Redaktionskonferenz 06/2016, Redaktionskonferenz Lokaljournalismus 4.0 2016

Nicht totdiskutieren, machen!

Uwe Renners, Ressortleiter Digital beim Nordbayerischen Kurier, sprach gestern auf Konferenz Lokaljournalismus 4.0 über Kommunalpolitik auf allen Kanälen und heute über iPhone at its best. Schon vorher haben wir mit ihm über digitale Dos and Don’ts und ihre Chancen für den Lokaljournalismus gesprochen.

Alle Kanäle zu bedienen galt lange als nerdig, heute gehört es zu jedem Volontariat. Was muss denn der einzelne Journalist wirklich können und was ist nur gehypt?

Das Wichtigste ist, anders zu denken. Es ist ein Problem, wenn die Leute mit einem Text von einem Termin wiederkommen, und ihnen erst später auffällt, dass man noch eine Grafik machen könnte. Lohnt es sich ein Video zu machen? Brauche ich Daten als Excel-Datei? Wichtig ist, sich diese Fragen rechtzeitig zu stellen, und an alle Kanäle zu denken. Dann sucht man sich zum Beispiel jemanden aus der Redaktion, der Ahnung von Datenjournalismus hat, und kann zusammen aus der 25-seitigen Pressemappe mit Polizeistatistiken die Unfallzahlen nehmen und ganz neu darstellen. Plötzlich sieht man, die Parkplätze bei Real und Aldi sind tiefrote Unfallpunkte. So kann eine ganz neue Geschichte entstehen. Besonders die Redaktionsleiter sind gefordert, das Team zu ermutigen, für alle Kanäle zu denken.

Das klingt, als würde es reichen, einfach nur jemanden zu kennen, der sich mit Datenjournalismus und Visualisierung auskennt.

Es gibt Dinge, die man nicht von jedem verlangen kann, wie Google Fusion oder CartoDB; daran muss man Spaß haben und sich immer wieder einarbeiten, sonst ist man raus. Aber die einfachen Sachen, wie ein Foto mit Thinglink zu beschriften oder eine interaktive Grafik mit Infogram zu erstellen, die man per iframe einbetten kann, oder ein Youtube-Video zu embedden, das sollte wirklich jeder Redakteur können.

Wie kann das bei der politischen Berichterstattung helfen?

Vor einiger Zeit war es zum Beispiel die Frage, welche Ein- und Zweizimmerwohnungen und so weiter es in Bayreuth gibt, und wie viele Leute darin leben. Eine Kollegin hat dazu schnell mit Infogram interaktive Grafiken erstellt. Man darf nicht die Grafik aus der Zeitung als Bild hochladen. Da gibt es online viel bessere Möglichkeiten.

Zu den wichtigsten Kanälen gehören Social Media. Twitter und Facebook sind für die meisten Lokalredaktionen Standard. Wie sieht’s mit WhatsApp und Snapchat aus?

WhatsApp ist ein super Tool. Die Leute haben ihr Smartphone immer in der Tasche, näher kommt man nicht ran. Wenn wir da Nachrichten verschicken, bekommen wir Zugriffsraten wie bei keinem anderen sozialen Netzwerk. Manchmal klicken 70% der Nutzer auf den Link. Aber Snapchat ist speziell. Ich glaube, man kann mit Snapchat Geschichten erzählen. Die Vermarktung halte ich dagegen für schwierig. Aber wir müssen uns damit beschäftigen, um zu sehen, wie Kommunikation heute funktioniert. Wir müssen unsere Marke bekannt machen. Wir müssen uns fragen, was wir machen wollen, mit welcher Intensität, mit welchen Kapazitäten, und es dann tun. Auch, um den Leuten zu zeigen: Ja, das sind wir, und wir sind da, wo ihr seid.

In der Praxis könnte es schwierig werden, jedes Redaktionsmitglied für Snapchat zu begeistern.

Ich bin 45 und hab’s auch gelernt. Es wird immer Leute geben, die Spaß daran haben neue Programme zu lernen und sich damit identifizieren. Aber es bringt nichts, jemanden mit dem Smartphone loszuschicken, der das Ding sonst nur zum Telefonieren nutzt. Es muss auch authentisch sein. Sonst lachen uns die Leute aus.

Konferenzen für digitale Trends sind für Lokalredaktionen wichtige Anlaufstellen. Auch Sie kommen herum. Was haben Sie für sich mitgenommen?

Auf der re:publica waren Virtual Reality und 360-Grad-Technologien große Themen. Ansonsten habe ich mitgenommen, dass es außerhalb der Verlagsbranche ganz viele Menschen gibt, die wenig Angst haben, etwas Neues auszuprobieren, und sehr erfolgreich damit sind. Erst ein Jahr darüber zu diskutieren ob man WhatsApp machen will, ist nicht zielführend. Stattdessen sollte man es einfach machen, sich das drei Monate lang anschauen und wenn es nicht klappt, wieder aufhören. Wir diskutieren manche Sachen tot. Bevor eine Entscheidung fällt, sind andere schon fünf Schritte weiter.

Welche Entwicklungen werden überbewertet?

Ich glaube, multimediales Storytelling ist so eine Entwicklung. Wer liest das bis zum Ende? Es sieht gut aus und man kann sich damit präsentieren, es ist aber nichts für die alltägliche Arbeit. Wenn man hingegen schaut, wie viele Leute in den USA Podcasts hören, dann ist das ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Wer sich zuerst platziert, der hat es später einfacher. Podcasts sind aufwändig, kosten Personal, und man braucht gute Themen dafür. Das würde ich gerne mal testen. Auch Videos werden noch oft unterschätzt. Ich glaube, dass dort auch Geld zu verdienen ist für die Verlage.

Facebook hat den Trend angeschoben, Inhalte in soziale Netzwerke auszulagern, etwa Videos oder Texte. Was halten Sie davon?

Blaulicht-Berichterstattung zum Beispiel ist keine journalistische Kunst, und wenn ich diese Texte als Instant Article anbieten kann, die schneller laden und die Nutzer so ein besseres Erlebnis haben, warum nicht. Wenn wir es nicht machen, machen es andere. Und Facebook wird auf uns keine Rücksicht nehmen. Wichtig ist, dass wir die Möglichkeit haben, von dort die Menschen zu unserer Homepage zu bringen und auch lokale Werbung zu platzieren. Und bei Paid Content steht Auslagern eh nicht zur Debatte.

Allerdings ist man auf Facebook und auch bei vielen Tools Datensammelmechanismen unterworfen, die man selbst nicht kontrollieren kann.

Ja, diese Debatten gibt es, aber ich kann damit nicht viel anfangen. Es werden heute Unmengen an Daten gesammelt, die meisten geben wir selbst an Google, Facebook und Co. ab. Ich kenne niemanden, der sich die Nutzungsbedingungen von Apps komplett durchliest. Wenn wir als Journalisten sagen, dass wir das nicht mitmachen, ist das völlig realitätsfern. Je mehr wir über unsere Nutzer wissen, desto besser ist es. Zum einen, um ihnen journalistisch das zu bieten, was sie von uns erwarten und zum anderen, um personalisierte Werbung auszuspielen. Wenn ich weiß, dass bestimmte Leser regelmäßig Kulturberichte lesen, dann kann ich dem Werbekunden die Werbung für diese Zielgruppe besser verkaufen. Daten sind Kapital. Vielleicht das Größte, das Verlage heute noch haben.