Modellseminar Web 2.0 2011

Sehen, hören, riechen – Wie gelingt die Multimediareportage für alle Sinne?

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Bild: Henning Homann/Flickr

Wie packt man den Leser im Netz? Auf welchen Kanälen spricht man ihn an? Simon Kremer sagt: Auf allen! Kremer ist nicht nur der erste Referent des heutigen Seminartages, sondern auch Redakteur beim www.soukmagazine.de, einem multimedialen Gesellschaftsmagazin für den Orient. Es bietet wöchentliche Reportagen, kostenfrei zur Verfügung gestellt von freien Autoren, erzählt in Wort, Bild, Film & Ton. Der Multimedia-Mann will den Print-Leuten vor allem die Scheu vor den neuen Erzählwegen nehmen.

Kremers These: Man darf die Online-Chance nicht ungenutzt lassen. Eine gute Geschichte sei eine gute Geschichte, egal ob auf print oder online, wobei sie sich online vielfältiger erzählen lasse. Das Internet biete neue Kombinationsmöglichkeiten. Laut Kremer „entgrenzt“ es den Journalisten von bisherigen Vorgaben zu Text- oder Beitragslänge. Es entgrenzt auch bezüglich der Reichweite, da Facebook, Twitter & Co neue Leserschaften erschließen, die zuvor unerreichbar waren. Kremer sagt: Die Chancen, die das Internet bietet, werden von J0urnalisten und Medienhäusern bislang zu zaghaft genutzt.

Und wie geht der multimediale Onlinejournalismus?

Kremer erzählt von seiner Arbeit, zeigt beeindruckende Beispiele. Wenn er loszieht, ist seine technische Ausstattung überschaubar: eine Spiegelreflexkamera, mit der auch gefilmt werden kann. Vielleicht noch ein Mikro „für 17 Euro“. Viel mehr braucht es nicht. Grundsätzlich sei guter Ton wichtiger als gute Bilder. Wackelnde Bilder würden verziehen, schlechter Ton nicht.

Wie gut muss Multimedia sein?

Eine Grundfrage lautet: Welche ästhetische Qualität muss ein multimedialer Beitrag haben? Wie gut muss er gemacht sein? Kremer zeigt eine gefilmte Umfrage, die , so eine Teilnehmerin, “ schon fast Kunst ist“. Aber: Lässt sich solche Kunst lokal machen? Teilnehmer haben da so ihre Zweifel. Es sei bei Straßenumfragen oft schwierig, überhaupt Aussagen zu bekommen, sagen sie. Und aus oft dürren Worten dann fesselnde Kunst machen? Ein Teilnehmer jedoch berichtet aus eigener Erfahrung: Es geht. Zumindest Ansprechendes könne gelingen. Das habe in seiner Redaktion eine Videoumfrage zum Thema „Erinnerung an den ersten Schultag“ gezeigt.

Wie ausdauernd ist der Online-Nutzer?

Kremer widerspricht der These, die man gerade aus Online-Redaktionen häufig hört. Sie heißt: Im Internet muss alles kurz und knapp sein.  Kremer hat hingegen festgestellt: Im Internet werden auch ausgesprochen ausführliche Beiträge gelesen/angesehen – wenn sie denn gut gemacht sind und eine gewisse Führung bieten. Die Verweildauer des Nutzers sei für ihn jedoch „weniger wichtig“, so Kremer. Viel bedeutender sei die Geschwindigkeit der Verbreitung des Beitrags, z. B. über facebook & Co.

Welche multimedialen Formate sind denkbar?

Kremer zeigt Beispiele. Den Auftakt macht das Video. Das Drehen muss man laut Kremer lernen wie das Schreiben. Videoreportagen seien aber auf jeden Fall „auch für klassische Lokalgeschichten“ tauglich. Man müsse nur „ein bisschen technikfirm“ sein. Allerdings sei das Erstellen eines Videos „ein bisschen aufwändiger“ als Print.  Kremers Videoreportagen laufen jedoch nur im Netz, es gibt kein textliches Gegenstück, keinen Rückfluss in die Printausgabe. Dies sei jedoch möglich, wenn man wolle, so Kremer. Man könne sich für Print beispielsweise einzelne Aspekte aus dem multimedialen Onlineinhalt zum Nacherzählen in der Zeitung herauspicken.

Der Diaabend im Netz

Zweite Möglichkeit, die Kremer vorstellt: Die Audioslideshow, der „Diaabend“ für den Internetnutzer. Kremer spricht von der „Köndigsdiszplin“.  Die Audioslideshow sei direkter als der blanke Text, brauche keine großen Worte – aber eine „starke emotionale Geschichte“. Der Journalist müsse sich dabei damit anfreunden, nicht der alleinige Erzähler zu sein, sondern auch ein ordentliches Stück Gestaltungskompetenz an den Darsteller abzutreten. Wichtig: ein Erzähltempo, das zum Bilderfluss passt.

Grundsätzlich gibt es laut Kremer beim multimedialen Journalismus viele mögliche Erzählhaltungen, von der blanken Bilderstrecke, die mit Tonsequenzen vom Geschehen hinterlegt ist, über das Hinterlegen mit Erzählung bis zur aufwändigen Kombination von O-Tönen, Hintergrundgeräuschen und eigenen Kommentaren.

Wie packt man es an?

Am einfachsten ist es laut Kremer, erst ein Interview zu führen, und danach die passenden Bildmotive zu suchen. Man könne den Protagonisten aber auch begleiten und dabei Bilder sammeln. Später dann zeigt man dem Darsteller die Bilder und lässt ihn dazu die Geschichte erzählen. Wichtig: Man muss sich den Protagonisten passend zur Beitragsform aussuchen. Ein heftiger Stotterer im Videointerview sei eher ungünstig, so Kremer. Auch ein beliebter Fehler:  Ton-/Bild-Scheren. Auch zwanghaftes Streben nach durchgehender Beschallung des Internetnutzers ist laut Kremer Käse. Man solle Denkpausen des Protagonisten auch mal „einfach aushalten, und wenn es 20 Sekunden sind“.

Was die Technik angeht, äußert ein Teilnehmer seine Zweifel, ob man sich beim Kampf mit Kamera und Mikro überhaupt noch auf die Geschichte einlassen kann. Kremer dazu: Übung macht den Meister. Ihm selbst bereite das Bedienen der Technik keinerlei Probleme mehr.

Wer soll das machen?

Die Runde ist recht angetan von den Beispielen, die Kremer zeigt. Allerdings kommt recht schnell die Frage, die zu erwarten war: Wer soll das machen? Die Redaktionen laufen vielfach am Limit, die personelle Ausstattung passt nicht zu den Ansprüchen bezüglich des Internetauftritts. Ein Generalrezept hat in der Runde niemand parat. Auch das war zu erwarten.  Einzige Hoffnung, die Seminarleiter Lutz Feierabend hat: Der technische Fortschritt könnte künftig Zeitersparnis bringen.  Weitgehend einig ist man sich wohl, dass diejenigen Zeitungshäuser, die sich der multimedialen Herausforderung stellen wollen, auch die finanziellen Herausforderung nicht scheuen dürfen. Wie die aussehen kann, macht Kremer an einem Beispiel deutlich: Eine Videoreportage in der von ihm gezeigten Qualität braucht etwa zwei Arbeitstage. Tagessatz: 250 Euro.

1 Kommentare

  1. Meine Teilnahme am Seminar musste ich leider kurzfristig absagen, weil ein Kollege überraschend krank wurde.
    Aber auf diesem Wege kann ich wenigstens die Inhalte verfolgen.
    Vielen Dank dafür!!!

Kommentare sind geschlossen.