Redaktionskonferenz "Wir lieben Lokaljournalismus" 2017

Innovatives aus dem Lokalen: Best Practice 2017

Was gibt es Neues im Lokalen? Was sind die wegweisenden lokaljournalistischen Projekte und Produkte im Jahr 2017? Stichwort: Best Practice. Auf der Redaktionskonferenz „Wir lieben Lokaljournalismus“ wurden am Freitag ganz unterschiedliche Ansätze präsentiert.

Datenjournalismus: So visualisiere ich Daten interaktiv

Da sind zum einen die Daten. Lorenz Matzat, Journalist und Softwareunternehmer hat am Freitag ein paar positive Umsetzungsbeispiele mit nach Berlin gebracht. Ein gelungener Daten-Beitrag sei etwa der „Funkloch-Atlas“ der Heilbronner Stimme, der mit dem – mittlerweile ja ein Standard – Tool „Carto“ erstellt wurde. „So etwas kann man eigentlich überall machen“, sagte Matzat am Freitag in Berlin. Die Daten gäbe es für die ganze Bundesrepublik und ein solcher Atlas sei einfach umzusetzen. „Das lässt sich in ein paar Stunden für die eigene Region nachmachen“, so Matzat. Vorteil hierbei sei die extreme Nähe des Themas zur Lebensrealität der Menschen – oder wer hat sich noch nie über ein nerviges Funkloch auf der morgendlichen Pendelstrecke geärgert? Und natürlich lassen sich aus den Ergebnissen auch weitere Berichte generieren. Ein Riesen-Funkloch zwischen Ort X und Ort Y – dem kann man ja mal auf den Grund gehen …

Ein anderes Positivbespiel, das Matzat am Freitag mit nach Berlin gebracht hat, ist eine Karte von Berlin, auf die die Kriegsschäden der syrischen Stadt Aleppo optisch übertragen wurden. „So kann man internationalen Konflikt zumindest ansatzweise nachvollziehbar machen“, so Matzat. Andere „Anwendungsbereiche“ seien etwa Umweltkatastrophen wie Waldbrände. Nach dem Stichwort: Wie würde den so etwas in unserer Region aussehen?

„Man muss es Menschen einfach machen, durch die Daten zu navigieren“ (Lorenz Matzat)

Kein Best Practice ist in Matzats Augen hingegen der OP-Atlas des WDR: In diesem sind etwa die Entferungen zu Krankehäusern visualisiert und man kann sich ein Bild davon machen, wie die Gesundheitsversorgung in den deutschen Regionen aussieht. „Inhaltlich“, so Matzat, also von der Recherche her, sei das Projekt sehr gut – die Präsentation lasse allerdings „zu wünschen übrig“. So etwas in einem nicht allzu aktuellen CMS umzusetzen, empfiehlt der Journalist daher nicht. „Man muss es Menschen einfach machen, durch die Daten zu navigieren“, so Matzat.

Er empfiehlt zudem ein systematisches Vorgehen, ein systematisches Bergen des Datenschatzes, den man in der Redaktion vorliegen hat. Matzats Plädoyer also: Investieren Sie in redaktionsinternes Wissensmanagement: „Systematisieren Sie das, was Sie da tun“. Daten, die einmal verwendet wurden, müssten einfach und schnell wieder aufrufbar sein.

Eine andere Empfehlung: Auch mal den Mut haben, klein zu denken. Es müsse nicht immer ein Leuchtturm sein, sondern gerne auch mal ein kleines, nettes Datenprojekt, für das man nicht Wochen, sondern vielleicht nur einen Tag für Recherche und Umsetzung braucht.

So gehen Videos im Lokalen

Und dann sind da die Videos. Alle wollen sie, alle versuchen sich daran – aber was zeichnet eigentlich gute Videos aus? Wann werden sie geklickt? Meike Rost, Art-Direktorin Video bei der Main-Post, erzählt, wie sie bei ihrer Zeitung die Videoberichterstattung deutlich ausgebaut und angefangen hat,verschiedene Arten von Videos zu machen – und machen zu lassen. „Wichtig ist für uns bei Videos der Mehrwert“, so Rost. Man wolle nicht einfach noch einmal das Gleiche machen, was auch schon im Artikel steht. „Wir wollen mit den Videos Leute erreichen, die für uns eigentlich nicht mehr zu erreichen waren“. Also: Die Marke stärken. „Bislang“, so Rost, „hatten kaum Leute in der Region die Main-Post mit Videos in Verbindung gebracht“.

„Wir erreichen mit diesen Videos viel mehr Leute als mit Bildergalerien“ (Meike Rost)

Und wer dreht die Videos? Auch und vor allem die Leute in den 16 Lokalredaktionen selbst. Sie wurden mit iPhones ausgestattet und geschult, die Chefredaktion hat ihnen einen „digitalen Werkzeugkasten“ zur Hand gegeben, wie Rost sagt. „Alle Redakteure bei uns mussten diese Schulung machen“. Format, Ausschnitt, Perspektive, Dauer – das alles wurde erlernt. Auch um die Scheu vor dem Medium „Video“ zu nehmen. Ach die Fotografen wurden geschult, damit sie auch mal Videos machen: „Wir haben gemerkt, das wir mit diesen Videos viel mehr Leute erreichen als mit Bildergalerien.“

Rost ist für alle Ansprechpartnerin, Koordinatorin, aber auch selbst Video-Produzentin. Und das Ergebnis? Im Schnitt 25.000 Aufrufe erreicht  die Main-Post mit ihren Videos mittlerweile. Allein der „Punkt Monetarisierung“ sei noch ein „riesengroßes Fragezeichen“. Hier geht es zu den Videos der Main-Post.

Nürnberger Nachrichten im Labor: Wie wir Lokaljournalismus optimieren

Die Frage nach dem Geld haben sich auch die Nürnberger Nachrichten gestellt. „Wir müssen gucken, dass wir digitale Produkte auf die Straße bringen, mit denen wir auch Geld verdienen“, so Chefredakteur Michael Husarek am Freitag. Deshalb ist die große Tageszeitung aus Franken in Kooperation mit dem lokalen Fraunhofer-Institut mitten in die Stadt gegangen und in einem „Innovationslabor“ zwei geplante Produkte – eine digitale Abendzeitung und eine personalisierte App – „getestet“ – beziehungsweise die Meinungen dazu. 244 Menschen beantworteten eine längere Befragung zu ihrem Medienkonsum. Die Erkenntnisse waren: „ernüchternd aber interessant“, wie Husarek sagt. Die Befragten hätten der Zeitung gespiegelt, dass man die geplanten Produkte anders denken müsse, dass niemand aus der jungen Generation gewillt sei, für ein in sich geschlossenes Produkt am Abend Geld auszugeben. Und: „Wir sind durch diese Aktion nahbarer geworden – und nicht die große alte Tante Tageszeitung mehr“.

„Uns wurde gespiegelt: Macht nichts oberhalb der 10-Euro-Schwelle“ (Michael Husarek)

Auch ein hochpreisiger Einstieg kam bei den jungen Befragten nicht gut an. „Macht nichts aber auch gar nichts oberhalb der 10-Euro-Schwelle – mit dieser These sei man aus den Befragungen herausgegangen. Das Produkt wird jetzt also neu gedacht – und soll 2018 auf den Markt kommen. Auch an der App wird weiter gefeilt. Auch hier sei kein abgeschlossenes Produkt nur mit spezifischen Informationen gewünscht. „Die Leute sind sich ihrer Filterblasen sehr bewusst und wünschen sich neben den Fachthemen ein Grundrauschen an Nachrichten“, fasst Husarek das Befragungsergebnis aus dem Lab zusammen. Ausbauen wolle man auf jeden Fall auch die Gastro-Berichterstattung. Und mit dem Fraunhofer-Institut wollen die Nürnberger Nachrichten weiter zusammenarbeiten. Husarek: „Ich glaube es geht nicht ohne externen Sachverstand.“

Mobil, leicht, jung: So funktioniert „Sieben“

Jüngere Menschen als bisher erreicht die Hessische Niedersächsische Allgemeine aus Kassel mit ihrem mobil optimierten Online-Magazin „Sieben“. Ursprünglich als Sonttagsmagazin gedacht, erscheinen auf dem Portal mittlerweile jeden Tag neue Beiträge. Die Optik ist magazinig – ohne störende Anzeigen.

„Wir wussten: ein Gemischtwarenladen taugt nix.“ (Jens Nähler)

Inhaltlich fokussiert sich „Sieben“ auf weichere, skurrilere, emotionalere und nutzertigere Themen, erklärte Jens Nähler, Leiter Online-Redaktion und Mitglied der HNA-Chefredaktion am Freitag. Das heißt auch: Keine Blaulichtgeschichten, keine Exklusivinformationen im harten nachrichtlichen Bereich. „Damit würden wir `Sieben` verwässern, ist sich Nähler sicher. Klickt man sich auf „Sieben“, findet man Überschriften wie „Das Tagebuch von Trecker Willi: Ein Mann fährt seinen Weg“ oder „Davon kann man nicht genug essen: Hörnchen aus Frischkäseteig von der Nordhessin“.

Die Inhalte werden aus den 14 Lokalredaktionen zusammengeklaubt und neu aufbereitet – 10 bis 15 Beiträge im Monat werden eigens für das Portal erstellt. Viele Anregungen von Leserinnen und Lesern sowie lokalen Bloggern, die auch bei „Sieben“ mitarbeiten, seien in die Seite eingeflossen und seit einem Monat kostet die Nutzung von „Sieben“ 2,90 Euro im Monat – „klassische“ HNA-Abonnenten bezahlen nichts. Rund 50 Abonnenten habe man in den letzten Wochen für „Sieben“ gewinnen können. „Wir wollen das Bewusstsein dafür stärken, dass die Inhalte wertig sind und wir sie nicht einfach so raushauen“, so Nähler zuversichtlich. Und: ein bisschen Content-Marketing soll es freilich auch geben.

Zusammen sind wir stark: Darum nutzt die Kooperation mit Correctiv

Geht es um Kooperation mit dem gemeinnützigen Recherchenetzwerk Correctiv, dann ist Publisher und Geschäftsführer David Schraven der richtige Ansprechparter. Er hat die Zeitungsmacherinnen und -machern am Freitag in Berlin dau eingeladen, sich aus dem Recherche-Bauchladen Correctivs zu bedienen. Zum Beispiel könnte man sich die Karte „Die Mafia in Deutschland“ anschauen und sich dann an das Berlin-Essener Recherchenetzwerk wenden. Man könne einfach nach den regionalen Daten und Kontakten fragen – und bekomme sie dann kostenlos (Correctiv ist gemeinnützig). Oder man widmet sich der Karte zur Nitratbelastung in NRW. Correctiv leistet also die Datenaufbereitung und man selber könne darauf basierend lokale Geschichten machen, erklärte Schraven.

Der Mehrwert einer Kooperation mit Correctiv sei eben, dass das Recherchenetzwerk viel Vorarbeit leisten könne. So etwa im Fall eines Apothekers aus dem Ruhrgebiet, der jahrelang Krebsmedikamente gepantscht haben soll. Eine klassische lokale Geschichte – die aber bundesweit interessant sei. „Wir sind in der Lage, uns auf Themen zu konzentrieren und da richtig Kapazitäten draufzuschmeißen“, so Schraven. Zwei Leute kümmern sich um Recherche zum Krebsmedikamente-Fall und direkt neben der Apotheke soll gar eine Rechercheredaktion eröffnet werden, um mit Betroffenen in Kontakt zu kommen. „Eine Lokalredaktion dürfte damit große Probleme haben, sich mit drei Leuten für sechs Wochen in so eine Spezialredaktion zu setzen“, so Schraven. Correctiv könne sich darum kümmern. Und Hintergrundbeiträge zu medizinischen Begriffen zum Beispiel könne sich jeder einfach von der Correctiv-Seite ziehen.

Und dann sind da noch die Auskunftsrechte, zu denen man sich bei Correctiv online selbst fortbilden kann.

Auf dem Podium saßen:

Moderation: