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Zurück in die Zukunft

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„06.00 Uhr. Aus den Lautsprechern des Nachttischs erklingt leise Mozarts kleine Nachtmusik. Die Melodie schleicht sich in Jan Janssens Träume, während das Schlafzimmer langsam in rötliches, dann in helleres Licht getaucht wird. Jan hat die Zimmerdecke mit einer
hauchdünnen Schicht organischer Leuchtdioden überziehen lassen,  die ihm pünktlich zur Weckzeit einen gefühlten Sonnenaufgang bescheren…“ Heute Abend las Kirstin Hengelage, Konzernkommunikationreferentin bei EWE Aktiengesellschaft, aus ihrem Buch „Next Energy: Erzählungen aus der Zukunft“ vor. Es sind Erzählungen über eine ganz normale, fiktive norddeutsche Familie Janssen im Jahr 2015. Hengelage hat die Szenarien zusammen mit Wissenschaftlern erarbeitet – beziehungsweise die Wissenschaftler zusammen mit ihr. „Die Idee der Geschichte war, eine Situation zu zeigen, in der für die Probleme der Energiewende eine Lösung gefunden wurde. Jeder von Ihnen wird sich daron selbst wiederfinden undein Bauchgefühl haben ob das möglich ist oder nicht“, sagte Hengelage.

Energiewende ganz lebensweltlich

Und deswegen ist es auch für Journalisten interessant: Das Buch bricht Szenarien der Energiewende bis auf die eigene Lebenswelt herunter. Eine Grundvoraussetzung für klassische politische Meinungsbildung, wie Lokaljournalisten sie anstoßen können.  „Das bringt einen zum Nachdenken; die Tatsache, dass man sich aus einer anderen Perspektive selbst Gedanken über diese Dinge macht, und was man davon hält.“

Eine weitere Szene gefällig? „Jans Blick fällt auf die im Spiegel eingeblendeten Wetterdaten. Wie  selbstverständlich stehen sie dort zur Verfügung, frisch eingespielt aus dem Internet, ebenso wie sein privater Terminkalender für heute. Aktiviert wird der Spiegel über den Bewegungsmelder, der beim  Betreten des Badezimmers auch für Licht sorgt. Die Wettervorhersage meldet Sonnenschein, den ganzen Tag!…. Um sich wie gewohnt beim Rasieren die aktuelle Energieversorgung des Hauses anzeigen zu lassen, tippt Jan mit dem Finger auf das Spiegeldisplay. Es erscheint eine einfache Grafik aus zwei Kurven: Eine Kurve steigt sichtbar an – sie stellt den aktuellen Stromverbrauch des Hauses dar. Die zweite Kurve zeigt, wie viel Strom die Photovoltaikanlage aktuell produziert…. Ihr Stromanschluss ans öffentliche Netz ist keine Einbahnstraße – zeitweise beziehen sie Strom daraus, zu anderen Zeiten speisen sie Strom ein. Jan und Hanna halten ihre Stromkosten niedrig, indem sie ihren Energieverbrauch möglichst passgenau an die jeweilige Situation im Stromnetz anpassen.“

Zukünftig wird es wichtig sein, die Spannung stabil zu halten – weniger darauf, direkt Energie zu sparen, denn das ist schon selbstverständlich, sagt Hengelage. „Es wir darauf ankommen, eine gewisse Höchstleitung im Haushalt nicht zu überschreiten. Denn dann sind Sie für den Netzbetreiber sehr gut kalkulierbar.“ Stromknappheit werde es nicht geben, sondern eher ein Verteilungsproblem. Reguliert durch Datenströme.

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Alles denkt mit oder erzeugt Energie, Mobilitätsketten die Berührungslos mit den modernen Smartphones der Zukunft passiert werden können – in dieser Vision funktioniert alles über Daten, „Freiheit gegen Komfort und Bequemlichkeit“, fasst der Moderator Robert Domes zusammen.

Dieser Tausch hat heute schon angefangen. Aber bis wir an im Buchszenario ankommen, müsste noch eine Menge passieren. Hengelages Vision ist interessant. Aber ziemlich nett gemeintDas weiß auch Hengelage.  „Die Energiebranche kämpft.“ Umsätze brachen ein,  Mitatbeiter verloren ihre Arbeitskräfte. Früher wurde verbrauchsorientiert erzeugt. Heute stehe alles auf dem Kopf, der Verbrauch sei nicht mehr an die Erzeugung gebunden.

Freiheit gegen Komfort

Hengelages Aufgabe, ist es als Kommunikationsreferentin für die Mitarbeiter selbst einen Überblick zu schaffen, sie weiß über die neuesten Forschungsinnovationen Bescheid.
Greentostore ist einer der Forschungsbereiche – „sie nennen das Speicherwolke, ungenutzten Speicher entdecken und nutzbar machen“, sagte Hengelage. Zum Beispiel von Autos, die 14, 15 Stunden lang in der Garage stehen. Ein weiteres Thema sind „virtuelle Kraftwerke“, die entstehen, wenn man einzelne Anlagen wie eine Biogas- und eine Solaranlage miteinander
vernetzt und dafür sorgt, dass sie sich bedarsgerecht abstimmen.

Das ist sehr abstrakt. Wie sieht es mit Problemen aus, die viele betreffen? Offshore? Gasanlagen? „Aus Sicht eines Energieversorgers macht es auch an guten Windstandorten Sinn, sichere Erzeugungskapazitäten aufzubauen. Auch wenn es viel kostet. Auf dem Meer ist der Wind vergleichweise konstant.“

Doch diese Energie muss irgendwo hin. Wenn an der Küste zu viel Windenergie erzeugt wird, führe das oft zu „Energie-Rückstau“, sodass man die Windräder erstmal wieder abstellen müsse, berichtete Hengelage. „Je weiträumiger man etwas verteilen kann, desto einfacher wird es. Wenn sie alles vor ort produzieren, können Sie Überschüsse schlecht ausgleichen“, sagt sie. Ihrer Meinung nach ist die Energiewende dezentral. Ganz anders als andere Beiträge in dieser Woche.

Konflikte und Möglichkeiten gibt es genug

„Wir bauen eine komplette Energieversorgung auf, haben aber noch einen Energiepark. Das sind Kapitalkosten für Kapazitäten, die wir gar nicht brauchen“, sagte Hengelage. Das Geld umzulegen auf den Strompreis sei auch nicht die Lösung. „Irgendwann muss der eine Park den anderen ersetzen.“ Gaskraftwerke eignen sich zum Beispiel super, um erneuerbare Energien auszugleichen. Einfach steuerbar, zack zack. „Aber Gaskraftwerke sind momentan sehr unwirtschaftlich. Wir haben auch eines gebaut, und 38 Millionen damit abgeschrieben.“

Fragen über Fragen aus dem Plenum. Die Diskussion lief heiß. „Mir fehlt der Masterplan, die einen machen dies, die anderen das“, sagte ein Teilnehmer, und schien auszusprechen, was sich viele Leute im Plenum dachten.

In der Realität kann auf dem Weg der Energiewende viel schiefgehen. Vor allem müsse die Energiewende auch gesellschaftlich gedacht werden, sagt Hengelage. Es gibt viele Ungleichgewichte: Leute, die zu arm sind, um ihre Stromrechnung zu bezahlen. Menschen, die in Ländern leben, die den Klimawandel nicht verursacht haben, und dennoch unter den Folgen leiden. Und Länder, in denen die Energiewende kaum eine Rolle spielt.

„Vielleicht gibt es im nächsten Buch auch Tote“, sagte Hengelage trocken. Ein gespielt-empörtes Lachen ging durchs Plenum. Ein Lachen, das unangenehm ist, und zum Nachdenken anregt. Heute Abend wurden die großen Energiethemen unserer Zeit diskutiert. Für sich selbst und für die Leser. Eine schönes Szenario wäre es, wenn die Diskussion im Blatt weitergeht.

 

Gut beraten in Sachen Energiewende

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Jeder hat eine Agenda, nirgends sind wir sicher. Manipulationen überall. Lauft! Journalisten, die sich mit der Energiewende beschäftigen, können schnell paranoid werden. Oder wachsam, je nach Perspektive. Dr. Sylke Schlenker-Wambach ist Geschäftsführerin der Regionalen Energieagentur Augsburg. Sie sagt: Wir beraten unabhängig. Und sprach mit den Teilnehmern des Modellseminars heute Nachmittag darüber, wie man ganz ohne Paranoia zu einer angenehmen Win-Win-Situation kommen kann.

Die Energieagentur Augsburg gibt es, seitdem ein regionales Klimaschutzkonzept ins Leben gerufen wurde und die Stadt Augsburg, der Landkreis Augsburg, der Landkreis Aichach- Friedberg und die Regio Augsburg Wirtschaft erkannt haben, dass man in manchen Bereichen besser zusammenarbeitet. Das Kern“geschäft“ sind kostenlose Erstberatungen für Bürger, Handwerk, Industrie, Architekten und Kommunen rund um Fragen wie man Energie sparen kann, wann Sanierungen sinnvoll sind, und wie man von erneuerbaren Energien profitiert. Sanierungen sind bis zu einem gewissen Grad eine Privatangelegenheit, der Arm des Gesetzes reicht da nicht so weit. Man kann niemandem dazu zwingen, sein Haus zu sanieren und etwas für den Klimaschutz zu tun, aber man kann ihn durch seriöse Beratung überzeugen, sagte die Geschäftsführerin der Regionalen Energieagentur Augsburg. „Wir vertreten niemanden mit seinen Produkten. Wir empfehlen keine bestimmten Handwerker“, sagt Schlenker- Wambach. Ein Kodex bindet die Energieberater, und Studien hätten bewiesen dass sie sich daran halten. So weit so gut, falls es stimmt.

Vor allem, und das betrifft auch Lokaljournalisten, müsse man das Problem auf die individuelle Situation oder zumindest die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger herunterbrechen.

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wenn man zu den Bürgern geht und den Leuten erklärt dass sie mit dem Klimaschutz die Welt retten, das viele nicht so direk interessiert“, sagt Schlenker-Wambach. „Aber wenn ihr Fenster kaputt ist, sie Energie verschwenden und nebenbei noch was für den Klimaschutz tun, dann erklärten sich viele Leute nach der Beratung einverstanden.“ Denn die Leute, für die der Klimaschutz eine echte Motivation ist, die sind sowieso schon aktiv, bei denen rennen wir offene Türen ein.“

Hausbesitzer investieren nach Beratung durch die Energieagentur Augsburg im Schnitt 36.400 Euro in Klimaschutzmaßnahmen. Nicht übel. Und damit seien viele noch gut weggekommen: Die Handbewergbetriebe würden meist nicht darüber beraten, welche Fördergelder man für Sanierungen in Anspruch nehmen kann. „Viele stellen erst hinterher fest, dass die die Hälfte der Kosten von den Sanierungen hätten wiederbekommen können. Das ist natürlich bitter.“

Und wo kommt jetzt der Journalismus ins Spiel?

Zum Beispiel in Kooperationen:

  • Mit der Augsburger Allgemeinen gibt es wöchentliche Energiespartipps.
  • In Schwabmünchen wurden Energiekarawanen von Journalisten begleitet. Energiekarawane heißt , in einem Gebiet mit besonders alten Häusern erhalten die Anwohner einen Gutschein für eine „einstündige Beratung in der Energiekarawane.“ Mit dem Hauseigentümer gehen die Energieberater eine Stunde lang durch das Haus und geben Tipps, wie sie energetisch Hand anlegen können. Etwa 30% haben die Beratungen in Ansprüch genommen, und über Dreiviertel hätten dann Maßnahmen umgesetzt.
  • die Energieagentur würde als objektiver Kompetenzträger geschätzt und für Beurteilungen angefragt. Zum Beispiel könnte man sich die Sinnigkeit verschiedener Fördertöpfe erklären lassen, und wie man daran kommt

Klar, so etwas geht auch in der eigenen Region. Und wenn es dort keine „unabhängige Energieberatung“ gibt, dann vielleicht zumindest Berater aus verschiedenen Ecken, die die Zeitung selbst zusammenrbringen kann.

Auch Sensibilisierung der Journalisten war ein großes Thema. Schlenker-Wambach kritisierte einige Punkte in der Berichterstattung, die ihr negativ aufgefallen waren. Neben „erfundenen Geschichten“, „Skandalen“ und „Minderheitenmeinungen die zu stark dargestellt wurden“ (wie beim Thema Windkraft in ihrer Region), „Emotionalisierung beim Thema Windkraft“ sei das vor allem wenn gewisse Themen als „Buhmänner“ dargestellt würden, wie bei der Wärmedämmung. Ein Teilnehmer twitterte dazu: „Wer Angst vor der „Dämmstofflobby“ hat, sollte sich mal mit Schützen- oder Karnevalsvereinen anlegen. 🙂 „. Also: Noch mal bei mehreren Stellen nachfragen und sich nicht vor Lobbyisten vor den Karren spannen lassen hilft. Mehr Unaufgeregtheit, bitte.

Und trotz einiger Differenzen zwischen ihr und dem freien Journalismus („wir lassen uns gerne die Texte vorher noch einmal zeigen und sagen den Journalisten, in welche Richtung sie gehen könnten“); ein bisschen mehr Unaufgeregtheit kann nicht schaden.

Trassenkampf

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In acht Jahren soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Spätestens dann muss der Strom in Deutschland gut verteilt sein – und dafür werden Trassen geplant. Eine Menge Trassen über Strecken von Hunderten von Kilometern, viele zwischen 60 und 80 Metern hoch, plus Konverter und Kabelgräben, häufig in unmittelbarer Nähe von Ortschaften. Die Riesenleitungen sind heiß umstritten und eine Menge Akteure sind beteiligt. Gerade deswegen können Lokaljournalisten viel darüber lernen, wie sie Bürger und Politik begleiten können. Auf unserem Podium stiegen Eva Maria Schäffer,  Bürgerreferentin für die Nord-Süd-Stromtrasse „SuedLink“ und Onshore bei TenneT Deutschland, und Martin Stegmair, Vorsitzender der Bürgerinitiative „Megatrasse Lech“ in Niederschönenfeld, mit unseren Teilnehmern in den Ring.

Votrag von Eva Maria Schäffer [PDF]
Vortrag von Martin Stegmair [PDF]

Los ging’s mit SuedLink. Noch vor wenigen Tagen schlug Ilse Aigner vor, statt durch Bayern könne die Stromtrasse „SuedLink“ vielleicht doch lieber durch Hessen und Baden-Württemberg führen. Einfach etwas weiter westlich, Hauptsache nicht da, wo die eigenen Wähler sitzen. Doch was hat es mit diesem Projekt auf sich? Der Korridor SuedLink soll über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen (HGÜ) Nord- und Süddeutschlandland miteinander verbinden, unter anderem damit der im Norden gewonnene Windstrom in den Süden transportiert werden kann. TenneT selbst bezeichnet sie als „Hauptschlagader der Energiewende“, andere als „Stromautobahn“. Von den von TenneT geplanten fünf Verbindungen wurden zwei in den Bundesbedarfsplan aufgenommen, den Bundesrat und Bundestag vor zwei Jahren genehmigt hatten. Aktuell habe Tennet nun an die Bundesnetzagentur ist einen Antrag auf Bundesfachplanung geschickt, diese Phase liegt zwischen der Vorbereitungsphase und der Planfeststellung.
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2022 soll es losgehen, erklärt Schäffer, auf ihrer Folie prangt in Rot „Energiewirtschaftliche Notwendigkeit verbindlich festgestellt“. HGÜ ist in Deutschland noch ein neues Verfahren. Da läuten oftmals direkt die Alarmglocken. Am Anfang und Ende der Gleichstromleitung müssten Konverter stehen, die den Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln. Je nachdem wie viele „Vorhaben“ durchgesetzt werden, würde man außerdem alle paar Hundert Meter zwei oder vier Kabelgräben erzeugen. Die Durchschnittshöhe der Masten wird etwa 65 Meter betragen, also etwa ein Fünftel höher als die bisherigen Masten, an manchen bergigen Stellen auch deutlich höher. Diskutiert wird die um ein Vielfaches teurere Erdverkabelung als Alternative auf manchen Strecken. Die einen sagen: Gut, dann stören die Kabel immerhin nicht; die anderen sagen, nein, damit haben wir zu wenig Erfahrung und zu wenige Zahlen. Möglich sei die Erdverkabelung laut Schäffer dann, wenn man mehr als 400m an einer Siedlung dran ist. „Momentan bewegt sich in Erdkabeln relativ viel, gesetzlich wissen wir wohl erst am Herbst wo wir Erdkabel einsetzen können.“

Das heißt für Lokaljournalisten: Wachsam sein und hinterfragen.
Was erlaubt die aktuelle Gesetzeslage wirklich?
Was kann, was muss?
Was bedeutet „durchschnittlich“?
Wer ist betroffen?
Wer kann was entscheiden?

Das fragten sich die Teilnehmer. Und das fragte sich auch Martin Stegmair, der als Gründer der Initiative „Megatrasse Lecht“, die sich mit ähnlichen Planungen herumschlägt, genau auf der anderen Seite der Argumentation steht. Der größte Aufschrei in seinem Ort käme von jungen Familien, bei denen die Trasse aktuellen Planungen zufolge bis zu 20 Meter ans Haus rücken könnten. „Sie fürchten  sowohl um den Lebensraum ihrer Kinder, als auch um den Wert der Häuser. Es gibt in ganz Deutschland keine einheitliche Abstandsregelung, da kann es sein dass so ein Ding direkt vor deinem Gartenzaun herläuft und du kannst nichts machen.“ In einigen Bundesländern wie Niedersachsen gibt es gesetzliche Mindestabstände. In anderen muss man sich auf mehr oder weniger bindende Gebote verlassen. „Es gibt ein Minimierungsgebot. Bei einem Korridor von 1000 Metern muss man den Mast nicht direkt neben ein Haus stellen. Das so etwas passier halte ich für sehr unwahrscheinlich“, hielt Schäffer dagegen.

Man sieht: der Dialog ist hier entscheidend, die Sachlagen häufig unklar. Klar hingegen ist: die Kosten für SuedLink tragen letztlich „wir alle“, sagt Schäffer, denn sie werden umgelegt auf die Netzentgelte.

Bei SuedLink habe es über Monate einen „informellen Projektdialog“ gegeben. Über 2500 Seiten  Dokumente seien mit dem Antrag für die Bundesfachplanung verschickt worden. Neu im Vergleich zu anderen Verfahren sei, dass es öffentliche Antragskonferenzen gibt. Jeder darf da zu Wort kommen. Und das ist nötig, denn die „Planungsellipse“ erfasst einen Viertel Deutschlands. „Noch haben wir nicht jeden gefragt, welcher Schuppen, welches Haus dort steht.“ Alle Gebäude, Gelände, Vogelarten die gefährdet sein könnten, alles muss ausgewertet werden. „Wir wollen aktive Beteiligung, wir wollen transparente Information, und natürlich auch eine breite Akzeptanz“, sagte Schäffer. Dazu hat das Unternehmen verschiedene Formate, zum Beispiel der sogenannte Infomarkt. Oder Formulare. Alles „auf Augenhöhe“, versprechen die Präsentationsfolien. Da geht es aber mehr um direkte Beratung, Podien wollte TenneT eher vermeiden. „Das wird unterschiedlich gut angenommen“, sagt sie. Übersetzt: Manche regen sich richtig auf.  „Manche Leute wollen uns lieber auf einem Podium sehen. Und ihren Unmut da, vor allen vortragen.“

Unmut gebe es eine Menge. Was für Journalisten heißt: Genaues hinschauen lohnt sich. Schäffer nannte vor allem folgende Themen:

  • Herausforderungen seien zum einen die Größe des Projekts und die Details. Hier könnten Journalisten selbst nachrecherchieren: Welche Aspekte wurden berücksichtigt, welche nicht? Wo könnten sich die Bprger mehr einbringen?
  • Die Rollenzuweisungen wurden darüber hinaus nicht klar abgegrenzt – also zwischen Vorhabenträger, Politik und die Bundesnetzagentur würde nicht genug differenziert und gesagt, wer wozu die Berechtigung hat. Ein guter Ansatzpunkt für die Lokalredaktion, Klarheit zu schaffen.
  • Häufige Diskussionspunkte seien, dass manche Teilnehmer sich ungleich behandelt fühlten, weil manche erst später in die Diskussion einsteigen könnten – und dann weder den Einfluss noch den Redeanteil haben, etwas zu verändern.
  • Die Bedarfsfrage: Auf welcher Grundlage wird so ein Bedarf festgestellt? Wer steckt genau dahinter? „Den Bedarf stellt die Bundesnetzagentur fest. Solange sich das Gesetz nicht ändert, planen wir die Trasse weiter“, sagte Schäffer in der Diskussionsrunde
  • Ein häufiger Vorwurf sei, dass die Veranstaltungen „nicht echt“ seien, dass die Bürger eh nur wenig bis gar keinen Einfluss hätten.
  • das „St-Florians-Prinzip“. Wenn es den einen nicht passt, wird die Leitung woanders hingeschoben, wo sich die Leute nicht wehren können
  • Auch die „Salamitechnik“ wird TenneT häufig vorgeworfen. Auch hier ein Tipp für die Lokalredaktion: Was ist noch geplant, welche Erweiterungsklauseln hat das Vorhaben?
  • „HGÜ“ ls neue Technik und in Deutschland nicht bekannt – also gleich verdächtig. Was sagen Experten dazu?

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Mit Unmut kennt sich auch Martin Stegmair, gelernter Elektrotechniker und Vorsitzender der Bürgerinitiative „Megatrasse Lech“ auch. Moderator Berthold L. Flöper wollte von ihm wissen, wie es dazu gekommen ist. Stegmair ist mehr oder weniger über Nacht zum Experten geworden, weil der gelernte Elektrotechniker sich auskennt und auf einer Veranstaltung zu dem Bauvorhaben war. „Dann sitzen da zehn, 15 am Stammtisch und wollen wissen, was los ist“, sagt Stegmair. Und weist damit auf ein Problem hin, mit dem viele Bürger offensichtlich kämpfen: Sie fühlen sich nicht richtig informiert, und sie brauchen jemanden, dem sie vertrauen können. Viele können nicht einordnen, was Pläne für sie ganz konkret bedeuten. Und sind damit den Betreiber in der Diskussion oft unterlegen. Zudem sie auch strukturell benachteiligt würden. Vernetzt genug, um ihren Anliegen vorzubringen, sei die Initiative als Teil des Energiedialogs Bayern. Offizielle Pressemitteilungen und Stellungnahmen gehörten zum Tagesgeschäft. Und das Internet sowie Experten sei eine prima Recherchequelle. Aber: „Unser Zeitbudget war bei Veranstaltung auch häufiger begrenzt als das von Unternehmen und Betreibern“, kritisiert Stegmair die Zustände des öffentlichen Dialogs. Zudem sei die Initiative von einem überregionalen Blatt sehr kritisch dargestellt und in die Richtung von Fanatismus gerückt worden.

„Fachlich ist das schon so, dass wir meistens einen Informatonssvorsprung haben“, gibt auch Schäffer zu. Hier können Lokalzeitungen ganz genuin politische Bildner sein.

Das Ziel von Stegmairs Bürgerinitiative ist es, die HGÜ-Gleichstrompassage Süd-Ost zu verhindern. „Das brauchen wir nicht, das ist nur für den europäischen Strommarkt nötig“, sagte Stegamair. Der Anbieter Amprion habe „Pläne verschwinden lassen“, oder zumindest auf Nachfrage nicht mehr richtig kommunziert und nach drei E-Mails den Mail-Kontakt abgebrochen. Aber ein St. Florians-prinzip wollten sie auch nicht. „Es gibt genügend Leitungen in Bayern, die den Strom von A nach B leiten.“ Aber was will die Bürgerinitiative überhaupt?, fragt mancher Seminateilnehmer. Was soll eine „richtige Energiewende“, wie sie im Forderungskatalog des Vereins steht, sein? Stegmair räuspert sich und holt aus: Erneuerbare Energien. Und Speichertechnik. „Es muss einen anderen Weg geben. Sonnenenergie, Windkraft, Biogas, langfristig muss es mit diesen Energien und Speichertechnik gehen.“ Seine Gemeinde erzeuge über 300% des Stroms der Gemeinde, mit Biogas, Photovoltaik und auch ein Wasserkraftwerk. Das geht. Schäffer hält dagegen. „Man kann nur damit arbeiten, was man heute in großem Stil anwenden kann.“

Viele Fragen prasselten am Ende noch auf die beiden Redner ein. Die Diskussion geht weiter, der Dialog zwischen Bürgern, Politik und Betreibern auch. Damit er wirklich „auf Augenhöhe“ stattfindet, darf es keine großen Informationsvorsprünge geben. Eine Aufgabe für die Lokalredaktionen.

 

Willkommen im Toll(en)Haus

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Drehst du noch oder tippst du schon? Wenn es nach den Herstellern für Heizungen geht, sind klemmende Ventile und Last-Minute-Aufheizaktionen bald Geschichte. Stattdessen sollen wir unser Smarthome demnächst per App einstellen und automatisch in unsere persönliche Wohlfühl-Welt verwandeln können. Und das effizient und klimafreundlich. Jörg Schmidt, Pressesprecher von Viessmann, nannte das in seinem Vortrag heute Nachmittag „Hausautomation“. Aber kann sich so etwas wirklich durchsetzen? Und ist es gut, dass höchst private Daten über unserer Wohnen, unser Leben erzeugt werden, wo doch prinzipiell nichts mehr als sicher gelten kann?

Schmidts Präsentation [PDF]

Vortrag von Marion Breithaupt-Endres, Vorstand der Verbraucherzentrale Bayern. Sie war leider spontan verhindert, aber wer etwas über Smarthomes erfahren will, sollte sich die Präsentation nicht entgehen lassen [PDF]

Der Hersteller Viessmann bietet Heizsystemen, Kühlsysteme und Industriesysteme, stellte Schmidt, in feinster PR-Manier seinen Arbeitgeber vor. Kurz: Das Unternehmen bringt die Dinge auf Temperatur. Er warf ein Bild eines retro aussehenden, orangenen Heizkessels vor einem fleckigen Hintergrund an die Wand. „Das ist die traurige Realität in vielen deutschen Heizungskellern. So etwas produzieren wir seit 20 Jahren nicht mehr. Hier werden 30 Prozent zu viel Energie verbraucht.“  Von 20 Millionen Heizungsanlagen im Gebäudebestand seien mindestens zwei Drittel modernisierungsbedürftig, sagte Schmidt.

Dann spielte er einen kurzen Film ab, den er live kommentierte. Wir sehen ein, wie er sagt , „ganz normales Haus“ (das unter Photovoltaik-Platten begraben ist und in seiner weißen Abstraktion so aussieht, wie von Apple designt). Nennen wir das Smarthomesystem im Haus einfach „Steve“.

Der Wecker in dem Modell-Haus steht kurz davor zu klingeln. Steve stellt den Heizung an, die Fußbodenheizung auch, es soll ja kuschelig sein. Der/die Hausbewohner, nennen wir sie „Claudia“, steht auf, geht ins Bad, das Radio springt per Funk automatisch an. Erst jetzt geht die Wasserzirkulation unter der Spüle an – weil es erst jetzt benötigt wird, sonst würde die Erwärmung ja nur unnötig Energie erzeugen. Und wenn Claudia nun findet, dass Steve nicht so gut geheizt hat? „Sie können jederzeit händisch in das System eingreifen, das System macht danach einfach wie eingestellt weiter und regelt bei einem offenen Fenster zum Beispiel auch runter“, versichert Schmidt. Und wenn man ein Fenster aufmacht, registriert Steve das und synchronisiert die Daten mit der App. Dann kann Claudia selbst von der Arbeit aus sehen, ob sie das Fenster aufgelassen hat. Aber Steve reagiert nicht nur. Er agiert auch. Die Sonne scheint, die Wärmepumpe geht an, denn Steve weiß, dass die Photovoltaikanlage an einem sonnigen Tag was leisten kann. Als Claudia nach Hause kommt, geht das Licht automatisch an, der Fernseher auch, wie von ihr eingestellt. Das gemachte Nest wartet. Und das alles genau zu dem Zeitpunkt, an dem man es braucht. Und am Ende geht alles wieder aus.

Messen lässt sich so ziemlich alles. Schmidt zückt sein iPad und zeigt ein paar Tabellen, Temperatur, offene Türen und Fenster, Energieverbrauch, Photovoltaik-Jahresbilanzen . „Ist das ihr Haus?“ „Na, das hätten Sie jetzt wohl gerne! Mal sehen, was meine Frau macht…“, und wischte zwischen den virtuellen Räumen des Hauses hin und her. „VitoComfort SmartHome System“ nennt Viessmann sein System. Die Kommunikation läuft über Funk. Andere Anbieter wie Gira verwenden Kabel. Jemand aus den USA hat das System auf die Spitze getrieben, erklärte Schmidgt enthusiastisch, das Haus würde sogar die richtige Bruce Springsteen Platte auf Kommando spielen.

„Alles was Sie sehen ist stand der Technik, aber es hat lange nicht durchgesetzt. Die Frage ist nur: Brauchen wir das? Wie viel kostet es? Was nützt es?“, fragte Schmidt selbstkritisch.

Kosten sind ein guter Punkt. Die Anlagen, wie Schmidt sie beschrieben hat, würden etwa 1500 Euro kosten, und je nach Heizkosten hätte man das dann nach fünf, sechs Jahren schon wieder raus. Besonders energieeffizient seien solche Anlagen im Vergleich dann, wenn man noch mit Ölheizungen heize. Wenn jemand aber eh schon so viel Öko wie möglich im Haushalt hat, dann liege der Vorteil vor allem bei Komfort und Sicherheit (zumindest insofern man den Leuten vertraut, die ebenfalls auf der App sehen, ob Claudia das Fenster aufgelassen hat). Komfortabel ist das vor allem für den Nutzer. „Können normale Heizungsmonteure überhaupt damit umgehen?“, fragte ein Teilnehmer.

Und hier ist ein Knackpunkt: Eher nicht. Aber er muss sie beherrschen. Viessmann hat extra dafür eine Akademie gegründet. Nur müssen die Handwerker selbst auch sehen und daran glauben, dass sich die Technik durchsetzt, um den Fortbildungsbedarf zu verspüren.

Die wichtigste Frage, gerade in Zeiten vom NSA-Skandal, ist aber die nach der Datensicherheit. Und diese Frage wurde auch am heißesten diskutiert. Ein Journalist fragte, wer die Daten denn hat. Welche Temperatur das Haus hat, welche Fenster offen sind. „Wissen SIE das alles?“

„Der Server weiß das“. Jemand im Plenum lacht. Kurze Pause.

„Ok, also theoretisch wissen wir das“, räumt Schmidt ein. „Aber wir haben den Zugriff nicht, solange Sie ihn nicht erlauben. Sie können einem Fachhandwerker die Erlaubnise erteilen. Das ist alles SSL verschlüsselt, es ist VDI-zertifiziert.“ VDI-zertifiziert heißt: Ja, man hat mal Hacker darauf angesetzt und dann bewertet, wie gut sich das System hält. Vergleichbar ist das in etwa mit einem Fahrradschloss: es gibt solche, die man schon mit einer Küchenschere durchschneiden kann. Für andere braucht man drei Minuten mit dem Bolzenschneider. Und für andere fünfzehn Minuten. Irgendwann kommt jeder durch, die Frage ist nur, ob der Aufwand es wert ist. Und VDI-zertifiziert heißt schon mal, dass man schon eine gewisse Zeit investieren müsste. „Rein theoretisch kann aber jedes System geknackt werden. 100% Sicherheit kann Ihnen keiner geben“, sagt Schmidt.

„Also wenn sich da jemand einhackt, kann ich dann mein Fenster nicht mehr aufmachen?“, fragt eine Teilnehmerin. So dramatisch sei es voll nicht. Per Hand könne man noch alles regeln, und selbst wenn der Strom ausfallen und nichts mehr funktionieren würde, dann passiere genau das: nichts. Also: Angst davor, im Haus eingesperrt zu werden, müsse man nicht haben.

Aber Angst vor dem Missbrauch von Daten?

Kürzlich hat Google einen Thermostat-Hersteller gekauft. Damit könnte Google auch bald Smarthome-ähnliche Anwendungen anbieten. Benutzerprofile bilden. Und dann könnte gespeichert werden, wann beim Ehepaar Müller abends im Schlafzimmer die Heizung angeht. Klar, kann man auch Sensoren in Toilette und den Kühlschrank einbauen, und wenn das Klo dann feststellt, dass eine Frau schwanger ist, gibt der Kühlschrank kein Bier mehr heraus. Oder die Krankenkasse wird informiert. Oder der Arbeitgeber.

„Dazu könnte es kommen, wenn wir es wollen, oder wenn wir es aus Bequemlichkeit mitverkauft bekommen“, sagt Schmidt“. „Dazu kann es kommen, wenn wir es in Kauf nehmen. Es ist unsere Entscheidung.“

Und um das zu entscheiden, ist es wichtig, informiert zu sein – zum Beispiel, mithilfe des Lokalblatts.

 

 

Die Vorzeigedörfer

P1020021 Die Energiewende verändert ganze Wirtschaftswelten. Millionen von Euro fließen in die Entwicklung neuer Technologien, Tausende Gebäude werden saniert, Städte wälzen sich selbst komplett um. Die Vorreiter der Energiewende fanden wir: nicht in der Gesellschaft stylischer Wolkenkratzer. Sondern eher in der von Kühen und Wäldern. Es sind die ländlichen Landkreise und Gemeinden mit engagierten Bürgern, Netzwerken und Versorgern, die ihre Energiegeschichte neu geschrieben haben.

Mit viel Feuer erzählten heute Morgen Ulrich Ahlke, Leiter des Amtes für Klimaschutz und Nachhaltigkeit für den Kreis Steinfurt, und Günter Mögele, zweiter Bürgermeister und Referent für Erneuerbare Energien und Klimaschutz in der Gemeinde Wildpoldsried, wie engagiert ihre Gemeinden die Energiewende in die Hand genommen haben – und was noch besser laufen könnte. „Der Strukturwandel wird weh tun“, sagte Ahlke. Aber: er sei es Wert. Und egal auf welche Ebene man schaut: Klimaschutz ist schon lange nicht mehr ein Nischenthema für Ökos.

Mögeles Vortrag: Wildpoldsried [PDF)

Ahlkes Vortrag: Energieland 2050 [PDF]

Der eigentliche Titel von Ahlkes Vortrag lautet „Wenn Dachsanierung, Dämmung, Windkraft und Biogas zum Wirtschaftsfaktor werden“. Doch statt blanker Zahlen warf Ahlke eher Visionen in bunten Farben an die Wand, die er mit energischen Blicken und Sätzen verteidigte. Ihm ging es um das „Energieland 2050“, eine Art Klimaschutz-Projektgebiet mit 24 Städten und 130.000 Arbeitnehmern in einem nördlichen Zipfel NRWs.

Bis 2050 soll sich der Energiebedarf halbieren und die Treibhausemmissionen um 95 Prozent zurückgehen. Das sagt zumindest der Masterplan. Hört sich utopisch an. Und ein wenig ist es das vielleicht auch. „Was hier hintersteckt, ist ein Systemwandel und ein Strukturwandel von unglaublichen Dimensionen. Es wird eine enorme Kapitalverschiebung geben“, sagte Ahlke und schielte dabei vor allem in Richtung Politik, die eine dezentrale Energieerzeugung vereinfachen und Energiespar-Branchen in der Krise nicht vergessen solle.

Das Energieland 2050  lebt von Netzwerken, Runden Tischen mit Bürgern und Stakeholdern, Vereinen, Beiräten, Regionale Vermarktung. Gerade Windenergie biete Potenziale (siehe Powerpoint). Hinter der Windenergie stecken nämlich auch gigantische Investitionen. „Wir haben 2014 für 165 Millionen Euro Bürgerwindparks durchgesetzt. Von Anfang an haben wir die Bürger beteiligt. Es gibt eine Servicestelle Windenergie, mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung „, sagt Ahlke. Ja, Bürgerwindparks sind genau das, wonach sie sich anhören: Der Bürger investiert in Windräder und bindet sich an sie, mit ihnen als Geldanlage.

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Der Kreis Steinfurt hat auch Studien durchgeführt. Demnach unterstützen die meisten Bürger die Energiewende. Bioenergie hat jedoch an Zuspruch verloren, und nur noch 5 Prozent halten Kernenergie für eine gute Energiesorte. Worüber die Studie nicht spricht, sind die Bürger, die Windenergie und Erneuerbare Energien zwar prinzipiell gut finden. Aber nur, solange sie die eigene Aussicht nicht blockieren. „Diese Energiewende braucht nicht in erste Linie technische Lösungen, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Prozess“, sagte Ahlke, und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Energiewende genießt Rückhalt in der Bevölkerung

Dazu gehören viele Projekte. Beim Projekt „Klimaschutzbürger“ ging es um individuelle Energieeinsparungen. Das ist auch Stoff für Lokaljournalisten: Bis zu ein Drittel der CO2 Einsparungen im Haushalt könne man gut einsparen, ohne dass die Lebensqualität Einbußen erleiden. Dazu kamen Spritsparfahrkurse und Klimakochkurse. Eine Tomate im Winter aus dem Gewächshaus hat pro Kilo 9kg CO2 verursacht, während die saisonale Tomate bei unter einem Pfund CO2 liegt. Wer hätt’s gedacht!

Der Handwerkermarkt ist auch hoch interessant, hier wird viel passieren. Nur ein Prozent der Gebäude in der Region wird pro Jahr durchsaniert. Und viele Gebäude könnten im Laufe der nächsten Jahre Sanierungen im Wert von bis zu 50.00 Euro vertragen, sagte Ahlke. Jedoch sei das in der Praxis nicht immer so einfach. 18 von 24 Städten und Gemeinden schrumpfen. Die Alterskohorte 0-25 schrumpft in allen Gemeinden. Und in allen Gemeinden wächst die Kohorte 65+. Auf der Leinwand erscheint das Foto eines etwas heruntergekommenen Hauses. „Nehmen wir mal an, in diesem Haus, das 50.000 Euro Wert ist, steckt ein Sanierungspotenzial von 100.000 Euro und die alte Dame die hier wohnt würde das nun für 100.00 Euro sanieren. Der Wert des Hauses steigt dadurch aber nur um 10.000 Euro.“ Ist das noch fair? Nicht alle Angebote würden greifen. In NRW sei der Wohnraum in den letzten 25 Jahren um 31% gewachsen. Wenn die Wohnfläche wächst, nutzen die Sanierungen nicht so viel.

Regionale Player beteiligen, Siedlungen ganzheitlich betrachten

Laut Ahlke brauche man eine ganz andere Herangehensweise. Man müsse statt Einzelgebäuden ganze Quartiere und Siedlungen betrachten. Das Fazit lautet für ihn: „Für Kommunen (gerade in ländlichen Räumen) besteht eine große Chance darin, Klimaschutz und die lokale und regionale Energiewende für die Gestaltung einer ökologischen und ökonomischen Modernisierung zu nutzen.“.

Kurz gesagt: Leute, wir müssen eh alles umkrempeln und aufräumen, also können wir dabei auch gleich den Müll rausbringen! Und dazu bräuchte man auch eine aktive Presse.

„Die Aufmacher sind oft so, dass man Angst vor der Energiewende bekommt. Es gibt Lobbyisten die großes Interesse daran haben, dass die Energiewende nicht gelingt“, bemängelte Ahlke.

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Puh. Viel Input. Und nur einer von zwei Spechern.

Der nächste Sprecher betritt die Bühne mit einem verschmitzten Grinsen und einem sympathisch bayerisch klingendem Akzent. Günter Mögele. Der Projektor zeigt Bilder von Kühen auf saftig grünen Wiesen, doch im Hintergrund finden wir keine alpine Traumlandschaft, sondern kleine Häuschen deren Dächer vollständig von Photovoltaik-Anlagen bedeckt sind. Das ist Wildpoldsried, wo Mögele zweiter Bürgermeister und Experte für Klimaschutz ist. Das besondere an dem Städtchen: Es ist in einigen Bereichen quasi energieautark. Hier wird auch mit Smart Grid Technologien hantiert und die Bürger beteiligen sich nicht nur meinungsstark, sondern auch finanziell an Dorfheizungen und Windrädern.

„Wir haben schon ziemlich früh angefangen mit erneuerbaren Energien und nachhaltigem Bauen. Sie werden sicher Dörfer finden die mehr Wasserkraftwerke haben, aber was bei uns besonders ist, ist der Energiemix aus Wasserkraft, Biomasse, Windenergie und Holz, das bei uns ein typischer nachwachsender Baustoff ist. Aber das wichtigste Rad in unserem Getriebe ist die Bürgerbeteiligung.“ Die Bürger investieren in Erneuerbare Energien. Und finanzieren sie so. Bei früheren Windrädern habe es eine Obergrenze von 100.00 und bis 50.000 Euro gegeben. Bei neueren Projekten läge die Obergrenzen bei 5.000 Euro. Nach dem Motto: Nicht auf’s Geld selbst kommt es an. Sondern darauf, dass möglichst viele Bürger im Boot sind.

Geburt eines Energiedorfs

Wie es losging? 1996 wurde der neue Bürgermeister gewählt, wenige Jahre später kam es zu einer Klausurtagung und 1999 zu einer Bürgerumfrage. Es habe rund 70% Rückläufer geben, die mit Ehrenamtlichen ausgewertet wurden. Das EEG war damals noch nicht raus und die Energiewende und Klimaschutz in vielen Städten Nebensache. Wenn überhaupt. Doch nicht in Wildpoldsried. Diese Stadt dachte weiter: Die Gemeinde hat ein ökologisches Dreisäulen-Konzept vorgestellt: Energie (Regenerative Energie-Erzeugung und Energie-Einsparung), Holz (als ökologischer Baustoff für Baumaßnahmen) und Wasser (Schutz der Wasservorkommen und Abwasserreinigung) „Wir haben beschlossen, dass wir in dem Bereich auch autark bleiben wollen“, sagte Mögele. Und das blieben sie auch.

Ein Schmuckstück von Wildpoldsried ist heute die Dorfheizung, die seit 2005 in Betrieb ist. Ein Biomasskessel, drei Biogaskessel, ein Heizöl-Kessel, und noch vieles mehr trägt zur regenerativen Wärmeerzeugung mit hauptsächlich Biogas und ein bisschen Pellets bei. 51 Gebäude werden damit geheizt. Einsparungen: ca. 900 Tonnen CO2 und 33.500 Euro pro Jahr. Es sei zuerst schwierig gewesen, die Bürger zu überzeugen mitzumachen, sagte Mögele. Doch als die ersten gute Erfahrungen gemacht haben, standen schnell mehrere Leute hinter dem Projekt. Es schien einfach vernünftig.

Ein Ziel von Wildpoldsried ist, dass bis 2020 100 Prozent der Wärme aus erneuerbarer Energie erzeugt werden soll. Die Bilanz 2014 liegt etwa bei 70 Prozent. Aber letzten 30 Prozent sind die härtesten, sagt Mögele. Dieser letzte Rest sei Feinarbeit, und vor allem gesetzlich müsste die Wärme aus erneuerbaren Energien attraktiver gemacht werden.

Und was ist mit dem Strom? Für die elektrische Energie sind rechnerisch allein die Biogas-Blockheizkraftwerke genug. Was wichtig ist, denn die Windenergieerzeugung schwankt schnell mal, und Phtotovoltaik auch, obwohl beide den Energiebedarf jeweils fast abdecken würden. 2014 wurde fast fünfmal so viel Strom erzeugt wie nötig.

Wie auch Ahlke hat Mögleles Gemeinde Thermografieaktionen gemacht, Energieberatung, Pumpenaustauschaktionen, Energieführerschein, Prämien für Energiesparer. In einem ökologischen Bildungszentrum können Besucher CO2-frei übernachten. Kommunale Gebäude wie die Sporthalle und die Kinderkrippe sind als sogenanntes Plusenergiehaus gebaut worden und können sich größtenteils sehr erhalten. „Wenn man die Energiekosten niedrig halten kann, kann man auch die Beiträge niedrig halten“, sagte Mögele und weist damit auf eine Dimension hin, die oft vergessen wird: Erneuerbare Energien lohnen sich nicht nur für die Umwelt. Für Länder, die weit entfernt sind. Sondern auch vor Ort, in den Kommunen, für die Familien. Zumindest, so lange sich diese selbst versorgen. „Einspeisen ist heute uninteressant“, sagt Mögele, der eingespeiste Strom würde nach EEG Neuerungen schlecht bezahlt.

Auch größere Städte können es schaffen

Politisch ging es in der Diskussion danach dazu. Im Norden NRW seien Tausende Arbeitsplätze in den Industrien rund um erneuerbare Energien verloren gegangen,  aber eine bestimmte Partei schaue „nur auf die Kohle im Ruhrgebiet, weil dort und nicht in Westfalen ihre Wähler sitzen“, beklagte sich Ahlke.

Die Teilhmer des Seminars bewegte vor allem eine Frage: Wie kann meine Gemeinde so weit kommen? Worauf muss ich achten? Könnten größere Städte auch autark sein? Laut Mögele habe Frankfurt zum Beispiel gute Chancen – wenn es sein Umland einbeziehe. „Die laufen ja jetzt schon Sturm“, tönte eine Stimme aus dem Publikum. Auch für Ahlke hätten Metropolen klar gute Voraussetzngen: Erstens der ÖPNV, der leicht klimaneutral zu organisieren sei, zweitens der geringere Wohnraum pro Person und drittens könne man in Städten mehr Menschen erreichen, die sich für Klimaschutz und Energiersparen interessieren. Die Finanzierung sei meistens kein problem. „Es gibt europaweit gigantische Fördertöpfe, man muss nur reingreifen.“

„Der Schlüssel zum Erfolg ist es, Verfahren transparent zu halten und Konflikte offen anzugehen“, sagte Ahlke.

Und genau hier können Lokalredaktionen ihre Stärken als Vermittler und Einordner ausspielen.

Energiesparen in den Redaktionen

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Umfangreiche Reportagen, kreative Formate, Innovationen im Lokalblatt, ja klar, das wollen wir. Aber meistens kosten diese Ideen und Konzepte eine Menge Zeit. Mühsam werden Themen gesucht und Layouts entworfen und verworfen. Und während man am Schreibtisch sitzt und der Cursor blinkt, wabert die Gewissheit: Es muss effizienter gehen.

Und genau diese Effizienz soll das drehscheibe Magazin liefern. „Wir wollen den Redaktionen beim Energiesparen helfen“, sagte Johanna Rüdiger, drehscheibe-Redakteurin. Nicht mit Energiesparleuchten und Solarpaneln, sondern mit guten Konzepten und Ideen von anderen Lokalredaktionen, für Lokalredaktionen. Die Redakteurin stellte nicht nur das Magazin selbst vor, sondern vor allem auch sehr gute Umsetzungen und Debatten rund um die Energiewende, die auch in der Ausgabe der drehscheibe zum Thema „Energie fürs Lokale“ nachzulesen sind:

1. Print- und Online-Umsetzung der Sindelfinger Zeitung/ Böblinger Zeitung zu Geothermieschäden. Die Zeitung sei in verscheidenenen Formaten am Thema drangeblieben „und hat die Entwicklung genau verfolgt und dokumentiert“, sagte Rüdiger.

Zur Seite: http://www.szbz.de/nachrichten/sonstiges/geothermie-schaeden/

2. Doppelseite und Webreportage zu „ein Kernkraftwerk verschwindet“ auf inFranken.de. Hier wurden Multimedia-Elemente vorbildlich verarbeitet, aber vor allem auch die Rahmenbedingungen und die Fragen: Was war, was kommt?

Zur Seite: http://reportage.infranken.de/wie-ein-kernkraftwerk-verschwindet

3. Wer über die Energiewende berichtet, wird nicht nur außerhalb der Redaktion zwischen gegensätzlichen Positionen und Lobbyarbeit zerrieben. Auch innerhalb der Redaktion kann es zu Disputen kommen. Zum Beispiel, wenn Journalisten darüber zu diskutieren beginnen, ob eine rein positive Berichterstattung zu bestimmten Erneuerbaren Energien noch den Standards journalistischer Neutralität genügen.  „Wie machen wir das überhaupt, wie können wir uns zu Windrädern positionieren, wie stellt sich die Lage wirklich dar“, seien laut Johanna Rüdiger nagende Fragen gewesen, von denen Peter Schwarz von der Waiblinger Kreiszeitung im drehscheibe-Interview berichtete.

Zum Interview: http://www.drehscheibe.org/interview-mit-peter-schwarz-2013.html

Weitere Umsetzungen und Ideen zur Energiewende finden sich im drehscheibe Archiv.

Auch interessant: die drehscheibe Videos von den Besuchen bei Lokalredaktionen, die Erstaunliches leisten; auch, oder gerade wenn, sie nicht besonders personalstark sind.

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Profit, Protest und Perspektiven – wie die Energiewende in der Lokalredaktion zündet

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Die Energiewende ist nicht nur für so manche Politiker ein heißes Eisen. Auch viele Lokalredaktionen scheuen sich, diesen ambitionierten Wandel ins Blatt zu heben. Zu kompliziert, zu wenig lokal, zu viel störende Lobby, heißt es da oft. Oder: Ich würde gerne, aber wie soll ich den Lesern so ein riesiges, technisches Thema nahebringen, wenn doch jeder versucht mich zu manipulieren? Dabei durchdringt die Energiewende ganz Deutschland, von der Bundespolitik bis tief in die Kommune. Es geht um mehr als bloß ein paar neue Windräder. Es geht um Geld, Macht, und die Gestaltung unseres Lebens. Mehrere Dutzend Lokalredakteure haben sich heute in Augsburg zusammengefunden, um sich bis Freitag auf dem Seminar „Profit, Protest und Perspektiven – wie die Energiewende in der Lokalredaktion zündet“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auszutauschen, zu lernen und vor allem an Konzepten zu arbeiten, wie die Energiewende spannend in den Lokalteil gebracht werden kann.

[aesop_document type=“pdf“ src=“http://www.drehscheibe.org/seminarblog/wp-content/uploads/2015/05/Programm_Energie-15-05-08.pdf“ caption=“Programm“]

 

 

„Hier werden Sie nicht mit Infos zugedröhnt. Natürlich haben wir Input-Referate mit Wissenschaftlern, aber das Wesentliche an den Modellseminaren ist Ihre Arbeit in den Arbeitsgruppen“, sagte Berthold L. Flöper, Leiter des Lokaljournalistenprogramms der bpb zu Beginn. Die Themen, die dort besprochen werden, kommen aus den Lokalredaktionen selbst: „Wir haben Energie – die Bürgerinnen und Bürger mischen mit“ (AG 1), „Energie-Quellen richtig anzapfen/Recherche“ (AG 2), „Neue Energie – lohnt sich das?“ (AG 3) und „Mit Energie ins Netz!“ (AG 4)

Damit die Arbeit gut läuft, heißt es erstmal: Kennenlernen. Im „Speed-Dating“ kamen die Journalistinnen und Journalisten aus den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands zusammen, ob aus dem Sauerland oder Chemnitz, ob am großen Newsdesk, Content-Service-Desk oder in einem winzigen Lokal-Team. Sogar ein gelernter Bauingenieur ist unter ihnen.

Manche Redakteure sind in das Thema hineingerutscht, anderen war es schon länger ein Steckenpferd. So verschieden wie die Voraussetzungen in den Redaktionen aber sein mögen, so haben sie eines gemeinsam: In der Kommune ist die Energiewende mehr als bloß trockene Theorie. Manche setzen sich mit flächendeckenden Windparks und gigantischen Monster-Windrädern auseinander, die demnächst die Landschaft prägen sollen – ganze 300 Meter! Andere mit Kraftwerken oder dem Phänomen der „Vermaisung“ von Gegenden durch den Anbau von Energiemais. Nahe Landau kam es sogar zu einem Erdbeben rund um ein Geothermiekraftwerk – aufgrund der geothermischen Energiegewinnung. Einige Teilnehmer berichten sogar über dieselbe Gleichstromleitung, oder denselben Energieerzeuger.

Fast immer mit dem Ergebnis: Bürger wollen eingebunden werden, einige protestieren, Wirtschaft und Politik halten werbend dagegen, und die Lokalredaktion soll den Lesern erklären, was Sache ist.

„Es ist schwierig, neutrale Berichterstattung zu machen“, sagte einer der Teilnehmer. „Sie muss sich immer mit Leuten befassen, die motzen, weil sie zu wenig in den Berichten vorkommen“, sagte ein anderer Journalist bei gegenseitigen Vorstellung.

Doch am Ende ist Qualitätsberichterstattung machbar, wenn man weiß, worauf man achten, wo man hellhörig werden muss. Und vor allem: Den Mut hat, auch schwierige Themen anzupacken.

Auf in eine produktive Woche!