Forum Lokaljournalismus 2022

„Krisenzeiten sind Hochzeiten für den Lokaljournalismus“

Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.

Das 25. Forum Lokaljournalismus in Bremerhaven ist eröffnet. Nach kurzen Begrüßungen durch Anke Vehmeier, Leiterin des Lokaljournalistenprogramms der Bundeszentrale für politische Bildung, und Christoph Linne, Chefredakteur der Nordsee-Zeitung, hielt Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die Eröffnungsrede. Er beschwor die großen Fähigkeiten des Lokaljournalismus und seine gesellschaftliche Bedeutung gerade in Zeiten wie diesen.

Hier Auszüge aus der Rede:

„Nach langer Pause freue ich mich, Sie nun heute hier beim 25. Forum Lokaljournalismus in Bremerhaven begrüßen zu dürfen. (…)
Wir haben zwei herausfordernde Jahre hinter uns – zwei Jahre, die auch für Sie als Chefredakteurinnen und leitende Redakteure von Lokal- und Regionalzeitungen von neuen Herausforderungen und einem gravierenden Wandel geprägt sind. Gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Unsicherheiten haben sich in den Redaktionsalltag übersetzt, zahlreiche Redaktionen  standen vor existenziellen Fragen: Wie kann die Redaktion durch die Krise kommen, sie erfolgreich bewältigen? Welche Formate funktionieren aus dem Homeoffice und ohne den persönlichen Kontakt? Und wie kann sich das eigene Medienhaus finanziell wie strukturell gut aufstellen? Und all das, ohne dass die Qualität des Lokaljournalismus leidet.
 
Die Pandemie war nicht der Auslöser, wohl aber Beschleuniger und Verstärker der Herausforderungen, mit denen wir zu tun haben. Bereits vor der Pandemie ließ sich ein Trend erkennen: Online-Medien und Social Media drängen die gedruckte Tageszeitung zurück. In den vergangenen Jahren stieg die Reichweite lokaler Berichterstattung, besonders die digitale Nutzung wuchs enorm. Laut ZMG-Studie hat die digitale die Nutzung gedruckter Medien überholt: Knapp 59,2 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung greifen mindestens einmal wöchentlich zu den digitalen Produkten der Medienhäuser. Knapp 55 Prozent lesen regelmäßig gedruckte Angebote. Das entspricht einer Reichweite der Zeitungen – in Print und Digital – von 57,5 Millionen Leserrinnen und Usern. Die Marke Zeitung ist damit weiterhin „Informationsquelle Nummer Eins“ in unserem Land.
 
Das sind gute Neuigkeiten für die Branche. Eine andere Entwicklung ist eher besorgniserregend: Die Konzentration auf immer weniger Zeitungen. Die Gefahren, die mit einer solchen Reduzierung der redaktionellen Vielfalt einhergehen, brauche ich Ihnen nicht ausschweifend erklären. Nur ganz konkret: Der Lokaljournalismus muss in der Lage sein und bleiben, seine Kontrollfunktion als „vierte Gewalt“ ausüben zu können. Und für diese Kontrollfunktion ist Pluralität im Sinne von Meinungsvielfalt immens wichtig als Lebensmittel.  Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger sind in der Lage, sich an der Ausgestaltung der Demokratie zu beteiligen. Und dazu brauchen sie offene Diskursräume.
 
Dabei stellt sich die Frage: Braucht es heute noch den Lokaljournalismus, den Redaktionen in Medienhäusern anbieten? Oder muss sich etwas weiterentwickeln, was geändert oder neu gedacht werden?

Wenn wir uns die Entwicklungen der jüngsten Zeit vor Augen führen, dann sehe ich fünf Herausforderungen, ich verstehe das als Diskussionsvorschläge (…):

(1) Krisenzeiten sind eigentlich Hochzeiten für den Lokaljournalismus. Deshalb mein Appell: Seien Sie nah an den Menschen – professionell, verlässlich, unabhängig!

Die Veränderungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Rückbesinnung auf das Lokale wieder stärker geworden ist. In Zeiten der Unsicherheit dient der Lokaljournalismus als Anker und Wegweiser. Die Auswirkungen von Pandemie und jüngst des Kriegs Russlands in der Ukraine betreffen jeden einzelnen und sind insbesondere auf der lokalen Ebene spürbar. Die Verunsicherung in der Bevölkerung wächst, in den Sozialen Medien wird Propaganda ungefiltert verbreitet. Twitter, YouTube, Instagram, TikTok und Telegram erreichen ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt und prägen gesellschaftliche Wahrnehmungen und Sichtweisen. (…)

Sie schaffen für ihre Nutzer gar eine neue Realität. Die maßgebenden Akteure spielen dabei den Userinnen und Usern vor, Diskussions-Plattformen zu sein. In Wahrheit geht es aber vielen nur darum, Meinungen zu beeinflussen und Echokammern zu erzeugen und Einfluss zu nehmen.

Dagegen ist ein Charakteristikum des professionellen Journalismus gerade seine kritische Distanz. (…) Der Lokaljournalismus kann in Krisenzeiten seine Alleinstellungsmerkmale ausspielen: Information, Analyse, Einordnung, Orientierung.

Nah dran sein an den Menschen, das kann nur der Lokaljournalismus. Er holt sie dort ab, wo sie sich befinden. Denn kein anderes Medium kennt die Nöte und Sorgen seines Publikums so genau, wie die Redaktion vor Ort. (…) Deshalb: Punkten Sie mit Ihrer Kernkompetenz: seriöse Berichterstattung, verlässliche Haltung, Meinungsstärke, Themen langfristig verfolgen, das sind die Kulturen, die es hochzuhalten gilt. (…)
 
Moderne Medienhäuser kreieren selbst neue Handlungsfelder, schaffen Plattformen und bieten Diskussionsforen. Ihre Lokalredaktionen werden Teil der örtlichen Gemeinschaft und gestalten das Leben mit. Partizipation und Austausch zu schaffen, gehört zunehmend zur journalistischen Kompetenz.
 
(2) Faszination Technik: Bauen Sie Ihre digitale Kompetenz aus

Das Digitale ist Antreiber für die Weiterentwicklung und die Zukunft der lokalen und regionalen Medienhäuser. Dazu gehören innovative digitale Produkte, leistungsfähige Konzepte für Social Media, Podcasts, Videos und Datenjournalismus, die Personalisierung der Inhalte und fachliche Exzellenz. Der Ausbau der eigenen digitalen Kompetenz als Medienhaus eröffnet neue Geschäftsmodelle und Finanzierungsmöglichkeiten. Hier auf der Höhe der Zeit zu sein, kompetent Entscheidungen zu fällen, Motor der Innovation zu sein – das ist übrigens auch eine Führungsaufgabe.

Deshalb müssen Chefredakteurinnen und Chefredakteure wie Sie Antworten finden auf die Frage: Wir wird die eigene Redaktion kreativer Hotspot für Neuigkeiten aus der Stadt? Und Redaktionen müssen sich überlegen, welche Formate und Kanäle sie bespielen wollen. Sie sollten sich klar machen, was sie am besten können: Nicht zwanghaft alle Formate bespielen, sondern Prioritäten setzen und gucken, was man gut kann. (…)

(3) Zukunft braucht Exzellenz: Investieren Sie in Ihre Mitarbeitenden

Um erfolgreich in der digitalen Welt zu bestehen, sind die Mitarbeitende das wichtigste Kapital. Untersuchungen haben gezeigt, dass für viele Jüngere die Höhe des Gehalts nicht mehr das wichtigste Kriterium ist. (…) Die junge Generation will ein Ziel vor Augen haben und die Wege und Chancen aufgezeigt bekommen, es zu erreichen.

Aber offensichtlich trauen insbesondere junge Menschen regionalen Medien nicht mehr das Potential zu zu und streben andere Berufskarrieren an. Im Kampf um die besten Köpfe ist das fatal. Gerade jetzt braucht es junge Journalistinnen und Journalisten, wie wichtig Journalismus für die Aufrechterhaltung offener Diskursräume in unserer Gesellschaft ist. (…)

Dabei sind Redaktionen, Wissenschaft und andere Ausbildungsinstitutionen gleichermaßen gefordert, enger zusammenzuarbeiten. Und nicht zuletzt gehören Respekt und Wertschätzung und Anerkennung zu einer modernen Unternehmenskultur. 
 
(4) Lokaljournalismus ist bunt und wird immer bunter: Bilden Sie die Gesellschaft in ihrer Diversität ab.

Unserer Gesellschaft ist bunter und präsentiert sich vielfältiger und facettenreicher als jemals zuvor. (…) Daher ist ein Gebot der Stunde, dass sich lokale und regionale Medienhäuser intensiv – inhaltlich und personell – mit unserer pluralen Gesellschaft beschäftigen und auseinandersetzen. Diversität eröffnet neue Horizonte und Perspektiven und wird zum Gebot der Stunde. Im eigenen Interesse: Schicken Sie Inhalte nicht nur hinaus in die Region, sondern empfangen Sie auch Rückmeldungen. Treten Sie in den Diskurs: Welche Erwartungen gibt es vor Ort? Wem wollen Sie eine Stimme geben? Reden Sie nicht über die Menschen, sondern mit ihnen.

(5) Motor für Partizipation und Demokratie: So bleibt unsere Demokratie stark

Die gesellschaftliche Relevanz des Lokaljournalismus lässt sich gut am Beispiel USA illustrieren, wo es kaum noch Lokalzeitungen gibt. Was passiert wenn der Lokaljournalismus verschwindet? Studien haben gezeigt, dass mit dem Verschwinden von Lokalredaktionen – und der damit einhergehenden öffentlichen Kontrolle – Wirtschaftskriminalität und Umweltverschmutzung steigen. Daneben bereitet das Fehlen objektiver und gut recherchierter Informationen den Nährboden für die Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien.

Ein starker und qualitativ hochwertiger Lokaljournalismus ist Garant für das demokratische Bewusstsein einer Gesellschaft und damit ein wichtiger Partner in der politischen Bildung. Deshalb will ich ein starkes Statement für den Lokaljournalismus auch in der Wahlverwandtschaft zu politischer Bildung abgeben: Ja, wir brauchen den unabhängigen
Lokaljournalismus heute vielleicht mehr denn je. Auch die Haltung von Lokaljournalistinnen ist wichtig. Ich möchte Sie ermutigen, nicht zu verzagen und in die Zukunft zu gucken. (…)“