Weiterdenken, Grenzen verwischen und doch die Gesetzmäßigkeiten der Sozialen Netzwerken kennen: Im Gespräch mit Schiwa Schlei, der Onlinechefin von 1Live und Funkhaus Europa.
Frau Schlei, in ihrem Vortrag hat eine Ihrer Fragen sehr zum Nachdenken angeregt. Sie lautete: Würden Sie Content von Ihrem Radiosender auch privat teilen? – Wann haben denn Sie das letzte Mal etwas von 1Live geteilt?
Schiwa Schlei denkt länger nach. Ich muss dazusagen, dass ich relativ wenig Content teile, obwohl ich sehr viel in den sozialen Netzwerken unterwegs bin…Inhaltlicher Content, den ich geteilt habe, war die Freude über den Grimme Preis von Mr. Dicks – wir haben als Radio den Grimme Preis Fernsehen gewonnen, das ist schon stark.
Ein Radiosender gewinnt den Fernsehpreis, Sie plädieren dafür das Radio nicht nur als reines Audiomedium zu begreifen und das Selbstverständnis der Radiomacher zu ändern. Was hilft Ihnen auszubrechen aus gewohnten Denkmustern?
Jeder braucht andere Rahmenbedingungen, mir hilft es beispielsweise mit bestimmten Personen darüber zu sprechen, den Ball hin und her zu spielen, sich immer weiter in ein Thema reinzusteigen. Es geht bei einer Geschichte nicht darum sie 1 zu 1 zu erzählen oder die erstbeste abseitige Idee zu nehmen, wie man sie umsetzen kann. Man muss sich die Frage stellen, welche Facette der Geschichte wurde so noch nie erzählt, mit welcher Facette bekomme ich vielleicht Leute dazu sie zu hören, die das Thema nicht interessant finden. Eine ganz wichtige Aufgabe der Medien sehe ich darin, die Menschen abzuholen.
Viele Menschen holt man heute vor allem auf Plattformen wie Facebook, Instagram & Co ab – der Social Stream hat andere Medien als Informationsquelle abgelöst.
Im Internetzeitalter ist das Problem die Menge an Informationen mit denen ich täglich konfrontiert werde. Die Herausforderung ist es also die Information einzuordnen. Für Journalisten wird deshalb zunehmend das Thema Orientierung entscheidend. Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir mit fundierten, gut recherchierten Inhalten ein trusted Guide sind – sowohl offline als auch online.
Sie sind der Meinung, dass man Social Media leben müsse, um Konzepte dafür entwickeln zu können – und jene Kollegen, die keinen Bock darauf haben, die sollen es sein lassen.
Das Internet oder die sozialen Netzwerke gehorchen eigenen Gesetzmäßigkeiten, diese muss man kennen, um das Potential voll ausschöpfen zu können. Ein Fernsehsender würde ja auch nicht auf die Idee kommen einen Moderator einzustellen, der noch nie vor der Kamera gestanden hat. Aber grundsätzlich: Ich hätte nie gedacht, dass wir 2015 noch darüber sprechen, ob das Medium Internet mehr ist als ein Distributionskanal. Es ist so viel mehr!
Es ist vor allem auch ein Rückkanal. Sie haben heute Nachmittag von einer Audience gesprochen, die die Kontrolle übernimmt und allen geraten auch Mut zum Kontrollverlust zu haben. Hat Ihnen mal der Mut gefehlt?
Nein, wenn ich eine Idee habe, dann kämpfe ich schon dafür. Mut zum Kontrollverlust war ein Appell für die klassischen Medienmacher. Sie sehen sich so sehr in der Senderrolle, dass sie sich schwer tun mit sozialen Netzwerken, weil sie eben dort die Kontrolle verlieren. Für sie ist es beunruhigend, dass sie plötzlich zitiert werden, ihre Schnipsel aus dem Zusammenhang gerissen werden. Aber die Antwort ist nicht – ich zieh mich raus, sondern die Antwort ist: Ich gehe da ganz bewusst rein und ich stelle mich dem, weil ohne dem geht es nicht mehr. Wir müssen eine andere Fehlerkultur entwickeln, um weiterhin ernst genommen zu werden und auch als valides Medium zu gelten.