Forum Lokaljournalismus 2025
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Radikal zuhören für neue Perspektiven

Wie können Journalistinnen und Journalisten auf neue Themen kommen und neue Perspektiven einnehmen? Darum ging es am Donnerstagnachmittag im Workshop „Raus aus der Bubble: Neue Zielgruppen gewinnen“ mit Astrid Csuraji von tactile.news (Lüneburg).

Bild: Astrid Csjuraji, tactile.news (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

Radikales Zuhören

Zunächst wollte Csuraji wissen, welche „gesellschaftlichen Blasen“ die anwesenden Journalistinnen und Journalisten gerne besser erreichen wollen. Genannt wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern etwa junge Familien, Menschen, mit einer Affinität für Verschwörungserzählungen, die Generation Z und Menschen mit Migrationsgeschichte. Um mit Menschen aus anderen Bereichen ins Gespräch zu kommen, sei es wichtig herauszufinden, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe man eigentlich selbst gehört. „Was ist mein Netzwerk? Wie lautet meine Sicht auf die Dinge?“, fragte Csuraji in die Runde. Die Journalisten sollten sich bewusst machen, dass es oft einfacher sei, sich mit Menschen zu unterhalten, die einem selbst ähnlich sind. Mit dieser Erkenntnis sei es wiederum einfacher, aus der eigenen Blase auszubrechen.

Um von potenziellen neuen Userinnen und Usern zu erfahren, welche Themen sie bewegen, müssten Journalisten den Dialog suchen, hob Csuraji hervor. Sie müssten sich wieder mehr Zeit nehmen, um „radikal zuzuhören“. Die Kursleiterin fragte die Teilnehmer danach, wie ihre Redaktionen derzeit versuchen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und von ihren Bedürfnisse zu erfahren. Die Redaktionen laden etwa zum Gespräch in die Redaktion ein, zeigen als Pop-Up-Redaktion Präsenz bei Events, werten User-Feedback auf Newsletter aus, befragen Fokus-Gruppen oder machen Umfragen.

Dialog als Kampagne

Redaktionen müssten dahin gehen, „wo die Leute sind“, betonte Csuraji. Sie stellte eine Dialog-Kampagne vor, die tactile.news 2019 für die Landeszeitung für die Lüneburger Heide umgesetzt hat. Attraktive Events seien ein gutes Mittel, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, meinte sie. In Lüneburg gab es etwa das Angebot, mit dem Bürgermeister Ulrich Mägde (SPD) einen Kaffee zu trinken. Mehr als drei Stunden lang stellte er sich auf einem Sofa auf einem öffentlichen Platz den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere bei jungen Menschen sei die Aktion gut angekommen, resümierte Csuraji.

Technologische Hilfsmittel

Csuraji beschrieb weiterhin, wie tactile.news auf Technologie zurückgreift, um die Bedürfnisse potenzieller Nutzerinnen und Nutzer zu erfahren. Im Jahr 2022, ein Jahr nach der Flutkatastrophe, kam erstmals ein „Zuhörmöbel“ im Ahrtal zum Einsatz. In Zusammenarbeit mit Radio Euskirchen stellte tactile.news ein Möbelstück in der Region auf, bei dem Interessierte dem Sprachassistenten Alexa von sich und ihren Sorgen und Nöten erzählen konnten.

Die Dialogbank auf dem Forum Lokaljournalismus (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Die Dialogbank auf dem Forum Lokaljournalismus (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)

2023 wurde das Zuhörmöbel zur Dialogbank weiterentwickelt. Der Betatest erfolgte bei einer Kooperation mit der Mitteldeutschen Zeitung, dabei wurde erstmals auch KI-Technik verwendet. 2024 wurde die Dialogbank auch in Aachen aufgebaut. Die KI stellte Menschen, die den auf der Bank angebrachten Telefonhörer ergriffen, Fragen, die sonst bei Straßenumfragen nicht gestellt werden. Die Dialogbank biete die Möglichkeit, Leuten zuzuhören, die sich sonst nicht auf den Kanälen der Zeitungen äußern, erklärte Csuraji. Die Antworten der Menschen wertet die KI in einer Tabelle aus. (Über das Thema KI sprach die drehscheibe mit Jacob Vicari von tactile.news.)

Die richtigen Fragen am richtigen Ort

Spielerisch ging es im Workshop weiter. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten sich nun konkrete Personen überlegen, mit denen sie gerne einmal sprechen wollen. „Welcher Mensch gibt deiner Arbeit eine Perspektive, weil du etwas lernst, was du nicht weißt?“, stellte Csuraji als Ausgangsfrage. Dazu sollte jeder drei Eigenschaften der von ihnen erdachten Figur nennen. Am häufigsten genannt wurden dabei Mütter mit zwei Kindern im Alter zwischen 35 und 45 Jahren sowie jüngere Menschen im Alter von Anfang bis Mitte 20.

Anschließend sollten die Journalistinnen und Journalisten sich einen geeigneten Ort für das Gespräch überlegen. Die Einladung in die eigene Redaktion war dabei tabu. Als Fragesteller sollten die Teilnehmer nicht selbst „Hausherr“ oder „Hausherrin“ sein. „Stellt eure Fragen dort, wo es für die jeweilige Person angenehm ist“, schlug Csuraji vor.

„Jeder von euch soll mit einer guten neuen Idee nach Hause gehen“, hatte Csuraji zu Beginn des Kurses als Ziel ausgegeben. Am Ende dürfte ihr Plan aufgegangen sein: Die anwesenden Journalistinnen und Journalisten zeigten viel Engagement und ehrliche Selbstreflexion und formulierten abschließend, welche neuen Ideen sie in den Redaktionsalltag mitnehmen.

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