Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung), Marie Todeskino (Leiterin Digitale Lokale-Strategie bei Ippen-Media), Gerd Schneider (Chefredakteur des Donaukuriers in Ingolstadt) und Annika Sehl (Professorin für Journalismus mit Schwerpunkt Medienstrukturen und Gesellschaft, KU Eichstätt-Ingolstadt) (Foto: Marcus Klose/drehscheibe)
Das erste Podium des 26. Forums Lokaljournalismus widmete sich sogleich einem der brennendsten gesellschaftlichen Themen der Zeit: „Polarisierte Debatten: Was kann und soll Lokaljournalismus in Zeiten der gesellschaftlichen Spaltung leisten?“ Auf dem Podium vertreten waren Gerd Schneider, Chefredakteur des Donaukuriers aus Ingolstadt, Prof. Dr. Annika Sehl, Professorin für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, und Marie Todeskino, Leiterin Digitale Lokal-Strategie bei Ippen-Media. Moderator war Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
Die Diskussion umfasste ein weites Feld, es ging um die mögliche gesellschaftliche Spaltung, die aufgeladene Stimmung im Land, um Echokammern genauso wie um die Gefahren von Desinformation oder die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz.
Krüger zitierte zunächst aus der repräsentativen Studie „Wie wir wirklich leben”. Die Studie habe gezeigt, dass die Mehrheiten in unserem Lande hinter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stünden, aber die Akteure hinter der Grundordnung infragegestellt würden, sagte Krüger. Er wollte von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wissen, wie sie es einschätzten.
Thomas Krüger im Interview mit der drehscheibe:
Gerd Schneider vom Donaukurier meinte, die Menschen seien ganz offensichtlich nicht mehr so leicht mit der Kraft der Argumente zu erreichen. Beispiel Bauernproteste: Die Zeitung sei „mitverhaftet“ worden fürs Regierungshandeln. Es gehe um „Affekt und Ressentiments“, das habe er anhand von Gesprächen mit Bauern gesehen.
Die Forschung unterscheidet nach Sehl zwischen „ideologischer Polarisierung“, die nicht per se negativ sei, sondern Bestandteil einer demokratischen Gsellschaft, und der problematischen „affektiven Polarisierung“. Die liege zum Beispiel vor, wenn Personen oder Personengruppen sich gegenseitig rundheraus ablehnten. Sehl zufolge sehe man aber in unserer Gesellschaft noch eine große „Überlappung“, d.h. die Menschen hätten noch viele Kontakte untereinander im Alltag etc., die einen Austausch ermöglichten.
Todeskino indes meinte, neue Technologien könnten in dieser Frage gute und schlechte Auswirkungen haben. Als Beispiel nannte sie Facebook. Anfangs habe das Netzwerk für positive Vernetzung der Menschen untereinander gesorgt, inzwischen sei die Entwicklung problematisch, man müsse sich ja nur die Kommentarfunktionen ansehen.
Affektive Aufladungen
„Gibt es eine strukturelle Verzweiflung im Lokalen angesichts der Entwicklung von Social Media?“, fragte Krüger anschließend in die Runde. Schneider meinte, ab einem gewissen Punkt lohne es sich nicht, in Online-Diskussionen einzusteigen. Was ihm zu denken gebe, sei die „affektive Aufladung der Debatten“, die selbst bei Stammlesern im Alter ab 50, 60 Jahren, auch bei Menschen aus dem gebildeten Bürgertum, zu bemerken sei. Als Beispiel nannte er einen Kommentar zur Rolle des Papsts, die er geschrieben habe. Anschließend sei er beleidigt worden: „Sie sind ein armseliger Schreiberling, dem man das Handwerk legen sollte“, hieß es etwa.Krüger wollte wissen, wer schon etwas Ähnliches erlebt habe. Daraufhin hoben sich zahlreiche Hände der Anwesenden.
In den Echokammern
Müssten die digitalen Diskussionsräume nicht stärker hinterfragt werden, z.B. wegen der Anonymität, die dort herrsche? So achte man ja im analogen Raum auf Höflichkeit, Zurückhaltung etc., im Netz hingegen nicht, sagte Krüger.
Todeskino erzählte daraufhin aus dem Redaktionsalltag. Wenn man zum Beispiel Leser anrufe, die sich zuvor aggressiv geäußert hätten, seien die lötzlich höflich und nett. Zeitungen sollten sich keinesfalls aus den Netzwerken zurückziehen. Journalistinnen und Journalisten sollten aber viel mehr vor Ort sein, Reporter müssten auf die Straße, und es könnten Events und Veranstaltungen organisiert werden etc. „Das wird eine der großen Aufgaben sein“, betonte sie.
Schneider meinte, wichtig sei es, dass man als Zeitung keine Krisenstimmug ausstrahle. Stichwort „konstruktiver Journalismus“. Auch er betonte, Lokaljournalisms ließe sich nicht vom Schreibtisch aus machen.
Gleichzeitigkeit von Krisen
Angesichts der vielen gleichzeitig stattfinden Krisen, wie etwa in Nahost und der Ukraine, seien die gesellschaftlichen Vermittler überfordert, sagte Krüger. Was könne getan werden? Sehl meinte, es sei wichtig, Hintergründe und Kontexte zu vermitteln, das könne eine Aufgabe von Wissenschaft sein. Schneider sprach sich entschieden gegen „Haltungsjournalismus“ aus. Damit tue man „bestimmten Lesern“ nur einen Gefallen. Man habe zuviel Haltungsjournalismus betrieben, etwa wenn man bewusst nicht über AfD-Kandidaten berichtet habe. Es gebe Orte, wo die AfD 20, 25 Prozent der Wähler gewinne. Das könne man nicht ignorieren. Man müsse unvoreingenommen auch über die AfD berichten. Dabei sei allerdings die Trennung von Berichterstattung und Kommentar extrem wichtig. Man müsse sich als Lokaljournalisten auch selbst hinterfragen.
Potenzial von Künstlicher Intelligenz
In der nächsten Runde ging es um das Potenzial von Künstlicher Intelligenz. KI mache ihr große Hoffnung für den Lokaljournalismus, sagte Todeskino. Vor allem wegen der Nähe zu den Menschen. Man müsse schauen, wo man efektiv Zeit sparen könne, wo KI helfen könne. Dann müsse man entscheiden, wofür man diese Zeit verwenden könne. Dabei gebe es Formen, für die KI nicht geeignet sei, wie etwa z.B. Live-Berichterstattung etc. Das betonten Todeskino und Sehl.
Kritische Diskussion
Schließlich öffnete Krüger die Diskussion auch fürs Publikum. Dabei erhielt Schneider zunächst Widerspruch zu dem, was er zum Umgang mit der AfD gesagt hatte. Eine Teilnehmerin meinte, man könne nicht eine „erwiesenermaßen rechtsextreme Partei“ genauso behandeln wie andere. Das stoße Menschen mit Migrationshintergrund vor den Kopf.
Kritik gab es auch am Begriff der Polarisierung. Eine Kollegin meinte, es gehe nicht darum, sich auf eine Seite schlagen zu müssen. Man müsse schreiben, was ist, und es abbilden. Deshalb berichte man auch über die AfD, ausblenden der AfD würde Journalismus unglaubwürdig machen.
So schloss das Podium mitkritischen Anmerkungen aus dem Auditorium. Die Diskussion machte Lust auf die kommenden Tage in Eichstätt und Ingolstadt.