"Wie wollen wir leben?" - Modellseminar Wirtschaft 2016

Lokale Wirtschaft mit Konzept

Was macht eine gute lokale Wirtschaftsberichterstattung aus? „Die Leser möchten das Stadtgespräch abgebildet haben“, ist einer von vielen Tipps, die Anke Vehmeier am Dienstag in Augsburg für die anwesenden lokalen WirtschaftsjournalistInnen parat hat. Die Schließung der Firma XY, der geplante neue Windpark, das neue Einkaufszentrum – all das seien Themen, die im lokalen Wirtschaftsteil abgebildet werden müssten.

Das freilich ist vielen klar. Aber: „Die Leser wollen auch, dass wir an den Themen dranbleiben“, so Vehmeier: „Wir müssen sie auf dem Laufenden halten, selbst wenn nichts passiert“. Und wo das noch nicht konsequent gemacht werde, müsse man sich auch einmal wagen, die Strukturen der Berichterstattung zu verändern.

Anke Vehmeier

Anke Vehmeier

Folgende Fragen sollte man sich den eigenen Wirtschaftsteil betreffend deshalb einmal stellen: Beherrscht die Textform des Berichts die Seiten oder ist die eigene Wirtschaftsberichterstattung in dieser Hinsicht abwechslungsreich genug? Wird mit den verschiedenen journalistischen Instrumenten gespielt? Und, ganz wichtig: Blickt man auch mal über den Tellerrand? „Die Grenzen des Erscheinungsgebiets entsprechen nicht den Grenzen der Berichterstattung“, so Vehmeier. Die Lebensrealität der Menschen mache an diesen Grenzen nicht Halt – und das sollte die Lokalzeitung deshalb auch nicht tun. Zumindest nicht immer.

Wer liest die eigene Zeitung?

Grundlegend für eine gute lokale Wirtschaftsberichterstattung sei zudem natürlich: LokaljournalistInnen müssen ihre Leser ganz genau kennen – sonst schreiben sie an deren Interessen und Bedürfnissen vorbei. Wo uns wie leben sie? Wo und wie verbringen sie ihren Alltag und ihre Freizeit? Wie sieht die Bevölkerungsstruktur aus? Wie hoch sind die Einkommen – und wie schaut es mit dem Bildungsgrad aus?

Hat man diese Dinge im Blick und braucht dennoch mal eine frische Themenidee, könne man sich ja zum Beispiel die drehscheibe zur Hand nehmen, so Vehmeier. Mit vielen Best-Practice-Beispielen zum Thema sei das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Lokaljournalismusmagazin ein geeigneter Fundus für Anregungen. So seien unter dem Stichwort Wirtschaft alleine rund 750 Artikel im Archiv der drehscheibe zu finden. Schaut man sich die vom drehscheibe-Team vorgestellten Beiträge durch, so wird auch klar: Es tut den Geschichten über lokale Wirtschaft gut, wenn sie ab und an auch einmal etwas menscheln. „Man muss immer mal wieder gucken, wie kriege ich das Menschliche an die Geschichten dran“, so Vehmeier. Und natürlich der Service – der sollte im Wirtschaftsteil stets mitgedacht werden. Auch hier gibt es drehscheibe-Material – auch in Form einer Videoserie.

Vorbild „Augsburger Allgemeine“

Best Practice – das ist es auch, was die Augsburger Allgemeine in ihrem Wirtschaftsteil bietet. Das findet auf jeden Fall Berthold L. Flöper. Die Augsburger Allgemeine produziere „einen der vorbildlichsten lokalen Wirtschaftsteile“ im Land, so der Leiter des Lokaljournalistenprogramms der bpb.

Daniela Hungbaur

Daniela Hungbaur

„Das was sich wirtschaftlich in den Regionen tut, hat bei uns immer Vorrang“, erklärt daraufhin Wirtschaftsredakteurin Daniela Hungbaur das Konzept der Zeitung, die mit 16 Lokalausgaben und einer Reichweite von täglich 800.000 LeserInnen zu den großen publizistischen Playern in Süddeutschland zählt. Dabei arbeiteten die LokalredakteurInnen mit den vier KollegInnen aus dem Überregionalen – wozu auch Hungbaur zählt – „Hand in Hand“. Klar, dass es auch in Augsburg nicht immer einfach ist, die Zuständigkeiten einwandfrei zu klären und zu entscheiden, wo eine Story laufen soll und kann. Bei einem Thema wie der Übernahmeschlacht um den Roboterhersteller Kuka etwa habe man teilweise zwei Ansätze finden müssen – einen fürs Lokale und einen für den Mantel: „Das ist schon eine Herausforderung“, so Hungbaur.

Interessieren würden sich die LeserInnen in und um Augsburg übrigens besonders für Energiethemen – und für Verbrauchertipps. Die montags erscheinende Verbraucherseite „Geld und Leben“ sei gar die bestgelesenste Seite der Zeitung. „Wirtschaft ist das ganze Leben“, stellt Hungbaur die Bedeutung des Ressorts auch für lokale Medien heraus. Deshalb interessierten sich die Leute – wenn man die Inhalte gut aufbereitet – auch dafür. Das sorgfältige Aufbereiten ist dabei in Hungbaurs Augen existenziell: „Erst dann wenn Sie die Zahlen übersetzen, wird eine gute Geschichte draus“. Dafür müsse man jedoch zum Beispiel Bilanzen lesen. Wenn man das könne, werde man auch von niemanden aus dem PR-Bereich so schnell „vor den Karren gespannt“.

1 Kommentare

  1. Das dicke Lob für die Wirtschaftsredaktion der Augsburger Allgemeinen teile ich uneingeschränkt. Die Redaktion macht einen sehr guten Job.

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