dran an der Zielgruppen und den drängenden Fragen der Zeit.
Für diese herausragende Arbeit, die Sie in den letzten vier Jahren für Ihre Leser und für die Demokratie geleistet haben, gilt Ihnen unser aller Dank.
Kooperation mit den und Leistung der Nürnberger Nachrichten
Mein Dank geht auch an die Nürnberger Nachrichten für die großzügige Kooperation, die dieses Forum überhaupt möglich macht. Allen voran dem Chefredakteur Michael Husarek und seinem Team, die sich ganz besonders engagiert haben, um den Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland einen freundlichen Empfang und einen ansprechenden Rahmen für dieses Forum zu bieten.
Besonders erwähnenswert ist aber nicht nur Ihre Gastfreundschaft. Die Nürnberger Nachrichten zeichnen sich vor allem durch das Vermächtnis ihres langjährigen Verlegers Bruno Schnell aus, der im Februar dieses Jahres verstorben ist.
Bruno Schnell vereinigte in seiner Person zwei Eigenschaften, die in dieser Kombination heutzutage nur noch äußerst selten im Wirtschaftsleben zu finden sind: Er war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern hat Zeit seines Lebens Verantwortung für seine Mitarbeiter übernommen. Sein Ziel, auch in Zeiten sinkender Auflagen und Anzeigenerlöse, zuerst den Mitarbeiter im Blick zu haben, hat er erreicht. Er war ein Mann mit Haltung, wie Oberbürgermeister Maly einmal bemerkte. Ein Mann, der für Werte stand, die sein Handeln bestimmt haben und die sicherlich auch den Verlag bis heute in seiner Arbeit prägen.
Gestaltung und Herausforderungen von Qualitätsjournalismus
Unabhängigkeit und journalistisch gutes Handwerk sind das beste Fundament für eine gute Lokalberichterstattung und somit für das Funktionieren einer Demokratie. Die Qualität der Politikberichterstattung in Tageszeitung trägt entscheidend zur politischen Bildung ihrer Leser bei. Sie sind informierter, kritischer und handlungsbereiter. Und damit die Bürgerinnen und Bürger, die die Demokratie braucht.
Apropos kritisch: Journalistinnen und Journalisten in Zeitungshäusern haben heutzutage einen schweren Stand. Sie sehen sich der Kritik gegenüber, kein glaubwürdiges Medium für politische Berichterstattung mehr zu sein. „Lügenpresse“ ist nur ein Stichwort. Aber es reicht nicht, diese kruden Begriffe zurückzuweisen. Wir müssen auch ehrlich über die Gründe nachdenken, wie es dazu kommen konnte. Sind die eigenen Filterblasen allzu erschütterungssicher geworden und die Möglichkeit, den anderen nachzuschreiben, zu bequem? Geben Zeitungen Meinungen, die vom Mainstream abweichen, genügend Raum? Journalisten dürfen sich nicht mit einer Sache gemein machen. Fehlt ihnen die Distanz zum Thema, zum Interviewpartner, ist kein Platz für Kritik. Und so geht auch die Glaubwürdigkeit beim Leser verloren.
Letztlich kommt es aber darauf an, dass der Artikel für die Leserinnen und Leser geschrieben ist. Sie müssen sich darin wiederfinden. Der Journalismus – vor allem der lokale – steht vor vielen Herausforderungen: Die Auflagenzahlen gehen zurück, das Internet bietet immer neue Kanäle zur Vermittlung von Informationen und hängt die Zeitung aus Papier und Druckerschwärze mit diesen neuen Möglichkeiten der Leser-Blatt-Bindung ab. Kleinere Blätter haben gegen die großen Verlage kaum eine Chance. Es entstehen Monopole in der Zeitungslandschaft. Schwierig auch für erfahrene Redaktionsleiter, die sich vom Verlag vorgegebenen Strategien beugen müssen. Das Verfolgen eigener Ideen kann sie ihren Job kosten. So entsteht Druck, der guten, also unabhängigen Journalismus blockiert.
Aber so groß der Konformitätsdruck auch sein mag, die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten war nie, eine Einheitssicht zu vertreten. Journalismus hat immer die Pflicht, den Leser zum Selbstdenken anzuregen und ihm dafür die besten Voraussetzungen zu liefern. In Form von ausgewogenen, alle Seiten beleuchtenden Berichten. Also im besten Falle auch politische Bildung, wo sich Ihre und unsere Aufgaben überschneiden. Keine Stimme darf aus Bequemlichkeit überhört werden. Diese Pflicht darf nicht vernachlässigt werden.
Journalistinnen und Journalisten müssen sich vor allem ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung bewusst sein. Das heißt: Wer „nur abbildet, was ist“, der entzieht sich seiner Verantwortung und der Pflicht, Gründe anzugeben – für die Entscheidung, die mit jedem Text, mit jedem Foto, mit jeder Karikatur getroffen wird. Eine Entscheidung darüber, welche Wirklichkeit relevant, welches Ereignis repräsentativ ist – Sie entscheiden, welche Assoziationen Sie beim Leser wecken, was er als glaubwürdig oder lächerlich ansieht, wer zu Wort kommt und wer nicht. Das Ziel kann dabei niemals Neutralität sein – denn die gibt es schlicht nicht – sondern die Ausgewogenheit der Berichterstattung.
Journalistinnen und Journalisten müssen sich bewusst werden, wie sie über Migrantinnen und Migranten sprechen, wie über Israel, Amerika oder die Türkei, welche Diversität in den Redaktionen herrscht, ob und welche Stereotype sie reproduzieren, ob sie genug über die eigene Geschichte reflektieren. Machen sie Fehler, sind sie angreifbar – die einzige Chance ist, aus ihnen zu lernen.
Hoffnungsschimmer
Glauben sie aber auch nicht, dass schon alles verloren ist. Auch wenn die Auflagen sinken und Kritiker sich in den sozialen Netzwerken viel Gehör verschaffen, gibt es Hoffnung: Langzeitstudien belegen, dass das Vertrauen in die Medien seit 1990 konstant ist. Schaut man auf andere Länder, zeigt sich: Deutsche Medien stehen gut da. Verlieren Sie daher nicht das Vertrauen in Ihre Arbeit und in Ihren Beruf! Besinnen Sie sich auf ihr Handwerk. Erklären sie ihre Arbeit! Reagieren sie auf den Vorwurf, der Journalismus sei nicht mehr glaubwürdig, indem Sie noch sorgfältiger arbeiten und Haltung zeigen! Nehmen Sie den Dialog mit ihren Lesern ernst, auch wenn es viel Zeit kostet und sehr fordernd sein kann! Es wird ihre Zeitung um neue Sichtweisen und Themen bereichern. Und am Wichtigsten: Ihre Leserinnen und Leser werden es Ihnen danken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein bereicherndes Forum Lokaljournalismus und richte nochmals ein großes Dankeschön für diese bemerkenswerte Zusammenarbeit der „besten Köpfe“ – damit sind Sie alle gemeint. Unsere Demokratie braucht mündige Bürger und die brauchen Sie: Als Informationsquelle, Diskussionsplattform und Anwalt ihrer Interessen.