Folo 2015

Einordnen, dranbleiben, mitgehen

IMG_1214In einer Welt, in der Algorithmen Menschen verändern, Smartphones zum Beruhigungsmittel der Masse werden und sich der Leser nach einem roten Faden im Informationschaos sehnt, darf der Journalist nicht einfach nur Nachrichten bringen. Vor allem muss er sich selbst zur Diskussion stellen und Innovationen persönlich nachvollziehen. „Als Journalist muss ich ganz genau wissen, was passiert“, sagt Christoph Krachten, Geschäftsführer von Videodays GmbH. Für sich selbst. Für seine Leser. Und irgendwie auch für seine Gesellschaft. Ein anderer tut es nämlich nicht, die Forschung hängt immer Jahre hinterher. In großen Schritten geht es Richtung Zukunft. Über „Medien 2020: „So geht Aufbruch ohne Ballast“ spracht er heute, am letzten Tag des Forum Lokaljournalismus, mit Jan Hölz, Consulting & Projektmanagement-Experte fürs Digitale (momentan bei PREPUBLIC Berlin), und Stephan Grünewald, Geschäftsführer vom rheingold institut.

Zeitung ist kein Nachrichtenmedium mehr

Der Ballast, von dem wir uns befreien müssen, sind laut Krachten falsche Denkmuster. Es sei falsch Zeitungen direkt abzuschreiben. „Man muss sehen, was die Stärken und Schwächen meines Mediums sind“. Für ihn ist die Zeitung ein on-demand-Medium mit top Echtzeit-Zugriffen, ein Medium, das durchaus Zukunft hat. „Aber es ist kein Nachrichtenmedium mehr.“ Einen Tag später Nachrichten zu verbreiten sei genau ein Tag zu spät. Nutzen müsse man Print daher für Hintergründe und Reflexionen: Journalisten, die sich einen Überblick verschafft haben, „können Geschichten wunderbar über Facebook, Twitter und Youtube erzählen und sie dann später in der Zeitung weitererzählen.“ Krachten glaubt, dass der Lokalteil in eine analytische Richtung durchdacht werden muss, und lobte die Sportberichterstattung des Kölner Stadt-Anzeigers. Sein Fazit: „Die Nachricht muss weg.“

Smartphones befördern eine egozentrische Instant-Kultur, aber auch die Sehnsucht nach Einordnung

Grünewald sieht die Potenziale ähnlich verteilt. Das Smartphone ist mehr als immer nur dabei. Für Grünewald ist es „zum Körperteil“ geworden. Es habe sich dabei eine Instant-Kultur entwickelt. Um ihre eigene Unruhe zu vertreiben und sich selbst zu stabilisieren, „greifen die Leute heute zum Smartphone statt zur Zigarette. Viele fürchten, wenn ihr Smartphone ausfällt, in eine Art Wachkoma zu verfallen.“ Oft beschäftigten sie sich dabei aber mit belangslosen Inhalte, oder mit sich selbst und ihren Freunden, ihrer eigenen kleinen Welt.  „Je mehr die Menschen mit dem Smartphone verwachsen sind, desto mehr kreisen die Menschen um sich selbst“, sagt Grünewald. Viele Leute würden sich von der Öffentlichkeit abwenden. „Selbst Lokaljournalismus ist damit ein Schritt in die riesige, weite Welt.“

Die andere Entwicklung sei aber, dass die Leute wieder „in Geschichten eintauchen und an Schicksalen teilhaben wollen“, sagt Gründewald. Und hier könne die Zeitung ihre Stärke ausspielen. „Schnelligkeit ist nur eine Sekundärtugend. Sie ist wichtig, aber nicht kriegsentscheidend“, sagte er. Es zähle, zu wissen, was die Kunden wollen, aber es sei auch zu wissen, wofür man selbst steht. Bei einem Unglück wie dem Germanwings-Absturz würden Menschen mit dem Unfassbaren konfrontiert. Das brauche Erklärung, ein Blick hinter die Kulissen, einen roten Faden. Eine gute Zeitung „helfe ihnen dann, die Welt wieder zu ordnen.“ Der Lokaljournalist werde laut Grünewald „zum lokalen Eventmanager“. Er wird die Menschen ins Gespräch und zusammenbringen.

Schnelligkeit sei vor allem in Produktionsprozessen wichtig, sagt Hölz. Die Produktentwicklung verlässt sich im Prozess auf Experten. Für ihn sei es wichtig, Nutzer in die Entstehungsgeschichte einzubeziehen. Dabei neue Kanäle zu bedienen, ist für ihn selbstverständlich. Der Weg in der Zukunft führt seiner Meinung nach „über mehr Freude an neuen Formaten und Techniken, wie SMS Interviews zum Beispiel“. Mit einer gewissen Aufgeschlossenheit sei das nicht schwer. „Das Bespielen von neuen Medien ist keine Raketentechnik, das können eigentlich auch Journalisten“, sagt Hölz. Dennoch habe es ihn in seiner Berufserfahrung als  überrascht, wie unflexibel gerade Printjournalisten seien. „Die Mentalität in den Köpfen, immer wieder neue Produkte zu schaffen, ist bei Printjournalisten nicht da“, sagte er. Auch“Führungskräfte müssten Innovationskräfte mit hereintragen“.

Wer nicht radikal ist, verliert

Krachten stimmt darin überein, „dass man ein riesiges Problem hat, wenn man nicht radikal ist“. Wer den Wandel nicht mitgeht, stirbt beruflich. Wie auch der Print- und Onlinejournalsmuswird werde sich ebenfalls Fernsehen radikal ändern müssen, das Fernsehen im linearen Stil wird nicht mehr geguckt werden.

Doch das Mitgehen mit Innovationen ist nicht nur für einzelne Journalisten oder Branchen entscheidend. „Wenn Facebook einen Algorithmus ändert, ändert das auch etwas in uns. Studien kann man da kaum durchführen, sondern es braucht die Beobachtung durch Journalisten“, sagt Krachten. „Als Journalist muss ich ganz genau wissen was passiert.“ Für sich selbst. Für die Leser. Und für die Gesellschaft, angesichts einer Medienwelt, die in ihrer Schnelligkeit zu zersplittern droht.

Auch die Kritik ist heute und in Zukunft schnell. Ein Teilnehmer aus dem Plenum berichtete davon, dass aber gerade nach der Berichterstattung über das Germanwings-Unglück viele Hassbriefe an die Redaktionen bringen. „Werden wir nun zum Beichstuhl?“, fragte er.

„Ein Journalist, der sich nicht der Diskussion mit den Lesern stellt, wird in Zukunft nicht bestehen können.“

Laut Gründewald haben Shitstorms mehr mit dem Internet als Medium zu tun, die Art, wie Menschen aufeinander reagieren und Aufmerksamkeit schaffen können, als mit dem Journalismus an sich. „Es gibt Leute, die gelernt haben, das internet als Affektmasturbationsmaschine zu benutzen“, sagte Gründewald lakonisch. „Der erste Shitstorm ist anstrengend, doch danach geht es“, sagte auch Krachten. Er gehöre einfach dazu. Der Journalist der Zukunft stehe als Person für seine Veröffentlichungen, diskutiere sie als Person und würde auch als Person Shitstorm aushalten müssen.“Ein Journalist, der sich nicht der Diskussion mit den Lesern stellt, wird in Zukunft nicht bestehen können.“

 

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