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Startup aus Tradition

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Staplerfahrer aus Plettenberg: Stefan Aschauer-Hundt

Ein überzeugter Sauerländer und unverdrossener Blattmacher erzählt von seiner Verlegerfamilie. Eine Märchenstunde voller Erfolgsgeschichten? Mitnichten. In seiner 125-jährigen Geschichte hat das Süderländer Tageblatt nämlich mehrmals schwere Zeiten erlebt. Aber Nordrhein-Westfalens kleinste Tageszeitung erscheint weiterhin – mit einer Auflage von derzeit 5478 verkauften Exemplaren. Das klappt auch deshalb, weil das Unternehmen wie ein Start-Up funktioniert.

In seiner amüsanten Rede referierte Stefan Aschauer-Hundt sehr emotional über die Entwicklung des „Zeitungszwergs“ (Aschauer-Hundt) aus Plettenberg im Sauerland. Es ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen – aber voller Superlative. Der Chef vom Dienst des Süderländer Tageblatts sprach von den Ursprüngen seiner Verlegerfamilie, die Verlagshaus und Druckerei zunächst in Hattingen im Ruhrgebiet betrieben hatten.

Bewegte Geschichte

Erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Oktober 1919, wurde Otto Hundt Verleger des Süderländer Tageblatts. Zuvor hatte es mehrfach den Besitzer gewechselt. Während der Herrschaft der Nationalsozialisten standen die Verantwortlichen der neutralen Heimatpresse aus Plettenberg unter dem enormen Druck des Regimes, im Mai 1941 mussten sie sogar den Redaktionsbetrieb einstellen. Dennoch konnte der Verlag auch während der Kriegszeit eine Zeitung mit lokalen Nachrichten und Anzeigen anbieten.

Denn die Zeitungsmacher aus dem Sauerland haben nie aufgegeben. Auch mit Blick auf die heutige Medienkrise würden sie nicht daran denken, sagt Stefan Aschauer-Hundt. Sein Credo lautet: “Nicht heulen, sondern anpacken”! Jeden Tag versucht er beim Südländer Tageblatt aufs Neue, mit der heutigen Medienwelt zurecht zu kommen. Eine andere Chance hätten sie nicht, sagt er. “Du hast keine Chance, und die musst du nutzen!”

„Viele andere Blätter sind in größere Konzerne aufgegangen oder ganz eingestellt worden”, sagt Aschauer-Hundt. Das Süderländer Tageblatt dagegen erscheint nach wie vor im Familienverlag. Dabei können die Verleger auf die Unterstützung von zuverlässigen Freunden und Partnern bauen.

Lokales aus Prinzip

Auf diese Weise produzieren die Blattmacher aus Plettenberg täglich bis zu 20 Seiten Lokaljournalismus für etwa 38.000 Einwohner ihres Einzugsgebiets. Dabei spezialisieren sie sich besonders auf lokale Inhalte. “Unsere Redakteure drehen jeden Stein um”, sagt Aschauer-Hundt. Auf seine 18 Mitarbeiter im Unternehmen kann er sich verlassen. Zehn Redakteure arbeiten an der Lokalzeitung, jeder von ihnen übernimmt aber auch andere Aufgaben.

Und auch der Chef vom Dienst selbst übernimmt alles, was anfällt. Ob Staplerfahren oder Zeitung machen – gemeinsam mit seinen Mitarbeitern rackert er weiter für seinen „Zeitungszwerg“ aus dem Sauerland. Einen Staplerschein besitzt er nämlich, er hält ihn vom Podium aus auch stolz in die Luft.

Text: Anika Zidar

„Die Anzeigenkunden rennen uns nach“

Start_ups_PodiumInspiration und Unternehmergeist – Was können Medienhäuser von Start-ups lernen? So lautete die Fragestellung des dritten Podiums. Moderator Lars Grasemann, Marketingexperte von den Netzstrategen, präsentiert drei Beispiele für Start-ups, die Verlage und Journalisten inspirieren können.

Go.Berlin

Als erstes erläutert Bernd Ziegenbalg, Geschäftsführer von Raufeld Medien, das Konzept hinter GoBerlin . Der mobile Stadtführer wird mit den Inhalten der vom Raufeld Verlag herausgegebenen Berliner Stadtmagazine TIP und Zitty bestückt. Das Geo-Portal will nicht nur die junge Zielgruppe erreichen, sondern auch eine Servicelücke schließen: „Unsere primäre Aufgabe als Stadtmagazin ist es schließlich, den Lesern eine Navigation durch die Stadt zu bieten“, sagt Ziegenbalg. „Doch wir haben gemerkt, dass die Leute uns mobil einfach nicht nutzen“. Das läge aber nur daran, dass die Suche in der Datenflut zu lange dauere – nicht an den Informationen selbst.

Im Test der Redaktion brauchte ein Nutzer etwa fünf bis sechs Klicks, bis er auf die gewünschte Information, zum Beispiel eine Restaurantrezension stieß. Die Lösung: Im Portal GoBerlin, das vor eineinhalb Monaten an den Start ging, werden die Inhalte direkt auf einer Karte geobasiert gezeigt. So ist der Nutzer mit einem Klick an der gewünschten Stelle. Und der Kinoeintrag wird mit einem Termin, einer Filmrezension und einer Ortangabe verknüpft. „Wir haben plötzlich deutlich jüngere Nutzer und mehr mobile Zugriffe“, bilanziert Ziegenbalg. „Und das Beste: Wir haben inzwischen kaum mehr redaktionelle Kosten, das Portal verbessert sich automatisch, weil neue Inhalte aus der Datenbank eingespeist werden“. Außerdem habe sich ein positiver Nebeneffekt eingestellt: „Das Portal strahlt eine Sexyness aus, die unsere Produkte bisher nicht hatten“, sagt Ziegenbalg. Gemeint ist damit vor allem auch die Wirkung auf potentielle Anzeigenkunden. „Plötzlich kommen bis zu zwanzig Kleinanzeigenkunden am Tag auf uns zu, die mit uns kooperieren und ihre Inhalte bei uns unterbringen wollen“, sagt Ziegenbalg. „Früher sind wir den Leuten hinterhergerannt, jetzt rennen sie uns nach“. Auf Nachfrage aus dem Publikum erläutert er auch den Mehrwert gegenüber andere Angeboten wie etwa Google Maps oder Yelp: „Wir sortieren die Stadt journalistisch“.

FROH!

Das zweite Start-up-Beispiel kommt direkt aus Köln: Dr. Sebastian Pranz ist Chefredakteur des unabhängigen Magazins FROH!. „Wir können machen, was uns in den Sinn kommt“, stellt er gleich zu Beginn klar. Denn FROH! ist ein Non-Profit-Magazin, es finanziert sich aus Spenden und ist werbefrei. „Wir haben einen journalistischen Verein gegründet, was ungemein aufwendig war“, erklärt Pranz. „Aber es war notwendig, weil uns von Anfang an klar war: Wir wollen einen Journalismus machen, der gesellschaftlich engagiert ist“. Im Magazin wird deshalb regelmäßig ein Wertemix präsentiert, Gastautorenwie Theologen oder Politiker kommen zu Wort. „Wir setzen nicht nur auf professionelle Journalisten“, betont Pranz. Außerdempunktet FROH! mit Long-Reads wie etwa einer Reportage aus dem letzten Stalin-Museum in Georgien. Eine Schwerpunktausgabe hat sich zum Beispiel ganz dem Thema Luxus gewidmet. „Wir haben uns gefragt: Was brauchen wir? Und zwar auf allen Ebenen, auch auf der Produktionsebene“, sagt Pranz. So habe die Redaktion sich nur alle zwei Seiten Farbdruck erlaubt, der Rest sei in schwarz-weiß erschienen.

„Unser ganz eigener Beitrag zur Luxus-Debatte“, sagtPranz. Nach einem Relaunch präsentiert sich das Magazin mit rund 180 Seiten (deutsch und englisch) in Buchform. Außerdem lautet das Motto des gemeinnützigen Vereins: Publishyourself. „Wir ermutigen jungen Publizisten, ihre eigenen Magazine zu herauszubringen“, sagt Prinz. So habe etwa der Verein in Tiflis innerhalb von zwei Woche mit jungen Medienmachern ein Heft quasi aus dem Nichts realisiert. „Wir brauchen nicht mehr Information, sondern mehr Inspiration“, resümiert Pranz. Auf die Frage, was er den Lokalzeitungen empfehle, antwortet Pranz so: „Wir sollten Themen bringen, die uns selbst interessieren“ – und fügt außerdem hinzu, dass Journalismus zwar mit Google und Facebook konkurriere, aber: „Journalisten sind eine ethische Größe, hier liegt das Potential“.

Barzahlen.de

Das dritte Start-up Beispiel erlaubt einen Blick über den Tellerrand: Florian Swoboda ist Gründer und Geschäftsführer von www.Barzahlen.de – einem Dienstleiter aus dem Finanzbereich. Swoboda überrascht das Publikum zum Start mit folgender Tatsache: „Mehr als die Hälfte der Deutschen zahlt bar, nicht mit Kreditkarte“. Damit barzahlen auch bei Online-Shopping möglich ist, schickt das Start-up Kunden auf Wunsch einen Zahlschein mit Barcode zu, den diese dann bei 6.000 teilnehmenden Einzelhändlern vorlegen und bezahlen können.Online shoppen und dann doch noch mal vor Ort in ein Geschäft gehen? Ein Modell, das im digitalen Zeitalter zunächst etwas anachronistisch klingt. „Unser Angebot richtet sich vor allem an sicherheitsbewusste Kunden, also solche, die Datenmissbrauch und Betrug fürchten“, erklärt Swoboda deshalb dem Publikum. Auch zahlreichen Geringverdiener, die keine Kreditkarte besitzen, nutzen demnach den Service.
Zum Thema Start-ups und Medienbranche erklärt Swoboda, er komme aus der klassischen Start-up-Szene in Berlin und beobachte dort immer häufiger, dass Verlage branchenfremde Start-ups aufkaufen: „Ich finde einen solchen Zukauf schlau, denn so sichern sich die Verlage spezielles Know-How“.

Text: Johanna Rüdiger

„Es muss süchtig machen“

Christop Keese

Christop Keese

Christoph Keese, Executive Vice President der Axel Springer SE in Berlin, schwärmt vom disruptiven Wandel der Medienbranche und stellt die spannendsten Start-ups vor.

„Es lachen immer die Halbtoten auf dem Weg zum Friedhof“, sagt Christoph Keese und erntet: Gelächter. Ein bisschen spielt er dabei auf die deutschen Medien an, die – wie er sagt – in Sachen Innovation eher einen weißen Fleck darstellen. An dem sogenannten disruptiven Wandel habe die deutsche Medienbranche jedenfalls wenig Anteil.

„Disruption“ – ein Bonmot in Silicon Valley wie das Wort „Love“ Ende der 60er Jahre, kokettiert Keese. Doch was bedeutet „Disruption“ eigentlich? Keese, der sich ein halbes Jahr in Silicon Valley von den Vorreitern des disruptiven Wandels für den Springer Verlag inspirieren ließ, bringt das mit einem Beispiel aus der Musikbranche auf den Punkt: Während der Übergang von Platte auf CD eine „erhaltende Innovation“ gewesen sei, seider Übergang zu Spotify disruptiv. In anderen Worten: Bezahlte man für 17 Lieder auf einer CD noch 19,90 Euro, bekommt man auf Spotify heute die komplette Musikwelt für 9,90 Euro pro Monat.

Der disruptive Wandel geschehe meist von unten – im Falle der Medienbranche erfolge er oft von Nichtmedienmachern. So sei beispielsweise der Business Insider, gegründet von Ex-CEO und Gründer von DoubleClick Kevin P. Ryan, mittlerweile das größte Wirtschaftsmedium der USA – mit 20 Prozent mehr Reichweite als die Washington Post.

Was machen innovative Medien anders?

Eine Maxime, die Keese aufstellt und die auch für den regionalen Medienmarkt übertragbar sei, ist: „Liefern Sie Ihrem Publikum präzise das, was es haben will.“ Personalisierung, große Namen, der Rückgriff auf eine weitreichende Bloggerszene, abgeschlossene Angebote sowie überschaubarer Content auf mobilden Endgeräten sind einige zentrale Punkte, die Keese anspricht. Hier finden Sie eine kurze Auflistung seiner Beispiele:

1. Personalisierung: BuzzFeed mache es vor – obwohl viele über den „News-Kanal“ wegen der zahlreichen Katzenvideos lachen mögen, BuzzFeed habe die Navigation bahnbrechend verändert: Jeden Beitrag könne man mit einer bestimmten Emotion versehen – nicht mehr Politik, Wirtschaft oder Kultur bildeten die klassischen Ressorts – sondern „LOL“, „genial“, „omg“, „süß“ usw. „Früher hieß es: Leute schreibt Leserbriefe“, sagt Keese, „heute ist die Reaktion des Publikums die Navigation!“

2. Große Namen: Für Politico’s Brussels Playbook Newsletter sei der EU-Analyst Ryan Heath gewonnen worden: „Auf den Ton kommt es an, nicht nur auf die Fakten, die müssen sowieso richtig sein.“ Ein Newsletter, so Keese, müsse süchtig machen.

3. Bloggerszene: Für Keese gibt es keinen Unterschied zwischen Journalisten und Blogger, und wie die Start-up-Szene Blogger für ihre erfolgreichen Medien verwendet, zeige beispielsweise Vox: Vox habe mit SBNation einen Sportblogaggregator gebaut: 309 verschiedene Blogs werden von einer kleinen Aggregatredaktion kurartiert – das sei kostensparend, aber auch für den Nutzer gewinnbringend: „Die Berichterstattung ist besser und tiefer, weil die mehr Leute haben“, sagt Keese. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitee Forbes. Die haben laut Keese rund 50 festangestellte Leute und 1100 Zulieferer. Forbes gebe den Zulieferern ein exklusives Thema, korrigiert würde im Nachhinein: „Es ist eine Mischung aus traditioneller Redaktion und modernem Bloggen.“ Wie bei SBNation werden die Blogger auch bei Forbes bezahlt.

4. Abgeschlossene Inhalte: „Während die traditionellen Medien ihre Websites nonstop ubdaten, arbeiten die wirklich innovativen Medien wieder mit Deadlines und einer bestimmten Anzahl von Artikel.“ So würden Vice oder Snapchat mit bestimmten Zeitpunkten werben, an denen Beiträge online gehen. Ein Beispiel, das das Abgeschlossenheitserlebnis widerspiegele, sei die App von welt.de „Kompakt“: „Es gibt eine begrenzte Zahl von Geschichten – wir erzeugen ein künstliches Abgeschlossenheitserlebnis, innerhalb der Geschichten zeigen wir, wo der Leser steht“, erklärt Keese. Es habe sich herausgestellt, sagt Keese, dass die Nutzer drei Mal so lange Beiträge über diese App lesen als auf der herkömmlichen Website .

5. Überschaubarer Content: Die Zukunft ist mobile – ein altbekannter Spruch, aber, wie sieht die Nutzung in Zukunft aus? Keese lobt auch hier abermals Vox: Anstatt chronologisch geordnete Artikel in Hülle und Fülle biete Vox zu Themen einen zusammenhängenden Artikel an – lesbar via „Karten“ auf dem Smartphone. Wie Amerika beispielsweise zur einflussreichsten Macht wurde, erkläre Vox übersichtlich mit 11 „Karten“.

Wer sich noch weiter für den disruptiven Wandel in der Medienbranche interessiert, für den bietet Christoph Keese bald auch einen Newsletter: www.disruptionreport.de

Medien und Unternehmen in Verantwortung

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Auf dem Podium: Robert von Heusinger, Thomas Krüger, Dieter Steinkamp und Bernhard Mattes (v.l.n.r.)

Wie nehmen Lokalzeitungen und Firmen ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen wahr? Um diese Frage drehte sich das erste Podium des 23. Forums Lokaljournalismus.

„Der gesellschaftliche Auftrag der Wirtschaft und der Medien vor Ort“ – so lautete der Titel der Diskussionsrunde. Auf dem Podium vertreten waren Bernhard Mattes, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke, Dr. Dieter Steinkamp, Vorstandsvorsitzender von RheinEnergie, Robert von Heusinger, Vorstand der Mediengruppe M.DuMont Schauberg und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/ bpb. Die Journalistin Andrea Grießmann moderierte die Diskussion.

Unternehmen gegen Pegida?

Krüger eröffnete die Diskussion mit einem in den vergangenen Monaten sehr kontrovers diskutierten Thema: den Pegida-Demonstrationen. Er wollte von Steinkamp wissen, warum sich RheinEnergie dazu entschieden habe, während einer Kögida-Demonstration die Brücken und die Altstadt nicht anzustrahlen. Für Steinkamp war das nichts anderes als ein Bekenntnis zur offenen und toleranten Gesellschaft.

Zum Thema „Lügenpresse“ sagte Heusinger von DuMont, dass man sich schon mit der Frage der Glaubwürdigkeit von Medien auseinandersetzen müsse. Man müsse als Zeitung Fehler eingestehen. „Wir sind gezwungen zu mehr Ehrlichkeit. Wenn wir unter Generalverdacht stehen, nicht ordentlich zu arbeiten, müssen wir eben ordentlicher arbeiten.“ Auch Unternehmen stünden aber in der Verantwortung, den Bürgern die Grundlagen unserer Marktwirtschaft immer wieder zu erklären.

Ob die Unternehmen bei bestimmten Themen sensibler geworden seien, wollte Krüger wissen. „Natürlich“, meinte der Ford-Vertreter Mattes. Er führe Diskussionen nur unter Achtung anderer Völker und nicht in der Wortwahl vergangener Zeiten. „Alles, was diskriminierend ist, hat auf dem Marktplatz nichts verloren.“ Man müsse denjenigen den Rücken stärken, die sich für Vielfalt einsetzen – auch als Unternehmen.

Köln ist halt Köln

Krüger fragte auch nach, warum gerade in Köln bestimmte Ressentiments überhaupt keine Chance hätten. Heusinger sagt darauf: „Köln ist halt Köln. Wenn Salafisten gegen Hooligans demonstrieren, wird hinterher auf dem Platz gesungen, um ihn von dem bösen Geist zu befreien.“

Aber wie könne kann man die freien Geister dieser Stadt beschreiben? fragte Krüger. Heusinger meinte, es läge in der Geschichte begründet. Katholische Kirche, Napoleon, Karneval. „Man macht sich gerne über die Obrigkeit lustig“, sagte er.

Verantwortung von Unternehmen

Mattes berichtete über Plattformen für verschiedene Nationen bei Ford, auch Frauenpanels, aber man schreibe ihnen nichts vor. Sie engagierten sich in der Gesellschaft, „diese Möglichkeit bieten wir jedem Mitarbeiter – sie können zwei Tage frei bekommen, um an Projekten, die zusammen mit der Stadt ausgewählt wurden, zu beteiligen“. Er erwähnt das Beispiel Kölner Stadtarchiv, wo sich Mitarbeiter nach dem Einsturz bei der Sicherung engagieren konnten.

Steinkamp betonte, RheinEnergie sei ein Unternehmen der Daseinsvorsorge, man sei nicht nur am Profit orientiert, man sei auch ein Unternehmen, das eine Agenda habe. Man habe zum Beispiel eine klare Meinung beim Thema nachhaltiger Energieversorgung. Die Energiewende sei richtig und finanzierbar, aber viele glaubten, es könne viel schneller gehen. Da entstünden Kosten, die irgendjemand tragen müsse. Die Energiewende als solche sei richtig,  als Unternehmen trage man seinen Teil dazu bei.

Mattes erläuterte beim Thema Arbeit 4.0, es sei eine „unheimliche Flexibilisierung“ von Arbeit möglich geworden. „Ich kann überall zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten – wir verpflichten aber niemanden dazu.“ Es gehe darum, diese Flexibilisierung zu nutzen. „Die Infrastruktur ist aber in Deutschland noch nicht so weit, um diese Chancen nützen zu können.“ Deutschland und Europa müssten sich öffnen, um zu einer besseren Zusammenarbeit etwa mit Amerika zu kommen. „Man muss offen sein, die Schranken diskutieren, aber auch die Möglichkeiten.“

Angst der Bürger vor undurchsichtigen Prozessen

Krüger hakte ein, dass viele Bürger Angst vor diesen Entwicklungen hätten. „Das ist immer so, aber viele sehen inzwischen auch die Chancen“, entgegnete Heusinger. „Bei der digitalen Revolution hat man heute mehr Menschen hinter sich als bei jeder anderen Revolution der Industriegeschichte“, meinte er und nannte etwa das Beispiel Facebook. Er spüre in seinem Unternehmen viel positive Energie beim Thema Digitalisierung.

In weiteren Themenrunden ging es dann um die Fragen Elektromobilität, TTIP oder die Flüchtlingsproblematik. Spürbar wurde, dass sowohl die Vertreter der Wirtschaft als auch Heusinger als Mann der Medien sich ihrer Verantwortung bei diesen Fragen bewusst sind. Wie aber gehen Medien mit der Macht großer Unternehmen um?

Heusinger meinte, man müsse von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Es sei bei einem öffentlichen Unternehmen anders als etwa bei einem Unternehmen wie Ford. Wichtig sei, dass auch Unternehmer sich in Diskussionen mit der Bevölkerung einmischen. Zeitungen könnten die Debatte nur weitertreiben, wenn die Unternehmer sie auch führten.

Und der Umgang der Unternehmen mit Recherche? Steinkamp sagte, man müsse sich den Fragen stellen, aber es gebe auch „wettbewerbsrelevante Informationen“, bei denen die Transparenz aufhöre.

Mattes stimmte zu, es gebe Informationen, die sein Unternehmen nicht teile. Er betonte aber: „Keine Angst vor Fragen – im Gegenteil“. Man müsse sich auch mit kritischen Nachfragen auseinandersetzen und Entscheidungsprozesse erläutern. Schwierig sei „Kampagnenjournalismus“, betonte Steinkamp. Journalist und Journalist sei nicht immer das gleiche.

Heusinger sagte dazu, die Unternehmen nähmen keinen Einfluss auf die Berichterstattung, das hätten ihm auch die Kollegen aus den Lokalredaktionen bestätigt.

So ging die Auftaktdiskussion zuende. Medien, Wirtschaft und Verantwortung – ein wichtiges Thema, das viele unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche berührt, aber in einer Diskussionsrunde sicherlich nicht abschließend behandelt werden kann.

Im digitalen Zeitalter raus auf die Straße

Klaus_MeierTrotz Storytelling- und Multimedia-Ausbildung: Prof. Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt meint, es reiche für Journalisten nicht, nur am Computer zu sitzen. Journalismus sei ein sozialer Beruf.

Herr Meier, schreiben, schneiden, vertonen – junge Journalisten sollen heute vieles können. Aber müssen sie das auch?

Niemand kann alles. In der Tat müssen Nachwuchsjournalisten heute breiter aufgestellt sein als früher und eine umfassende Medienkompetenz mitbringen. Trotzdem ist eine gewisse Spezialisierung notwendig. Wer sich beispielsweise besonders gut mit Social Media auskennt, ein Gespür für digitale Trends hat oder innovative Erzählformate entwickeln kann, macht sich in der Redaktion unentbehrlich.

Schlägt Technikkompetenz heute also Fachkompetenz?
Natürlich ist auch die Themenkompetenz entscheidend. Aber gerade in lokalen Zeitungsredaktionen finden Sie seltener Spezialisten, die sich nur mit einem Themenfeld beschäftigen. Dazu kommt, dass vor allem im Lokalen nach wie vor vielerorts ein Weiterbildungsbedarf im digitalen Bereich besteht. Da können junge Journalisten, die von Anfang an crossmedial gearbeitet haben, punkten.

Haben Bewerber ohne Online-Kenntnisse im Jahr 2015 überhaupt eine Chance?
Die meisten Zeitungen erwarten von jungen Anwärtern, dass sie in dem Bereich fit sind. Und die Ausbildungsredakteure befürworten heute größtenteils eine crossmediale Ausbildung, allerdings gilt das überwiegend für die größeren Häuser.

Spielt multimediales Arbeiten in kleineren Redaktionen etwa eine zweitrangige Rolle?
Nicht unbedingt. Sehr wohl aber die Tatsache, dass die Ressourcen in kleinen Redaktionen viel knapper sind. An Social Media führt aber längst kein Weg mehr vorbei. Zumal die Digitalisierung ja ständig voranschreitet. Da müssen wir innovativ mitdenken. Als Journalisten dürfen wir uns nicht länger auf das klassische Medium beschränken. Ganz im Gegenteil. Je nach Thema müssen wir zuerst überlegen: Wie können wir den Inhalt online transportieren? Erst im zweiten Schritt kommt dann die Darstellung im Blatt.

Wie vermitteln Sie Ihren Studenten digital zu denken?
Die jungen Menschen sind mit dem Internet aufgewachsen, für die Bedeutung digitaler Medien müssen wir sie nicht mehr sensibilisieren. Sehr wohl aber für einen professionellen Umgang mit dem Internet – auch mit Sozialen Netzwerken – und für die professionelle Recherche. Journalismus ist ein sozialer Beruf, es reicht nicht, vor dem Computer zu sitzen und das Netz zu durchforsten. Es gibt tatsächlich einige Studenten, die das glauben. Als Journalist müssen wir aber auch im digitalen Zeitalter raus auf die Straße oder zum Telefon greifen und mit den Menschen reden – daran hat sich nichts geändert.

Was hat sich denn geändert?
Früher, als es nur analoge Berichterstattung gab, haben Zeitungen am Tag ein Produkt hergestellt. Und am nächsten Tag dann das nächste. Heute, im digitalen Zeitalter, ist die Berichterstattung ein kontinuierlicher Prozess.

Wie eng kooperiert die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt während der Ausbildung junger Journalisten mit potenziellen Arbeitgebern?
Sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudiengang spielt die Praxis eine zentrale Rolle. Und dafür arbeiten wir immer wieder mit Redaktionen zusammen. Im Bachelor lernen die Studenten von den Erfahrungen der Journalisten, die als Lehrbeauftragte zu uns kommen. Im forschungsorientierten Master ist der Transfer von wissenschaftlichem Wissen in die redaktionelle Praxis bei Kooperationen besonders wichtig. Vergangenes Jahr haben wir zum Beispiel mit der ostbayerischen Tageszeitung „Der neue Tag“ eine Befragung von Nutzern regionaler Internetseiten durchgeführt.

Und das Ergebnis?
Die Leser wünschen sich auch im Netz lokale und regionale Informationen – und sie sind sich über guten und schlechten Journalismus bewusst. Diese Tatsache haben wir jetzt noch mal belegt und für unseren Kooperationspartner spezifiziert. Für unsere Studenten ist es wichtig, dass sie selbst nicht nur forschen, sondern auch überlegen, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis angewandt werden können.

Dabei spielt der Lokaljournalismus an sich ja keine zentrale Rolle im Studienangebot Ihrer Hochschule…
Wir bilden unsere Studenten nicht speziell zu Lokaljournalisten aus. Uns geht es darum, Theorie und Praxis des Journalismus generell zu vermitteln und darüber hinaus die nächste Generation Journalisten für Innovationen und Trends zu sensibilisieren. Und diese Impulse lassen sich ja auch auf das Lokale übertragen. Davon abgesehen werden die medialen Grenzen in den kommenden Jahren vermutlich immer mehr verschwimmen. Noch unterrichten wir zuerst nach dem Baukastenprinzip und trennen häufig nach Mediengattungen. Erst danach trainieren wir crossmedialen Journalismus. In Zukunft werden die einzelnen medialen Erzählweisen weiter verschmelzen – nicht nur in der Medienlandschaft, sondern auch in der journalistischen Ausbildung.

Das Gespräch führte Christina Michaelis

Ergebnisse: die Energiewende entschlüsselt

Eine Woche lang harte Diskussionen, lange Abende, schweißtreibende Kämpfe mit dem WLAN – und nun ist es vollbracht. Die Konzepte, um die Energiewende aus vier verschiedenen Perspektiven begleiten und darstellen zu können, stehen. Mit viel Kreativität und Feuer stellten die Arbeitsgruppen sie vor.

Die gesamte Seminardokumentation mit den Arbeitsgruppenergebnissen erhalten Sie hier: Dokumentation Modellseminar Energiewende

AG 1
Wir haben Energie – die Bürgerinnen und Bürger mischen mit

Gruppe1

„Leute, Redaktionskonferenz!“ Hopp hopp! Die fiktive Redaktion versammelt sich, der Zeitdruck sitzt ihr im Nacken. Was steht an? Es muss schnell gehen, die Blattkritik fällt heute aus. „Stromtrasse im Verbreitungsgebiet!“ wirft einer ein.

Unsicherheit bis Ablehnung beherrschen den Raum.

„Brauchen wir das überhaupt? Was geht uns das an, wenn die Bayern keinen Strom haben?
„Da bauen die in Schlewswig Holstein Windkraftanlagen und wir sollen darüber berichten?“

So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen ein Konzept, stellt die fiktive Redaktionskonferenz fest. „Genau so etwas ist bei uns schon oft vorgekommen“, sagt einer der Teilnehmer. „Deswegen haben wir das sogenannte Perlach-Modell entwickelt.“

Das Perlach-Modell
Punkt 1: Sich einen Zugang verschaffen. Wer kann im Thema Energiewende involviert sein? Ein erster Schritt ist es, beim örtlichen Energieversorger anzurufen, beim Netzbetreiber, Verbraucherzentralen, Unis.

Stufe 2: Wenn klar ist, wo man in der Region, im Landkreis steht, geht es darum das Projekt konkret zu beleuchten. Schwierig und gleichzeitig fordernd an Energiewendeprojekten ist, dass man sich auch mit den gesetzlich Rahmenbedingungen auseinandersetzen muss. Also nicht nur: Wann kommt die Stromtrasse, wie sieht sie aus, sondern auch: Warum kommt sie, wie ist sie gesetzlich eingebettet und wie kam dieses Gesetz zustande? Der Bezug zur Energiewende als Großes und Ganzes ist auch ein wichtiger Schritt der Stufe.

Stufe 3: Akteure vorstellen. Jeder im System hat unterschiedliche Interessen. Politik, Wirtschaft, Bürger, ja, aber selbst diese Differenzierung reicht nicht, denn auch Bürgerinitiativen setzen unterschiedliche Schwerpunkte.

Stufe 4: Szenarien und Alternativen vorstellen. Was passiert wenn das Projekt kommt? Was passiert, wenn es nicht kommt? Was ist realitisch? Bei diesem Punkt sind ein roter Faden und Perspektiven am wichtigsten.

Stufe 5: Pro und Contra. Wie bewerten verschiedene Menschen diese Szenarien? Interviews, Gegenüberstellungen, und immer wieder auf Fakten hinweisen ist hier die Devise.

Stufe 6: Plattform schaffen. Spiegeln die, die am lautesten reden, die Mehrheit wieder? Und wie kann man man denjenigen, die benachteiligt sind, einen Zugang schaffen?

AG 2
Energie-Quellen richtig anzapfen

Gruppe2Ein Tag im Leben eines Journalisten, der zur Energiewende recherchiert. Er sitzt am Computer, denkt sich nichts Böses – und plötzlich prasseln die Stimmen auf ihn ein. Sechs andere Journalisten laufen murmelnd im Kreis um ihn herum. Totale Überforderung.

„Halt!“

Und sie halten tatsächlich an. Doch jeder von ihnen sagt etwas anderes. Mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten.

Windenergie?
„Sinnvolle Investition, technisch fortgeschritten, ein super Standort ist das doch bei Ihnen.“
– „Das geht bei uns im Dorf gar nicht. Die verschandeln doch die Landschaft! Wir wollen doch eine Touristenregion werden, unsere Dächer sind so schön rot gedeckt!“

Biogas?
„Wenn das mit der Schweinegülle für die Biomasse nicht reicht, packen wir eben noch ein bisschen Mais dabei, der wächst ja auch überall!“
– „Ne, das geht bei uns im Dorf gar nicht.“

Zig mehr oder weniger überprüfbare Pro-Argumente gegen die Skepsis der Bürger, oft bleiben Journalisten genau an diesem Punkt hängen. „Vielleicht schreibe ich doch über das Schützenfest“, fragt sich der Journalist.

Doch die Rettung naht: Das Konzept der Arbeitsgruppe. Sie hat einen Glossar erarbeitet mit den Grundbegriffen der Energiewende und eine Liste mit praktischen Recherchequellen. Für einen klaren Kopf.

AG 3
Neue Energie – lohnt sich das?

Gruppe3Eine typische Stammtischsituation, geselliges Beisammensein und lockeres Geplauder. Ein Radiospot unterbricht die Runde, es geht um eine Passivhaussiedlung in Augsburg. Die Gruppe steigt ein: Passivhaus? Wie könnte ich selbst sanieren? Was lohnt sich? Es geht von einem Thema aufs nächste, Subventionen, Leute die auf Erneuerbare Energien setzen, früher auf Traktoren fuhren und heute mit BMWs.

In der Dokumentation finden sich Vorschläge, wie man diese Themen in Serien verpacken kann. Welche finanziellen Auswirkungen die Energiewende auf die Region hat, und wie kann der Leser selbst am besten sparen.

AG 4
Mit Energie ins Netz!

Gruppe4Die Arbeitsgruppe wollte ihr eigenes multimediales Energie-Projekt auf die Beine stellen und einen digitalen Werkzeugkoffer für die Praxis bauen, der in keiner Redaktion fehlen sollte. Diese Aufgabe haben sie gemeistert – mit Bravour.

Die Seiten sprechen für sich:

Mit dem Storytelling-Tool Shorthand Social haben sie es möglich gemacht. Zu zwei Themen „Biogasanlage, die sich im Rat durchgesetzt hat und kommen wird“ sowie „Stromtrasse bzw. die Energiefresser“ haben sie ein fiktives Storytelling entwickelt. Sie fangen mit liebevoll selbst gedrehten Pro- und Kontra-Videostatements an, die durch Youtube-Embedcodes eingefügt wurden. Es geht mit einer Menge Tools weiter, die der Struktur halber immer wieder von Textbeiträgen durchbrochen wurden, darunter:

  • Scribble Maps: Dieses Tool wurde dazu genutzt um die Anlage selbst sowie weitere Objekte mit Fotos einzuordnen. Für den Trassen-Beitrag haben sich die Karten sehr gut geeignet um den Trassenverlauf darzustellen und ebenfalls mit Bildern zu versehen.
  • Infogram: Selbstgemachte Infografiken zum Maisanbau in Niedersachsen. Eine zweite Möglichkeit ist der Datawrapper.
  • Thinglink: Einfach Bilder und komplexe Darstellungen mit Markierungen, Texten und Multimedia erklären.
  • Soundcloud: einfach Audio-Beiträge abspielen, O-Töne, die schnell vor Ort aufgenommen wurden
  • Klassische Bilder wurden unter anderem dafür genutzt,, Größenverhältnisse zu vergleichen und statische Grafiken einzubinden. Auch der gute alte Link um den Lesern den Zugang zu den Originalwuellen zu nutzen, sollte nicht unterschätzt werden
  • JS Timeline: Gesamtplanung und Planungsstände einfach in einem Zeitstrahl darstellen
  • Storify, um die Debatte in den Sozialen Medien einzubinden, oder auch Medien wie Videos und Fotos einzubinden
  • Umfragetool von Shorthand Social, das Umfragen abwickelt und Grafiken erzeugt und sich in der Enddarstellung auch super für Print eignet

„Jedes von diesen Tools ist intuitiv zu bedienen. Es geht super schnell, und super einfach.“

Und so sind die Konzepte, die hier erarbeitet wurden, vor allem eins: Mutmacher für den Redaktionsalltag.

 

 

 

 

Nur noch kurz die Welt retten

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Bei all den Gesprächen über Bürgerwindparks, Biogasanlagen und Dämmstofflobbys fällt eine entscheidende Frage schnell unter den Tisch: Ok, wir hängen uns rein, aber wozu überhaupt? Klimafolgenforscherin Dr. Susanne Nawrath vom Klimahaus Bremerhaven hatte uns heute Morgen die Antwort auf diese Frage ganz klar vor Augen geführt: Um den Klimawandel zu bremsen. Wir sitzen alle sitzen in einem Boot. Das gilt auch für die Lokalberichterstattung.

Vortrag von Nawrath [PDF]

Es wird definitiv wärmer

Ja, es ist wahr: Wir können erst seit Ende des 19. Jahrhunderts die Temperatur „richtig“ messen, sagte Nawrath. Doch globalen Temperaturen seien seit den 1970ern in einem Maße angestiegen, das sich nicht mit „natürlichen Antriebskräften“ erklären ließe, sondern nur durch „den Menschen“, erklärt Nawrath und fährt mit ihrem Laserpointer über die bunten Kurven von Modellberechnungen und tatsächliche Messungen. Und trotz einiger Klimaskeptiker, die sich an vereinzelte kritische Studien halten, sei sich die Forschungswelt im Allgemeinen auch darüber einig. Seit den 1950er-Jahren läuft wettertechnisch sowievo vieles schief. Wir haben eine Entwicklung in Gang gesetzt, die sich nicht mehr stoppen, sondern höchstens bremsen lässt. „Selbst wenn wir das CO2-Level halten würden, würde die Temperatur noch weiter ansteigen“, erklärt Nawrath. „Und wenn wir so weitermachen wie bisher und den CO2-Ausstoß immer weiter erhöhen, dann ist die Erde schon 20150 um zwei Grad wärmer. Wie es dann 2100 aussähe, will ich mir gar nicht vorstellen.“ Das ist eine harte Ansage. Besonders wenn man bedenkt, dass das Zwei-Grad-Ziel noch lange nicht bedeute, dass zwei Grad für alle Menschen auf der Welt verkraftbar wären.

Folgen des Klimawandels weltweit und in Deutschland

Schon jetzt, bei 0,85 Grad zwingen nämlich Überschwemmungen, Unwetter und Dürren Millionen in die Knie. Das Eis der Arktis und Grönland schmilzt im Sommer mehr als in den letzten Jahren, hinzu kommt die Gletscherschmelze, und heraus kommt dann: unter anderem der Anstieg des Meerespiegels. Aber auch Arten verschwinden, „wir befinden uns in der Zeit des sechsten großen Massenaussterbens, wie bei den Dinosauriern“, sagte Nawrath.

In Ländern wie wie in Bangladesch oder auch Pazifikinseln, können viele Menschen die ihr Leben mit Landwirtschaft oder bestimmten Tierarten bestreiten nicht mehr weitermachen, oder ihre Häuser werden von „extremen Wetterereignissen“ zerstört. 75% der Hitzewellen sind vom Klimawandel beeinflusst und rund 18% des Starkregens und anderer Regen-Katastrophen.

Doch der Klimawandel macht auch vor Deutschland nicht halt. Er ist in den Kommunen und damit im Lokaljournalismus angekommen. „Früher konnte ich immer sagen, das und das wird passieren, heute kann ich zeigen, was passiert“, sagte Nawrath und spricht zum Beispiel über das große Pfingstunwetter das vor einiger Zeit besonders NRW getroffen hat. Überschwemmungen und Hitzewellen sind auch hier Faktoren, die wahrscheinlich vom Klimawandel verstärkt wurden (Hitze ist immer direkter mit dem Klimawandel verbunden als Regen, wo man die Verbindung nicht so einfach feststellen kann). „Haben Sie sich die Bahnstrecken nach den Unwettern mal angesehen? Das ist schlimmer als jeder Streik!“, sagt Nawrath. Solche Schäden zu reparieren kosten ihrzufolge mehr, als dem Klimawandel vorzubeugen. Entgegen vieler Vorurteile rechne sich der Klimawandel also. Wie sehr viele Versicherungsschäden durch den Klimawandel entstanden sind, zeigt zum Beispiel folgende Karte:

Schäden

Und schon mal festgestellt, dass manche Regionen Deutschland häufiger durchgehend gutes oder schlechtes Wetter haben als früher? Das liegt daran, dass der Klimawandel die sogenannten „Jetstreams“ durcheinanderbringen, also den Wechsel von Hoch- und Tiefdruckgebieten.

Ursachen des Klimawandels bekämpfen

Der größte Bösewicht ist tatsächlich CO2. Auch wenn andere Gase wie Methan den Treibhausgaseffekt noch mehr verstärken, verbrennen wir CO2 einfach in unglaublichen Mengen. Vor Millionen von Jahren war das Klima noch deutlich wärmern und die Luft CO2-gehaltvoller. Die Pflanzen haben das CO2 im Boden gebunden; und wir verbrennen es heute wieder als fossile Brennstoffe. Um die CO2-Emissionen noch halbwegs im Griff zu haben müssten ein Drittel der Ölreserven, die Hälfte der Gasreserven und 80% der Kohle laut einer neuen Studie von McGlade & Ekins im Boden bleiben. Noch sei das machbar, jedoch sollte man dafür laut Nawrath gar nicht mehr Kraftwerke für Kohle oder ähnliches planen, sagte Nawrath. Die Klimawissenschaftlerin setzt ihre Hoffnung selbst eher in bilaterale politische Einkommen als internationale multilaterale, weil da eine Einigung noch eher möglich sei.

Themen und Recherche im Lokalen

Nawrath nannte zwei gute Quellen zur Recherche für Lokaljournalisten:

Zum einen www.klimanavigator.de. Hier finden sich Forschungsinstitute in Deutschland, die sich mit dem Thema Klima beschäftigen – auch die aus der Region, die sich prima als regionale Experten heranziehen lassen.

Auf www.klimafakten.de würden Argumente der Leugner des Klimawandels ausführlich widerlegt.

Und wenn man den eigenen Lesern erklären will, warum es wichtig ist, das Klima zu schützen?
Liste mit Anregungen von Nawrath;

  • Verursacherprinzip, historische Verantwortung. Eine Moralkeule, die jedoch stimmt: Wir gehören zu den Hauptverursachen von Emmissionen und damit des Klimawandels, wir sollten uns darum kümmern, dass keine anderen Leute unter unserem Leben leiden müssen
  • Deutschland als Vorreiter, alle schauen auf uns. „Ob Deutschland die Energiewende schafft oder nicht, hat zwar alleine nicht soooo den großen Einfluss auf den globalen Klimawandel, aber wenn dadurch mehrere Staaten nachziehen, wäre viel erreicht.“
  • Klimaschutz spart Geld für Anpassung und Beseitigung von Schäden
  • Klimaschutz schafft auch Arbeitsplätze
  • Die direkten gesellschaftlichen Kosten der Luftverschmutzung betragen etwa 23 Milliarden € und die Kosten durch Gesundheitsschäden 330-940 Milliarden € (EU Kommission)
  • In den meisten OECD Staaten ist die Anzahl der Menschen, die durch Herz- oder Lungenerkrankungen sterben, die durch Verkehrsabgase verursacht werden, viel höher als die Zahl der Unfalltoten. (OECD)

Zeit, den Klimawandel ins Lokale zu holen!