Stellen Sie sich vor, Sie leben seit ein paar Wochen in Frankreich und lernen erst seit kurzem französisch. Nun stehen Wahlen in Ihrer Stadt an und Sie möchten sich informieren. Alle Nachrichten sind auf Französisch – vermutlich verstehen Sie weder Texte der Stadtverwaltung noch die der Lokalzeitung. So ähnlich geht es Marco Kölln in Deutschland, obwohl Deutsch seine Muttersprache ist.
(Im Bild v.l.n.r.: Steffen Grütjen, Friederike Herrmann und Marco Kölln. Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Er ist auf Nachrichten in Leichter Sprache angewiesen, da er die gängige Sprache in Zeitungen nicht versteht. Kölln erzählte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Panels E aus seinem Alltag. Er unterstützt die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt darin, herauszufinden, wie Journalismus inklusiver werden könnte. Dazu forschen Friederike Herrmann, Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der KU Eichstätt-Ingolstadt, und Steffen Grütjen, wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Schwierig für Kölln und andere Menschen mit verminderter Lese- und Schreibfähigkeit sind beispielsweise lange Worte, Anglizismen, Fachbegriffe, zu lange und verschachtelte Sätze. Er selbst liest das Hamburger Abendblatt und stößt dort immer wieder an Schranken: „Aber Nachrichten zu Wahlen lese ich nicht, das ist viel zu schwer.“ Und genau da liege das Problem, das Medienhäuser erkennen sollten: „Diese Leute haben eingeschränkte Teilhabe an Gesellschaft und Politik. Sie können sich nicht informieren, gehen also seltener zur Wahl“, sagt Herrmann. „Es ist aber die Aufgabe des Journalismus, diese Menschen zu erreichen.“ Und weiter: „Wir haben als Journalisten demokratische Funktionen – wenn relevante Teile der Bevölkerung nicht erreicht werden, haben wir ein Problem, das wir angehen müssen.“ Hermann glaubt außerdem, dass Verlage somit auch eine starke Zielgruppe verpassen.
Worauf es bei Leichter Sprache ankommt
In Kleingruppen bearbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Panels eine Meldung der Tagesschau. Die Aufgabe bestand darin, diese in Leichte Sprache umzuwandeln. Kölln machte begreiflich, worauf es bei Leichter Sprache ankommt:
- Ein Satz darf nicht mehr als acht bis fünfzehn Wörter haben
- Ein Satz sollte stark vereinfacht sein
- Lange Wörter müssen durch Trennstriche gekoppelt werden
- Zeilenumbrüche helfen beim Lesen
- Anglizismen müssen ersetzt oder/und erklärt werden
„Sprache verändert sich ständig, so sollte man auch diese Regeln sehen“, sagte Herrmann. Die Lösung sei nicht, das komplette Angebot, beziehungsweise die Sprache der Zeitung zu verändern, sondern ein Zusatzangebot zu schaffen. Wichtigste Voraussetzung dafür: Es muss einfach auffindbar sein. Das betont Marco Kölln immer wieder. Das beste Angebot bringe nichts, wenn man es nicht findet. Seiten mit leichter Sprache müssten über ein entsprechendes Symbol auf der Startseite sichtbar gemacht werden.
Inhalte müssten auffindbar sein
Einige Zeitungen haben bereits mit einem entsprechenden Angebot experimentiert – es jedoch wieder eingestellt (beispielsweise die taz oder die Augsburger Allgemeine). Das Rechercheteam Correctiv arbeitet mit dem Netzwerk andererseits zusammen, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung Journalismus machen. Die Enthüllungen über das Geheimtreffen zwischen AfD-Vertretern und Rechtsextremen wurde beispielsweise vom Netzwerk in Leichte Sprache übertragen.
Steffen Grütjen betonte noch einmal, wie wichtig es sei, dass auch das Webdesign angepasst werde. „Muss sich fragen, ob man einen Extra-Account macht, oder es auf der eigenen Seite einbaut.“ In die Barrierefreiheit und Sichtbarkeit der Seiten sollte Zeit investiert werden. Beim Übertragen der Artikel könne Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. „Die KI kann helfen, in Sekundenschnelle in einen einfachen Sprachduktus zu kommen. Aber man braucht den Menschen, um zu erkennen, welche Zitate oder Informationen wirklich wichtig sind.“
Auf die Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen kommt es an und auf die, die solche Entscheidungen treffen, ob eine Extraseite für Leichte Sprache eingeführt wird, oder nicht: „Es ist vor allem das Bewusstsein, das fehlt“, sagt Herrmann. Sie und ihr Team wollen das zumindest auf der Seite der Wissenschaft ändern, denn es werde fast gar nicht zum Thema geforscht. Aber sie ist sich sicher: „Das Thema kommt mit Wucht.“ Sie rät daher jeder Redaktion, sich von Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, beraten zu lassen und die eigenen Texte prüfen zu lassen.