Liest eigentlich überhaupt jemand den Lokalteil? Diese Frage kann kaum jemand besser beantworten als Carlo Imboden von Readerscan. Beim Kaminabend erzählte er, was Leser in Geschichten zieht und was sie rauswirft.
Wer montags den Lokalsportteil der Zeitung aufschlägt, sieht meist vor allem eine Sache: Zahlen, Zahlen, Zahlen. Manche verkleiden sich als Tabelle, andere nennen sich Texte, die den Ablauf eines Spieles erzählen. Spannung geht anders. Carlo Imboden kann das statistisch belegen: Die Lesequoten im Lokalsportteil sind oft unterirdisch. Als erste deutsche Zeitung nutzte die Main-Post aus Würzburg das Readerscan Verfahren, bei dem die Leser mit einem Stift die letzte Zeile des Artikels markieren, bis zu der sie gelesen haben. Ergebnis: Nur 3,5 Prozent der Leser eines Artikels im Lokalsport lesen bis zum Schluss.
Der Leser als unbekanntes Wesen
Aber warum produzieren die Redakteure derart an ihren Lesern vorbei? Imboden hat darauf eine einfache Antwort: Die Artikel würden eigentlich nicht für die Leser geschrieben, sondern für die Vereine, die sich repräsentiert sehen wollen. Deswegen orientiere sich die Berichterstattung an den Spieltagen, die der Saisonkalender vorgibt, und nicht daran, was die Leser eigentlich interessiere. „Wenn sie rein ereignisgetrieben über Sportkegler schreiben, erreichen sie nicht die breite Masse“, betont der Schweizer Medienforscher.
Die Leserschaft wolle nämlich gar nicht das Ergebnis vom Wochenende lesen oder den Vorbericht zum nächsten Spiel. Sie interessiere sich für die Themen, die einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt haben. Imboden plädiert deswegen dafür, die Artikel an Inhaltsfeldern wie z.B. Essen, Gesundheit, Arbeit oder Familie aufzubauen.
„Wenn sie ein Schlaf-Thema aufgreifen, geht das immer, egal ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissens- oder auf der Unterhaltungsseite. Das Thema spricht alle an. Bei Schlafen und Sport gibt es phänomenale Themen, die sie aufgreifen können: Wie schläft ein Basketballer, der 2,16m lang ist?“
Vom Ergebnis zur Geschichte
Aber wie soll das gelingen, wenn die Vereine nicht mitspielen und auf die klassische Berichterstattung pochen? Imboden empfiehlt, die Vereine in die Redaktion einzuladen und ihnen die Lesequoten der klassischen Artikel vorzulegen. Das habe bei mehreren Zeitungen gut funktioniert, weil die Vereine merkten, dass die andere Berichterstattung ihnen neue Mitglieder brachte. Imboden plädiert deswegen dafür, auf die Vereine zuzugehen und zu kommunizieren, dass sie der Zeitung Geschichten anbieten sollen – denn die gebe es in jedem Verein.
Den Sportteil umzukrempeln, ist ein langfristiger Prozess. Wer es schaffen will, müsse an vier Dingen arbeiten:
- Die Themenwahl
„Gehen Sie von den Bedürfnissen, Befindlichkeiten und Sorgen der Leser aus. Ich garantiere Ihnen, dass Sie dann zehn Mal mehr Leser auf Ihren Artikeln haben.“
- Der Spin der Geschichte
Niemals am Ort des Ereignisses beginnen, das sei langweilig und spreche höchstens Insider an. Ergebnisse – wenn sie denn überhaupt nötig seien – in Geschichten verpacken.
- Knackige Überschriften
Überschriften sollten informativ und attraktiv sein, also zwei Fragen beantworten: Worum geht’s? Warum soll ich das lesen? Dafür dürften laut Imboden auch Cliffhanger genutzt werden – wenn sie subtil seien. „Es ist ihr Auftrag, den Leser in die Geschichte zu ziehen.“ Klassische Lokalsport-Überschriften wie „Noch sieben Spiele bis Weihnachten“ oder „Die hohe Kunst des Fußballs“ würden die Leser abschrecken.
- Bilder, die Neugier wecken
Standbilder, wie eine Fußballmannschaft im Halbkreis vor dem Spiel, signalisierten dem Leser nicht, dass ihn eine spannende Geschichte erwarte. Imboden plädiert für Detailaufnahmen, die andere Perspektiven zeigen und neugierig machen. Beispiel: Die Neue Züricher Zeitung veröffentlichte ein Bild, das nur das halbe Gesicht eines Tennisspielers zeigte. Der Leser sah, wie er mit seinem Auge den auf ihn zufliegenden Ball fixierte. Das sei eine ungewöhnliche Perspektive gewesen, die Interesse geweckt und 90 Prozent der Leser in den dazugehörigen Artikel gezogen nhabe.
Wer den Sportteil auch für Nicht-Sportfans interessant machen wolle, müsse die Geschichten hinter den Ergebnissen suchen. Man solle dabei aber nicht gleich übertreiben und den klassischen Sportteil komplett streichen, ohne etwas Neues fest etabliert zu haben. „Wenn Sie den Lesern etwas wegnehmen, müssen Sie ihnen etwas erkennbar Besseres geben.“
Kann der Herr Imboden eigentlich etwas anderes als Plattitüden?
Wie man so einen Menschen für viel Geld ins Haus holen kann, ist mir bis heute ein Rätsel gewesen. Und nach diesem Beitrag noch mehr.
Lieber Herr Wraneschitz,
Herr Imboden hat sich beim Seminar im Format „Kaminabend“ geäußert, das einem lockeren Gespräch gleicht. Seine Äußerungen beruhen auf seinen Ergebnissen der Leserforschung.
Viele Grüße
Nicolas Rose