Was haben wir Journalistinnen und Journalisten falsch gemacht? Warum haben nur so wenige geahnt, welche Kräfte im rechten Bereich der Gesellschaft schlummern – und wie laut sie sein können? Warum hat Pegida so viele überrascht – und die anhaltenden Erfolge der AfD ebenso? Zeit für eine Podiumsdiskussion.
„Diese Leute hatten wir lange einfach ausgeblendet“, sagt Martin Machowecz vom Ost-Ressort der ZEIT, der den „Wutbürger“-Anteil der Ostdeutschen in einem Artikel einmal als „Avantgarde des Schrecklichen“ bezeichnet hat. „Ich glaube dass Schwerpunkte total falsch gesetzt wurden“.
„Wenn wir in diesem Wahlkampf nicht aufpassen, dass wir zu alter journalistischer Distanz zurückfinden, dann haben wir die Wahl verloren.“ (Horst Seidenfaden)
Sind wir noch Repräsentanten unserer Leserschaft, will Moderatorin Christina Knorz wissen. Dem antwortet Horst Seidenfaden von der HNA mit einer steilen These: „Die Lokalzeitung, die die Interessen aller Zielgruppen bedienen muss, hat keine Zukunft.“ Ein Beispiel: Kein Student lese noch die lokale Zeitung – die Uniberichterstattung könne man sich also auch sparen. Vor allem müsse man aber aufpassen, dass in den Redaktionen nicht weiter „Reflexe statt Verstand die Oberhand gewinnen“. „Wenn wir in diesem Wahlkampf nicht aufpassen, dass wir zu alter journalistischer Distanz zurückfinden“, so Seidenfaden, „dann haben wir die Wahl verloren“.
„Ab wie viel Enttäuschung habe ich das moralische Recht eine rassistische Partei zu wählen?“ (Thomas Kliche)
Für Seidenfaden stellt sich also vor allem die Frage: „Wie können wir die Masse der Enttäuschten erreichen?“ Thomas Kliche, Politologe und Psychologe, stellt eine kantige Gegenfrage: „Ab wie viel Enttäuschung habe ich das moralische Recht eine rassistische Partei zu wählen?“ Stephan Grünewald möchte die Wogen hier etwas glätten: „Ich glaube die Menschen sind bereit, diesen Dornröschenschlaf aufzugeben“, sagt Grünewald. Die große Schicksalsfrage sei aber eben: In welcher Art werden die Menschen tätig. Kliche: „Eine proaktive, konstruktive Reaktion sehen wir bei Millionen von Menschen“. Spaltet sich die Gesellschaft also auf? In konstruktive und destruktive Engagierte? Oder, wie Grünewald es überspitzt ausdrückt: in „Willkommensromantiker“ und „Untergangsapologeten“?
„Das ist eine wunderbare Chance“ (Martin Machowecz)
Martin Machowecz sieht im Aufstieg der AfD hingegen auch etwas Positives: „Da werden Leute sichtbar, die vorher nicht sichtbar waren, das ist eine ganz wunderbare Chance.“ Denn: Ehemals unpolitische Teile der Gesellschaft politisierten sich, engagierten sich im Ort oder im Landtag. Kliche widerspricht: Die Leute genössen es doch bloß – so seine Ansicht – dass sie nun lautstark ausgrenzen und stören könnten, dass sie nun endlich einmal die Rücksichtsnormen der Political Correctness abstreifen könnten. Politisierung aber, so Kliche, sei das nicht. Machowecz widerspricht: „Denen den politischen Antrieb abzusprechen ist schon wieder Teil des Problems.“ Und Iris Völlnagel vom MDR hakt an dieser Stelle mit nachdenklichen Worten ein: Denn viele Menschen hätten sich mittlerweile schlicht „ein eigenes Weltbild zusammengeschustert“.
Also: was tun? Kliche fragt: „Wie können wir selber Diskussionen anzetteln?“ Machowecz fände es gut, häufiger zu erklären, wie Artikel eigentlich zustande kommen. „Was spricht denn dagegen auch im Artikel selber Recherchewege zu schildern?“ Und: Man müsse die AfD verstärkt zu politischen Inhalten befragen. „Mit der AfD über Themen zu streiten, ist das einzige, was helfen kann“, sagt Machowecz. Also auch: mehr Perspektiven zulassen. Seidenfaden betont die Bedeutung des Faktenchecks. Und Völlnagel mahnt, sich keine Schlagworte zu eigen zu machen und immer wieder auf die Sprache zu achten. Und dann sind sich doch nochmal alle einig: Das kann man alles machen – aber es ist nicht einfach und lässt sich ganz sicher nicht gut mit schrumpfenden Redaktionen in Einklang bringen.
Titelbild (v.l.n.r.): Martin Machowecz, Iris Völlnagel, Horst Seidenfaden, Stephan Grünewald, Thomas Kliche, Christina Knorz