Redaktionskonferenz "Wir lieben Lokaljournalismus" 2017

Überlebensstrategien des Lokalen

„Lösungen und Rahmenbedingungen für leistungsstarken Lokaljournalismus: mehr Glaubwürdigkeit, mehr Dialog, mehr Vielfalt – mehr Überleben!“ – so lautete der Titel des zweiten Podiums am Donnerstag. Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Dr. Kerstin Loehr, Redaktionsleiterin der Wolfsburger Nachrichten, Marc Rath, Koordinator Lokales der Magdeburger Volksstimme, Joachim Braun, Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, Anna Mayr, Schülerin der Deutschen Journalistenschule, und Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Moderator war Holger Knöferl, Leiter der Heimatredaktion der Badischen Zeitung.

Knöferl ordnete jedem Teilnehmer eine These bzw. Frage zu und konfrontierte sie damit.

Aus dem Wolfsburger Arbeitsleben

Zunächst fragte Knöferl Kerstin Loehr, wie sie denn an die Lebenswelt der Arbeiter bei VW rankomme. Loehr räumte ein, dass Lokaljournalisten in einer anderen Welt lebten als die Beschäftigten im VW-Werk. So habe man in Zeiten der VW-Krise eine Gratwanderung machen müssen zwischen der Nachrichtenlage und der Gefühlswelt der Arbeiter. „Wir mussten vorsichtig sein, um nicht in eine Art Hetzjagd zu geraten.“ Man müsse versuchen nachrichtlich zu berichten, um niemanden zu bevormunden. An den Ereignissen hingen Arbeitsplätze und Existenzen.

Mit Eliten angelegt

„Sich im Lokalen mit jedem Akteur anzulegen, ist auch nicht clever“ – diese These ordnete Knöferl Braun zu, der sich in seiner Zeit beim Nordbayerischen Kurier gerne mit lokalen Politikern angelegt hatte. Braun, „der Messias des deutschen Lokaljournalismus“, wie Knöferl ihn nannte. Trotz seiner konfrontativen Art sei die Auflage der Zeitung damals nicht gestiegen, stichelte Knöferl. Braun räumte ein, dass er auch kein Patentrezept für die Lösung der Probleme des Lokaljournalismus habe. Er habe sich auch nicht mit jedem angelegt, sondern betreibe „offene Kommunikation“. Dem Nordbayerischen Kurier habe es durchaus etwas gebracht, sich eine kritische Distanz zu den Eliten erarbeitet zu haben. Ob es eine Faustregel in Frage der Distanz gebe, wollte Knöferl daraufhin wissen. Braun erwiderte, er sei etwa mit dem Landrat von Bad Tölz per Du gewesen, habe ihn aber dennoch in einer inhaltlichen Frage kritisiert. Braun meinte, wenn ein Redakteur Mitlied im örtlichen Rotary Club sei, sei für ihn allerdings die Grenze überschritten, da solche Clubs immer ein Beziehungsgeflecht darstellten.

Wahlbetrug in Stendal

Dann wandte Knöferl sich Marc Rath zu, der einen Wahlbetrug in Stendal aufgedeckt hatte. Wie gehe man als Journalist damit um, wenn Stendal nun in der Öffentlichkeit in schlechtes Licht gerückt sei? Rath sagte, die Tourismuszahlen in Stendal seien so übersichtlich, dass seine Enthüllung sicher nicht zu einem Einbruch geführt habe. Er habe nur eine Selbstverständlichkeit gemacht: am Wahlabend genau hingesehen, wie das Ergebnis ausfiel. Seine Autoreifen habe jedenfalls niemand zerstochen.

Zum drehscheibe-Video mit Marc Rath

Scheißcontent für den Zweispalter

„Mein Interesse an Politik ist gerade so groß, dass es nicht peinlich ist, Journalistin werden zu wollen“, sagte Anna Mayr, die als nächste zu Wort kam. Die Journalismusschülerin glaubt, dass im Lokaljournalismus viele Themen verpasst würden. In einem Beitrag habe sie von „Scheißcontentredaktionen gesprochen“, konfrontierte sie Knöferl. Was sie damit meine. Sie meine damit, „Inhalte zu machen, ohne eine Geschichte zu erzählen“, sagte sie. Scheißcontent sei, wenn in der Redaktion gefragt werde: „Hat noch jemand was für den Zweispalter.“

„Warum mich der Lokaljournalismus anekelt“: Zum Text von Anna Mayr

Daten aus den Kommunen

Habbel widersprach anschließend der These, dass Digitalisierung etwas versaue. Die Frage sei, was wir daraus machten, die Digitalisierung gehe auch nicht wieder weg. Tatsache sei, dass sich alles verändere. Er siehe einen riesigen Nachholbedarf in der Frage von Open Data. Er erinnert in der Frage der Transparenz in Rathäusern an den Werbespruch: „Alles muss raus.“ Die Kommunen stünden hier am Anfang. Digitalisierung könne mehr Transparenz schaffen.

Die Diskussion – ein Streifzug

Loehr meinte, Pressearbeit nehme in den Kommunen zum Teil Formen an, die an „Presseverhinderung“ erinnere. Es gehe immer über mehrere Wege, man könne auf Antworten nicht nachfragen, all das habe wenig mit schneller und moderner und transparenter Recherchemöglichkeit zu tun. Rath ergänzte: „Wir Lokaljournalisten begeben uns sich selbst in die E-Mail-Falle.“ früher habe man zum Telefonhörer gegriffen, wenn man was vom Rathaus wollte.

„Qualität kommt nun mal von Qual“, meinte Mayr, natürlich sei es schön, wenn alle Daten einer Stadt offenliegen würden, aber es sei eben ihr Job, an die Daten ranzukommen, zur Not müsse man klagen. Sie verstehe die Debatte nicht. Braun ärgert die Beißhemmung vieler Journalisten. „Es ist ja nicht so, dass wir die Rechte nicht haben, wir nehmen sie nicht wahr.“ Zur Not müsse man eben tatsächlich einen Anwalt nehmen, um sein Recht durchzusetzen.

Zum Thema Webreportagen sagte Mayr: „Niemand liest Webreportagen.“ Wenn sie das Gefühl habe, sie lese nur Quatsch, dann lese sie die Story nicht. Irgendwann habe man doch gelernt, wie man eine Reportage erzähle. „Ich möchte eigentlich nur lesen, was ist, ich möchte nicht mit Quatschformulierungen hingehalten werden. Dieses Rumgeschwafel.“

Mayr meinte, man müsse sich entscheiden, was man als Zeitung sein wolle. Sie will eine Zeitung genießen kann, statt sie lesen zu müssen, sie wolle „Pfannkuchen statt Schwarzbrot“. Man könne sich leicht darüber aufregen, dass niemand mehr lesen wolle, was im Stadtrat passiere, aber vielleicht werde es ja einfach nur schlecht aufgeschrieben.

Wie sieht Habbel die Fachkompetenz der Lokaljournalisten, wollte Knöferl wissen? Etwa wenn er sich die Enthüllung von Marc Rath ansehe. Wie vielen Lokaljournalisten wäre der Wahlbetrug aufgefallen? Habbel entgegnete, dass Deutschland nach wie vor ein Land der Regionalzeitungen sei. Loehr meinte, nur wenige Kollegen hätten den Wahlbetrug in Stendal registriert.

Zum Schluss der Podiumsrunde erheitert Mayr nochmal das Publikum: Sie sagte, wenn drei Geldautomaten in der Region gesprengt worden seien, würde sie gerne lesen, wie Geldautomaten gesprengt würden.

Wir sprachen mit Kerstin Loehr darüber, was sich im Lokaljournalismus verbessern muss:

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Sehen Sie auch unser Interview mit Anna Mayr am Rande der Redaktionskonferenz:

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